Apensen. Kündigungswelle mit drastischen Folgen: Samtgemeinde Apensen könnte unter Zwangsverwaltung gestellt werden.
Es ließe sich gut leben in Apensen. Der Kernort der Samtgemeinde im Landkreis Stade bietet gute Einkaufsmöglichkeiten, die Häuser machen einen gepflegten Eindruck, Grund-, Oberschule und Waldorfschule sind vorhanden. Es gibt eine Ein-Mann-Polizeiwache für die Sicherheit, und vom Bahnhof aus kann man bequem ins nahe gelegene Buxtehude und weiter nach Hamburg reisen, wenn man den Ort verlassen möchte. Und genau das scheinen auffallend viele Rathaus-Mitarbeiter zu wollen.
Das Personal der Samtgemeinde-Verwaltung kehrt Apensen reihenweise den Rücken. Das Rathaus wurde von einer Kündigungswelle erfasst, die ihresgleichen sucht. Mitten im allgemeinen Fachkräftemangel muss die Kommune einen wahren Exodus aus dem Rathaus Junkernhof verkraften.
Kündigungswelle im Rathaus Apensen: Drastische Folgen für die Einwohner
Insgesamt verzeichnet allein die Spitze der Samtgemeindeverwaltung seit dem Frühjahr 2021 nach Berechnung der CDU und der Grünen im Samtgemeinderat eine zweistellige Anzahl von Personalabgängen bei 22 Stellen im Stellenplan insgesamt – mit drastischen Folgen für die mehr als 10.000 Einwohner.
Sie müssen bereits seit Jahren massive Einschränkungen und Verzögerungen bei Behördengängen hinnehmen – ebenso wie viele Gewerbetreibende, die regelmäßig über eine schleppende Bearbeitung ihrer Anliegen klagen. Sprechzeiten im Rathaus beschränken sich auf enge Zeitfenster, freie Termine sind nur auf Anfrage verfügbar. Eltern von Kita-Kinder warten zum Teil noch auf Gebührenbescheide aus dem Jahr 2021.
Ein seit Jahren anhaltendes Chaos in der Kassen- und Haushaltsführung
Die Personalprobleme im Rathaus von Apensen sind mitverantwortlich für ein seit Jahren anhaltendes Chaos in der Kassen- und Haushaltsführung, dessen Aufarbeitung sich bis heute hinzieht. Sowohl das Rechnungsprüfungsamt als auch die Kommunalaufsicht haben sich bereits mehrfach mit der „Causa Apensen“ befasst.
Auf Druck der Kommunalaufsicht musste die Samtgemeinde sogar einen Dienstleister für die Erstellung der Haushalte der Samtgemeinde Apensen und der Mitgliedsgemeinden Apensen, Beckdorf und Sauensiek beauftragen – verbunden mit hohen zusätzlichen Kosten für die Steuerzahler.
Deutschlandweiter Trend: Den Rathäusern laufen die Bediensteten davon
In der Samtgemeinde Apensen wird ein Problem sichtbar, das deutschlandweit ein Thema ist und das in der Zukunft weiter akut werden dürfte: Den Rathäusern laufen die Bediensteten davon. Studien zufolge werden dem öffentlichen Sektor bis 2030 zwischen 840.000 und einer Million Fachkräfte fehlen. Momentan sollen es bereits rund 360.000 sein.
Nicht nur die Samtgemeinde Apensen, sondern fast jede Kommune annonciert derzeit Stellenangebote für Verwaltungsjobs. Wer sich mit Gemeindefinanzen, Hoch- und Tiefbau, IT, Klimaschutz oder Sozialarbeit auskennt, hat meist freie Wahl und kann sich Arbeitsplatz und Arbeitsort aussuchen.
Wer „Apensen“ und „Chaos“ googelt, erhält sofort 250.000 Ergebnisse
Apensen gehört allerdings für die umworbenen Verwaltungsfachkräfte nicht zur ersten Wahl. Ein Grund dafür dürfte das schlechte Image der Samtgemeinde als Ort von Konflikten und Differenzen sein. Wer die Worte „Apensen“ und „Chaos“ googelt, erhält sofort an die 250.000 Ergebnisse, „Apensen“ und „Streit“ kommt auf ähnlich viele Treffer.
Große Teile der Politik sehen die Verantwortung dafür und für die personelle Misere bei Samtgemeindebürgermeisterin Petra Beckmann-Frelock, die 2019 überraschend als Kandidatin der Wählergemeinschaft UWA in das Amt gewählt wurde. Sie ist keine Verwaltungsexpertin und deshalb umso mehr auf die Expertise ihrer Fachbereichsleitungen angewiesen. Doch die Bürgermeisterin steht quasi seit ihrem ersten Arbeitstag in der Kritik.
„Es ist der Bürgermeisterin binnen weniger Jahre gelungen, eine gut funktionierende Verwaltung in Teilen handlungsunfähig zu machen“, sagt Rolf Suhr, Vorsitzender der CDU-Fraktion und Bürgermeister der Gemeinde Sauensiek. Grundlegende Verwaltungsaufgaben könnten gar nicht mehr oder nur mit großen Verzögerungen wahrgenommen werden, beklagt Suhr. „Diese Situation ist aus Politik- und Bürgersicht nicht länger hinnehmbar. Apensen ist eine starke Samtgemeinde, die leider unter Wert verwaltet wird“, sagt er.
„Unsere Verwaltung ist für die Fluktuation an ihrer Spitze bekannt“
Die CDU-Fraktion fordert jetzt gemeinsam mit den Grünen Konsequenzen aus dem Apensener Verwaltungsexodus und hat vor dem Hintergrund der „unhaltbaren Personalsituation“ im Rathaus für die nächste Sitzung des Samtgemeinderates am 31. August eine Aussprache über den Zustand der Verwaltung zur Debatte angemeldet.
„Unsere Verwaltung ist mittlerweile weit über die Grenzen Apensens für die Fluktuation an ihrer Spitze bekannt“, sagt Peter Löwel von den Grünen. „Fachbereichsleitungen sind zum Teil dreimal binnen weniger Jahre durchgetauscht worden – und es ist immer noch keine Besserung in Sicht. Wir sind an einem Punkt angekommen, wo politische Beschlüsse nicht mehr umgesetzt werden und staatliche Kernaufgaben nicht mehr ordnungsgemäß wahrgenommen werden können.“ Und es sei schließlich die Aufgabe des Samtgemeinderates, die Verwaltung zu kontrollieren und sie zur Verantwortung zu ziehen, so Löwel.
Mit der Kündigung der Bauamtsleiterin begann der Exodus
Der Exodus aus dem Rathaus in Apensen begann mit der Kündigung der langjährigen Bauamtsleiterin Sabine Benden im Mai 2021 nach heftigen Auseinandersetzungen mit der Bürgermeisterin. Kurz danach verließen auch die Leiterin des Ordnungs- und Standesamtes sowie die Kämmerin das Rathaus. Auch sie hatten der Apensener Verwaltung über Jahrzehnte angehört.
Nach dieser ersten Kündigungswelle blieben alle drei Fachbereichsleitungen im Rathaus monatelang unbesetzt. Als schließlich eine neue Kämmerin gefunden wurde, blieb diese lediglich acht Monate im Amt, bevor sie ebenfalls das Handtuch warf. Die Suche ging von vorn los, und es dauerte wiederum seine Zeit, bis sich mitten in dem Chaos um die Finanzen ein williger Nachfolger fand. Parallel zu den Abgängen aus allen Leitungsfunktionen verließen immer wieder Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus der zweiten Reihe das Rathaus.
Auch der Stellvertreter der Bürgermeisterin wirft demnächst den Hut
Zuletzt gipfelte der Verwaltungsexodus in der Ankündigung von Ordnungsamtsleiter Edgar Rot, seinen Posten nach nur zwei Jahren demnächst wieder räumen zu wollen. Damit verliert die Samtgemeinde inmitten der ohnehin angespannten Personallage den Allgemeinen Stellvertreter der Samtgemeindebürgermeisterin und eine weitere Führungskraft in Schlüsselpositionen.
Auch der Fachbereich Bauwesen ist quasi verwaist: Bauamtsleitung und Stellvertretung sind vakant. „Dieser Zustand ist untragbar“, so Rolf Suhr mit Blick auf die Bauvorhaben in der wachsenden Samtgemeinde, die seit Jahren vom angespannten Mietmarkt im Großraum Hamburg profitiert und für eine Kommune ihrer Größenordnung über viel Gewerbe verfügt.
„Würden uns außerhalb des demokratischen Prozesses bewegen“
Die Kommunalaufsicht des Landkreises Stade hat sich bereits mehrfach mit Apensen beschäftigt und zur Sicherung der Kommunalwahl 2021 sogar mit Personal ausgeholfen. Im Extremfall könnte sie die Samtgemeinde unter Zwangsverwaltung stellen, wie Stades Erster Kreisrat Thorsten Heinze dem Abendblatt auf Nachfrage bestätigte: „Das wäre aber die Ultimo Ratio, denn sobald jemand von außerhalb die Aufgaben eines gewählten Vertreters übernimmt, bewegen wir uns außerhalb des demokratischen Prozesses.“
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Heinze hat die Verwaltungschefin in Apensen um eine Stellungnahme gebeten, die Kommunalaufsicht wird die kürzlich eingegangene Antwort auswerten und den Gesamtzustand bewerten, wie der Erste Kreisrat sagt. „Ich will aber der Diskussion im Samtgemeinderat nicht vorgreifen. Ich bewerte diese als positiv. Zunächst müssen dort Überlegungen angestellt werden, wie man sich aus dieser Situation befreit. Doch wenn die Rahmenbedingungen es erfordern, würden wir auch handeln“, so Heinze.
Im niedersächsischen Innenministerium ist kein ähnlicher Fall bekannt
Das wäre auch für den Kreisrat bisher einmalig: „Einen Fall, in dem ein Beauftragter der Kommunalaufsicht die Aufgaben eines gewählten Hauptverwaltungsbeamten übernommen hat, habe ich in meiner über 20-jährigen Laufbahn noch nicht erlebt. Und beim Innenministerium in Hannover, dem wir in dieser Sache berichten müssen, kennt auch niemand so ein Beispiel aus eigenem Erleben“, so Heinze.
Samtgemeindebürgermeisterin Petra Beckmann-Frelock wollte keine Stellungnahme zur Personalnot in ihrem Rathaus und zur Kritik an ihrer Person abgeben, wie sie über eine Mitarbeiterin telefonisch mitteilen ließ. Es dürfte eines der letzten Telefonate dieser Fachkraft im Auftrag ihrer umstrittenen Chefin gewesen sein: Nach Abendblatt-Informationen wird auch sie die Samtgemeinde demnächst auf eigenen Wunsch verlassen.