Landkreis Harburg/Lüneburg. Balkonkraftwerke und Bushaltestellen: Fünf Orte der Binnenmarsch bemühen sich beim Land um Fördergelder. Bedarf gibt es reichlich.

Weite, Ruhe, Naturnähe – das Leben auf dem Dorf hat viele Vorteile. Dennoch gibt es bezüglich der Lebensqualität vielerorts noch Luft nach oben.

Das finden auch die Bürger von Wittorf, Handorf, Fahrenholz, Mover und Hunden. Als Region „Untere Ilmenau“ bemühen sie sich seit drei Jahren, gemeinsam ins niedersächsische Dorfentwicklungsprogramm aufgenommen zu werden. Gerade wird der dritte Antrag ans Amt für regionale Landesentwicklung in Lüneburg geschickt. Ob es diesmal klappt und künftig Fördergelder sowohl für öffentliche als auch private Anliegen fließen werden, entscheidet sich im kommenden Frühjahr.

Dorfentwicklung an der Unteren Ilmenau: Im dritten Anlauf soll es klappen

Jörn Stoffregen und Marlies Mohrmann sind zuversichtlich. „Beim ersten Mal klappt es eigentlich nie, weil die Behörde sehen will, ob die Leute auch bei der Stange bleiben. Unser zweiter Antrag war schon sehr gut, wir waren knapp dran. Jetzt, in den dritten Antrag, ist die intensive Arbeit des vergangenen Jahres eingeflossen. Das muss einfach reichen“, sagt Jörn Stoffregen.

Der gebürtige Drager und seine Mitstreiterin, die in Stove wohnt, sind Ratsmitglieder der Gemeinde Drage und koordinieren seit einem Jahr die Vorbereitungen zur Antragstellung für die Dörfer Fahrenholz, Mover und Hunden.

Initiative muss aus der Mitte der Bevölkerung kommen

Dazu haben Stoffregen und Mohrmann ein Dutzend Versammlungen einberufen und geleitet, denn die Initiative zur Dorferneuerung muss aus der Mitte der Bevölkerung kommen. Das ist die wohl wichtigste Voraussetzung für die Aufnahme ins Förderprogramm.

An der unteren Ilmenau herrscht noch ländliche Idylle.
An der unteren Ilmenau herrscht noch ländliche Idylle. © HA | martina berliner

Auch die Infoabende sind Teil eines geförderten Projekts: „MITEINANDER REDEN“ ist ein Förder- und Qualifizierungsprogramm der politischen Bildung, das bundesweit Projekte in ländlichen Räumen fördert, die den wertschätzenden Dialog, demokratische Aushandlungsprozesse befördern und Teilhabe vor Ort initiieren.

Denkmalgeschützte Höfe sollen renoviert werden

Zur Auftaktveranstaltung in der Hundener Grundschule kamen 80 Interessierte aus den Dörfern der Binnenmarsch. Männer, Frauen, Jugendliche. Schnell bildeten sich Projektgruppen zu den Themen Treffpunkte für Jung und Alt, Naturschutz, Grundversorgung und Infrastruktur. Das gemeinsame Ziel: Erhaltung des Dorfcharakters und Verbesserung der Lebensqualität in der Region.

Es geht um viele Themen und Projekte: den Schutz von Kiebitz-Brutrevieren, dörfliche Gemeinschaftseinrichtungen, die Renovierung denkmalgeschützter Höfe, um einen Erlebnispfad, die Modernisierung von Bushaltestellen, die Verbesserung des Einkaufsangebots und die Gründung eines Fördervereins.

Balkonkraftwerke sorgen für günstigen Solarstrom

Auch eine Gruppe „Erneuerbare Energien“ hat sich formiert und kann bereits Ergebnisse präsentieren. Es wurden gemeinschaftlich 88 Solarmodule sogenannter Balkonkraftwerke erworben, die derzeit in gegenseitiger Hilfe installiert werden.

Dieses ortsprägende, denkmalgeschützte Bauernhaus in Hunden könnte von der Förderung des Dorfentwicklungsprogramms profitieren.
Dieses ortsprägende, denkmalgeschützte Bauernhaus in Hunden könnte von der Förderung des Dorfentwicklungsprogramms profitieren. © HA | martina berliner

Davon profitieren nicht nur jene 18 Haushalte, die nun günstigen und umweltfreundlichen Solarstrom beziehen. Mit diesem Beweis gemeinschaftlichen Planens und Handelns könne die Region durchaus auch bei der Bewerbung fürs Dorfentwicklungsprogramm punkten, sagt Torben Braun, der im Amt für Regionale Landesentwicklung in Lüneburg für eine erste Bewertung der Anträge zuständig ist.

Die Entscheidung liegt aber letztlich beim Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in Hannover.

Gemeinschaftsgeist, Gestaltungswillen – und Erfahrung

In Hunden wird der „Kinder Garten“, ein Garten, in dem Mädchen und Jungen Pflanzen ziehen können, bereits durch das EU-Maßnahmenprogramm LEADER unterstützt. Bestehende Förderprojekte wie dieses schlagen laut Torben Braun bei der Bewerbung zum Dorfentwicklungsprogramm positiv zu Buche. Zeigt dieser Umstand doch, dass die Bürger Gemeinschaftsgeist, Gestaltungswillen und Erfahrung haben.

Nicht zuletzt bei der Nutzung der diversen Fördertöpfe. „Wir planen derzeit die Veranstaltung eines Festivals. Zuschüsse bekämen wir von ‚Startklar in die Zukunft‘, einem niedersächsischen Aktionsprogramm, das Kinder und Jugendliche fördert“, berichtet Marlies Mohrmann. „Grade die Jugend braucht, um am Ball zu bleiben, sichtbare Erfolge und das Gefühl, dass sich etwas tut.“

Großes Grillfest bei der Käserei Fehling in Fahrenholz

Auch die Älteren brauchen langen Atem, um durchzuhalten. „Es kostet immer wieder Kraft, sich selbst und andere zu motivieren“, bekennt Jörn Stoffregen. Weder der Exportkaufmann noch Marlies Mohrmann, Medizinisch Technische Assistentin, hatten Erfahrung in derartigen Behördenangelegenheiten.

Und sie hatten auch noch nie Versammlungen moderiert, als sie – gerade erst in den Gemeinderat gewählt – die Betreuung des Bewerbungsverfahrens übernahmen.

„Es kostet immer wieder Kraft, sich selbst und andere zu motivieren“: Weder Jörn Stoffregen noch Marlies Mohrmann hatten Erfahrung mit einem Antrag auf Fördermittel für ein Dorfentwicklungsprogramm.
„Es kostet immer wieder Kraft, sich selbst und andere zu motivieren“: Weder Jörn Stoffregen noch Marlies Mohrmann hatten Erfahrung mit einem Antrag auf Fördermittel für ein Dorfentwicklungsprogramm. © HA | martina berliner

Sie haben sich durchgebissen. Die Anfängliche Skepsis der Bürger ist längst Respekt und Vertrauen gewichen und sowohl Stoffregen als auch Mohrmann macht die Arbeit großen Spaß. „ Es ist so schön, Menschen zusammen zu bringen und etwas Neues zu schaffen“, sagt Jörn Stoffregen. Demnächst gibt es ein großes Grill-Fest bei der Käserei Fehling in Fahrenholz. Gefeiert werden die während der vergangenen Jahre gewachsene dorfübergreifende Gemeinschaft, die Abgabe der Bewerbung und damit das Ende der Arbeit.

Und was, wenn wieder eine Absage kommt?

„Das vorläufige Ende!“, wie Jörn Stoffregen betont. Er hat keinerlei Zweifel daran, dass die Bewerbung der Region „Untere Ilmenau“ diesmal Erfolg haben wird. Dann wird es in den kommenden Jahren erst so richtig losgehen mit Detailplanungen und neuerlichen Anträgen für die einzelnen Projekte sowie schließlich und endlich deren Umsetzung.

Und was, wenn wieder eine Absage kommt? „Dann machen wir weiter. Denn das miteinander Reden, der Gedankenaustauch, das Erkennen und Entwickeln gemeinsamer Interessen und Ideen, ist unendlich wertvoll für alle. Wir haben jetzt schon viel gewonnen.“

Das Programm zur Förderung der Dorfentwicklung ist in Niedersachsen eines der zentralen und nachhaltigsten Förderinstrumente für die ländlichen Räume. Zehn Dorfregionen wurden in Frühjahr 23 neu aufgenommen, darunter die Winsener Geest im Landkreis Harburg und die Elbstromdörfer um Drochtersen im Landkreis Stade. Damit befinden sich nun zwischen Nordseeküste, Elbmündung und Harz 216 Dorfentwicklungsverfahren mit insgesamt 810 Dörfern in dem Programm.