Neu Wulmstorf. Kundenbefragung zeigt: An der B73 steht Deutschlands zweitbeliebtestes Filmtheater – Es bietet einen inzwischen seltenen Service.

In Neu Wulmstorf steht das zweitbeliebteste Kino in Deutschland. Jörg Wagner, Inhaber des FilmtheatersDAS Kino“ an der B73, mag es kaum glauben. Zwar erfährt er regelmäßig bei den Vorstellungen, dass die Leute sein Kino lieben. Aber solch eine Top-Platzierung in einem deutschlandweiten Ranking – das kommt für den 54-Jährigen völlig unerwartet.

Und er möchte den Ball flach halten: „Es gibt so viele tolle Kinos“, sagt Wagner. „Wir haben ein kleines Kino mit nur einem Saal. Wir sind gut, aber ich weiß nicht, ob wir diese krasse Auszeichnung verdient haben.“ Sie biete aber immerhin eine gute Gelegenheit, um sich beim treuen Publikum für die tollen Bewertungen und das Vertrauen zu bedanken, meint der Kino-Betreiber.

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Im eher schmucklosen Filmtheater an der Bundesstraße kommt das Getränk an den Sessel

Seit kurzem gehört das kleine Kino an der Neu Wulmstorfer Hauptstraße nach einem Ranking des Vergleichsportals testberichte.de zu den beliebtesten Kinos in ganz Deutschland. Die Redaktion hat für das Ranking 1,2 Millionen Online-Bewertungen von mehr als 1000 deutschen Filmtheatern ausgewertet. Mit 4,9 von 5 möglichen Sternen in den Google-Rezensionen erreicht „DAS Kino“ Platz zwei.

Besser schneidet lediglich das Apollo-Service-Kino im nordrhein-westfälischen Altena ab.

Jörg Wagner freut sich über diese positive Bewertung

Jörg Wagner freut sich über diese positive Bewertung, aber er fürchtet auch, dass dadurch eine sehr hohe Erwartungshaltung geschürt wird. „Ich habe es eigentlich andersherum lieber: Erstmal wenig eindrucksvoll von außen daherkommen und dann mit dem Kino-Erlebnis positiv überraschen“, sagt er. Diese Bescheidenheit ehrt den Inhaber des traditionsreichen Kinos. Eingeschworene Fans fragen sich hingegen, warum sein Haus nicht gleich das beste Kino Deutschlands, der Welt oder des Universums geworden ist.

Popcorn kommt an den Platz. Das Publikum liebt die freundliche Atmosphäre und den Service im Kino, den Jörg Wagner und sein Team bieten.
Popcorn kommt an den Platz. Das Publikum liebt die freundliche Atmosphäre und den Service im Kino, den Jörg Wagner und sein Team bieten. © HA | Sabine Lepél

Denn Wagners Lichtspielhaus besitzt Kult-Charakter. Es ist für viele Menschen ein ganz besonderer Ort, in dem sie mit Freunden oder der Familie über Generationen hinweg viele schöne Stunden verbracht haben. Das kleine Haus ist ein kuscheliges „Wohlfühl-Kino“ mit plüschigem Saal und Service am Platz – ein Alleinstellungsmerkmal: Zuschauer können während des Films einen Knopf an ihrem Sitz drücken und werden dann am Platz mit Getränken, Popcorn und Snacks versorgt.

„Mein Vater wäre vor Stolz geplatzt“, sagt der Kino-Chef,

Das kommt gut an, ebenso wie die Freundlichkeit des Personals und die gemütliche Atmosphäre im Kino. „Unsere Gäste sind treu und gehen auch nicht gleich auf die Barrikaden, wenn ihnen etwas nicht passt“, wagt sich Wagner in seiner sachlichen Art an eine Erklärung für die vielen positiven Bewertungen im Netz. Und er muss an seinen verstorbenen Vater denken: „Er wäre vor Stolz geplatzt“, sagt der Kino-Chef, dessen Filmtheater sich seit fast 60 Jahren an der Hauptstraße 32 in Neu Wulmstorf befindet.

Jörg Wagners Eltern übernahmen das Kino 1972, da war der heutige Inhaber gerade einmal zwei Jahre alt. Er verbrachte einen Großteil seiner Kindheit in dem Lichtspielhaus seiner Familie, half schon als Jugendlicher beim Abreißen der Eintrittskarten oder im Service aus. Und er sah und kannte so ziemlich jeden Blockbuster, der damals über die Leinwand flimmerte: „Ich bin mit Godzilla und Terence Hill groß geworden“, sagt Wagner.

Jörg Wagners Eltern haben ihre gesamte Arbeitskraft in das Unternehmen gesteckt

Ein Kino zu betreiben, ist kein Selbstgänger. Bereits Jörg Wagners Eltern haben ihre gesamte Arbeitskraft in das Unternehmen gesteckt. Auch sie mussten sich immer etwas Neues einfallen lassen, um am Markt zu bestehen. Am Anfang waren im damals noch mit 400 Sitzplätzen ausgestatteten Kino nebenbei Tanzveranstaltungen üblich. Später entstand die Service-Idee, die heute noch geschätzt und viel genutzt wird.

Jörg Wagners Vater Fred mit einigen Fimrollen der 1970er-Jahre.
Jörg Wagners Vater Fred mit einigen Fimrollen der 1970er-Jahre. © Familie Wagner | Privat

„Meine Eltern haben den Service am Platz schon 1981 eingeführt“, berichtet Wagner. Damals war der private Videorekorder auf dem Vormarsch, die Kinobetreiber befürchteten dadurch starke Einbußen. Wagners Eltern verringerten deshalb die Anzahl der Sitzplätze von 400 auf 198 und versahen alle Reihen mit Tischen und kleinen Lampen sowie einer Ruftaste für die Bedienung. Dabei ist es geblieben – nur geraucht werden darf im gemütlichen Kinosaal inzwischen längst nicht mehr.

Betreiber hat immer wieder in die Erneuerung des Kinos investiert.

Mit Jörg Wagner übernahm 1996 die nächste Generation das Kino. Damals war er 26 Jahre alt. Seither hat der Kino-Betreiber immer wieder in die Erneuerung des Kinos investiert. Foyer und Saal wurden komplett renoviert, die sanitären Anlagen saniert und die Technik auf den neuesten Stand gebracht: Wagner kann Filme in Dolby 3D präsentieren, ein hochmoderner Tonprozessor sorgt für den richtigen Sound, der Saal erhielt zudem neue Frontlautsprecher, sodass sich der Ton im gesamten Raum verteilt und das Kino-Erlebnis noch beeindruckender macht.

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Der Inhaber ist mit moderaten Eintrittspreisen bestrebt, das Kino-Publikum vor dem Abwandern in die großen Hamburger Filmpaläste abzuhalten. Bei ihm gibt es einen Ausflug in die Traumwelt des Films schon ab acht Euro. Dienstags ist Kinotag, da kostet der Eintritt sieben Euro, für Kinder vier Euro. Ansonsten schlägt eine Kindervorstellung mit 5,50 Euro zu Buche.

Vorführung selbst ist für Jörg Wagner mit der Digitalisierung einfacher geworden

Während der Vorstellung kümmern sich je nach Publikumsandrang fünf bis sieben Mitarbeiter um die Gäste und ihre Wünsche nach Popcorn, Cola und Co. Die Vorführung selbst ist für Jörg Wagner mit der Digitalisierung einfacher geworden. „Früher kamen hier Riesenkisten mit Filmmaterial an. Heute bekommt man nur noch eine Festplatte zugeschickt oder der Film wird per Kabel übertragen“, sagt Wagner.

Jörg Wagners Eltern Ingrid und Fred im Saal des Kinos vor fast 60 Jahren.
Jörg Wagners Eltern Ingrid und Fred im Saal des Kinos vor fast 60 Jahren. © Familie Wagner | Privat

Sein Vater musste die 35-Millimeter-Filme in verschiedenen Akten noch zusammenschneiden, Werbung und Trailer zuschneiden, den Film einlegen, den Projektor anwerfen und eventuell noch einen Objektivwechsel vornehmen. Heute baut Wagner am PC eine Playlist zusammen, verarbeitet Werbung und Standbilder, und der Film startet um 20 Uhr automatisch. Der Chef kontrolliert nur noch, ob auch alles perfekt funktioniert.

Kino Neu Wulmstorf:Positives Feedback auch in den sozialen Medien

Läuft der Film auf der Großleinwand, können sich alle Besucher in den bequemen roten Sesseln zurücklehnen und die neuesten Filme sehen. „Kino ist ein Gemeinschaftserlebnis“, sagt der 54-Jährige. Er erhält aus den sozialen Medien und im persönlichen Gespräch viel positives Feedback für sein Kino-Konzept – nicht erst seit dem zweiten Platz im Deutschland-Ranking.

Und Wagner weiß auch genau, warum: „Einen Fernsehfilm hat man schnell vergessen. Ein gemeinsamer Kinobesuch wirkt lange nach. Da weiß man auch noch nach Wochen, welchen Film man mit wem gesehen hat.“