Landkreis Harburg/Stade/Buxtehude. In manchen Städten und Gemeinden der Region haben Kinder und Jugendliche echte Entscheidungsgewalt und können Geld ausgeben.
Kinder und Jugendliche an politischen Entscheidungen zu beteiligen – das ist seit Jahrzehnten gesetzlich vorgeschrieben. In der Praxis sorgen die Bundesländer, Städte und Gemeinden unterschiedlich stark dafür, dass der Nachwuchs dieses Recht auf Teilhabe und Mitbestimmung wahrnehmen kann. Auch vor Ort variieren die Bemühungen, wie der Blick auf die Lage in unserer Region zeigt.
Zum Internationalen Kindertag am 1. Juni hat unsere Redaktion die größeren Orte im Landkreis Harburg und im Umland dazu aufgerufen, die zentralen Projekte zur Beteiligung vorzustellen. Mit dabei: die Städte Buchholz, Winsen, Lüneburg und Buxtehude sowie die Gemeinde Seevetal.
Wo Kinder mitbestimmen dürfen: „Partizipationslandschaft“ in Lüneburg
Besonders breit aufgestellt ist demnach die Stadt Lüneburg. Auch Winsen und Buxtehude sind aktiv. In Buchholz haben junge Menschen besondere Rechte in der Kommunalpolitik.
Waldemar Stange von der Leuphana Universität Lüneburg kennt sich mit diesem Thema aus. Als Senior-Professor für Sozialarbeit und Sozialpädagogik lehrt und forscht zu Kinderrechten und Beteiligungsformen und berät als Experte genauso die große Politik wie auch einzelne Kommunen.
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Er sagt: Wo feste Formen der politischen Beteiligung wie Jugendparlamente (auch Kinder- und Jugendbeirat, Jugendrat, Jugendstadtrat oder ähnlich genannt) funktionieren, existiert meistens ein ganzes Netzwerk von Mitbestimmungsmöglichkeiten. Er nennt das eine „Partizipationslandschaft“.
Kinder und Jugendliche können das gesellschaftliche und politische Leben nämlich durch ganz unterschiedliche Formate und Projektformen mitgestalten. Ein Selbstläufer sei die Partizipation von Kindern und Jugendlichen nie.
Das sind die Erfolgsfaktoren für Kinder- und Jugendparlamente und Co.
Auch Kommunen vor Ort mussten die Erfahrung machen, dass Anläufe zur Mitbestimmung scheitern oder verebben. Teilweise mehrfach. So rief die Stadt Buxtehude bereits zwei Modelle eines Jugendparlaments erfolglos ins Leben, nun startet die Verwaltung einen dritten Versuch.
Obwohl jede Kommune ihren eigenen Weg finden müsse, gebe es übergreifende Erfolgsfaktoren und Orientierungshilfen. Und die sind wichtig, denn Kommunen sind gesetzlich verpflichtet, für Kinder „geeignete Formen“ zu finden.
Eine wichtige Erkenntnis aus Studien: „Jugendliche wollen keinen Parteienstreit, das ist ihnen zuwider“, so Waldemar Stange. Auch wichtig: Die Arbeit soll Spaß machen, unkompliziert organisiert sein – aber nicht im Sande laufen.
Und: Junge Menschen wollen sich nicht auf Dauer binden. Daher funktionierten projektbezogene Formen tendenziell besser als feste Einrichtungen wie Parlamente. Häufiges Beispiel ist die Mitgestaltung von Spielplätzen. Mit einem festen Anlass und einem sichtbaren Ergebnis sorge eine solche Form der Beteiligung für hohe Motivation bei Kindern.
Besonders wichtig: Lockerer Einstieg und feste Ansprechpartner
Wer einmal eine Partizipationserfahrung mache, setze das Engagement in dem meisten Fällen fort. Viele Kommunen setzen daher auf Kinderkonferenzen, Jugendforen, Workshops und ähnlichen Veranstaltungen – mit weniger strengen Abläufen als sie bei Parlamente und Beiräten üblich sind.
Doch auch verbindliche Elemente erhöhen die Erfolgschancen. So seien insbesondere Geldtöpfe (Budgets), über die Kinder und Jugendliche selbstständig entscheiden können, förderlich. Besonders wichtig sei die dauerhafte Betreuung der Beteiligungsangebote – im besten Fall von hauptamtlichen Ansprechpartnern.
So beteiligt Lüneburg Kinder und Jugendliche:
In der Stadt Lüneburg sind die Beteiligungsstrukturen stark ausgeprägt und werden kontinuierlich ausgeweitet, wie eine Sprecherin mitteilt. Die Kommune setzt auf unterschiedliche Formate.
Dauerhaft mitbestimmen können Kinder und Jugendliche etwa in vier Stadtteil-Jugendräten. Dort können sich Teilnehmer ab zehn Jahren zu Vertretern oder Vertreterinnen wählen lassen. Sie entscheiden und diskutieren über Programme, Aktionen, Anschaffungen oder Veranstaltungen im Stadtteil und leiten Wünsche oder Kritik aus den Treffs an die Verwaltung weiter.
Seit August 2020 gibt es zudem ein übergeordnetes Jugendparlament/Jugendforum. Das Gremium besteht aus Vertretern der Stadtteil-Jugendräte und anderer Jugendorganisationen und darf auch Projekte im Stadtgebiet mit einem eigenen Budget finanzieren.
Lüneburg nimmt an dem Förderprogramm „Demokratie leben!“ teil. Laut Waldemar Stange ist die Teilnahme an dem Programm daran geknüpft, dem Jugendforum einen Topf in Höhe von 8000 Euro zur Verfügung zu stellen. Seit Herbst 2022 können Kinder und Jugendliche eigene Projektideen vom Jugendforum (mit-)finanzieren lassen.
Mit jährlichen Kinder- und Jugendkonferenzen bietet Lüneburg auch regelmäßig ein offenes Beteiligungsformat.
Besonders wichtig ist der Stadt der Ansatz, die Partizipation im Alltag zu fördern. Sie verstehe „Partizipation als Querschnittsaufgabe und Haltung für ihr gesamtes Tun, also für sämtliche Aktivitäten, Aufgaben- und Projektbereiche“, wie es aus der Pressestelle heißt.
Mittels pädagogischer Begleitung gehe es den zuständigen Mitarbeitern Jugendpflege darum, die Kinder und Jugendlichen dazu anzuregen, ihre Umgebung mitzugestalten. Zum Beispiel das nächste Ferienprogramm. Bei der Gestaltung von Spielplätzen werde der Nachwuchs schon seit Jahrzehnten eingebunden.
So beteiligt Seevetal Kinder und Jugendliche:
In der Gemeinde Seevetal gibt es derzeit keine festen Beteiligungsstrukturen mit Entscheidungsgewalt oder Budgets für Kinder und Jugendliche. Für einzelne Projekte – zuletzt der Spielplatz in Maschen am Haulandsweg – werden sie informell miteinbezogen, wie es von der Verwaltung heißt.
Zuletzt ist in Seevetal Bewegung in die Sache gekommen. Wie Partizipation künftig umgesetzt und gelebt werden soll, bespricht derzeit ein Arbeitskreis. Im November 2022 stellten sich Seevetal und die Nachbarstädte Winsen und Buchholz gegenseitig ihre Aktivitäten im Bereich Jugendbeteiligung vor.
So beteiligt Buchholz Kinder und Jugendliche:
In Buchholz gibt es seit 2015 einen Jugendrat. Zehn Mitglieder im Alter zwischen 14 und 20 Jahren setzen sich für die Belange der Kinder und Jugendlichen in der Stadt ein. Gewählt wird das Gremium alle zwei Jahre. Eine Aufgabe: Die Interessen junger Menschen in der Lokalpolitik vertreten.
Dafür haben die Jugendräte das Recht, eigene Äntrage im Stadtrat zu stellen. Festgehalten ist das per Ratsbeschluss in einer verbindlichen Satzung. Diese räumt den Gewählten außerdem ein Rederecht in Ausschüssen und ein Anfragerecht gegenüber der Verwaltung ein.
Der Jugendrat veranstaltet außerdem Events wie ein Open-Air-Kino oder Podiumsdiskussionen. Die Stadt stellt den Vertretern ein jährliches Budget von derzeit 5000 Euro zur Verfügung.
Winsens Jugendpflege beteiligt den Nachwuchs gelegentlich auch bei der Stadtgestaltung. So planten und bauten im vergangenen Jahr viele Kinder der Waldschule in einem Workshop drei Spielgeräte der neuen Buchholzer Fußgängerzone mit. Solche Treffen gab es auch für neue Spielgeräte auf verschiedenen Spielplätzen.
So beteiligt Winsen Kinder und Jugendliche:
In Winsen bestimmen Kinder und Jugendliche insbesondere bei Einzelvorhaben mit. Es gibt aber auch feste Beteiligungsstrukturen.
Die Stadt beteiligt Kinder nach eigener Aussage bewusst bei konkreten Projekten, die auf sie zugeschnitten sind. Die Projekte sollen Kinder unmittelbar betreffen, verständlich und in kurzer Zeit umzusetzen sein. Ein Beispiel ist eine Stadtrallye zur Vorbereitung der Innenstadtsanierung, bei Kinder ihre Lieblingsorte verraten.
Die Form wähle die Stadt je nach Einzelfall. Per Malwettbewerb haben Winsens Kinder etwa ein neues Spielgerät für den Luhe-Spielplatz ausgewählt. Für neue Spielgeräte in der sanierten Rathausstraße setzte die Kommune auf einen kindgerechten Fragebogen.
Auch auf Jugendliche geht Winsen gezielt zu. In der Vergangenheit beispielsweise einer Jugendbefragung zur Innenstadtsanierung. Standort, Ausstattung und Geräte eines Multifunktionssportplatzes in Laßrönne wählten Jugendlichen aus dem Ort in zwei Arbeitskreisen aus.
Bei einer mehrtägigen Zukunftswerkstatt entwickelten Jugendlichen außerdem unter Anleitung von Experten der Leuphana Universität Lüneburg ein Konzept für das neue Jugendzentrum der Stadt.
Seit längerem etabliert sind zwei Jugendarbeitskreise für die Dorfentwicklung in der Winsener Marsch sowie Laßrönne und Tönnhausen. Seit 2021 und bis Ende 2023 läuft zudem das Modellprojekt „Rotierender Jugendrat“. Dieser Rat hat in fachlich begleiteten Workshops eine Themen- und Ideensammlung zur Lebensqualität für Jugendliche in Winsen erarbeitet. Die Anregungen und Wünsche präsentieren die beteiligen Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren dann der Politik und der Öffentlichkeit.
Institutionell verankert mit Beteiligungsrechten wie der Buchholzer Jugendrat ist dieses Gremium nicht. Im Haushalt der Stadt stehen für Projektaktionen 12.000 Euro zur Verfügung.
So beteiligt Buxtehude Kinder und Jugendliche:
Die Stadt Buxtehude spricht von einem „weit verzweigten Engagement innerhalb der Stadt“ und liefert einige Beispiele. So veranstaltet das 2022 gegründete „Bündnis für ein kinderfreundliches Buxtehude“ zum Internationalen Kindertag Aktionen mit 16 Mitmachstationen.
Kinder und Jugendliche spielen auch beim großen Programm zur Öffentlichkeitsbeteiligung mit dem Titel „Buxtehude 2035“ eine Rolle. Am Internationalen Kindertag sollen sie etwa Wunschzettel gestalten und an einen „Wunschzaun“ hängen.
Für eine Modernisierung etwa des Spielplatzes Petersmoor organisierte die Stadt fünf Beteiligungstreffen und eine Online-Umfrage, um die Wünsche der Kinder und Eltern in die Planung einzubeziehen.
Die Ergebnisse werden öffentlich kommuniziert: „Klettermöglichkeiten, Rutschen und Schaukeln für Groß und Klein, standen dabei weit oben auf der Wunschliste – ebenso die Entfernung der Dornen und die Schließung des Zaunes als Abgrenzung zum Wasser“, heißt in einer Pressemitteilung.
Permanente Beteiligungsformen werden in Buxtehude gerade entwickelt: Ein neuer Anlauf für ein „Jugendparlament“ startet nach dem Sommerferien. Die Stadt plant ein offenes Beteiligungsforum mit Projektgruppen, das diesmal unter Mitarbeit von Jugendlichen ins Leben gerufen werden soll.
Im April hat der Schulausschuss auf Anregung der SPD beschlossen, Schülerinnen und Schüler generell bei Baumaßnahmen an den Schulen frühzeitig zu beteiligen.
Wie entwickeln sich die Einflussmöglichkeiten von Kindern?
Was die Entwicklung von Kinderrechten und insbesondere die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen angeht, ist Waldemar Stange positiv gestimmt. Über die Jahrzehnte sei auf allen Ebenen ein langsamer, aber kontinuierlicher Prozess zu beobachten.
So habe sich die Zahl der Kommunen in Niedersachsen, die Kinder überhaupt mitentscheiden lassen, in den vergangenen 20 bis 30 Jahren stark erhöht. Von einem Drittel auf fast 70 Prozent.