Lüneburg. Michael Moormann, Chef des Lüneburger Klinikums, erklärt die neue Gesetzeslage in Niedersachsen – und warum ein Blick nach Dänemark lohnt.

Die Vorschläge von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach für eine Krankenhausreform sind noch in der politischen Diskussion, in Niedersachsen ist man mit dem Strukturwandel schon einen Schritt weiter: Das Bundesland hat im vergangenen Sommer ein neues Krankenhausgesetz verabschiedet und damit vieles vorweggenommen, was bald in ganz Deutschland gelten könnte.

„Im Prinzip gehen alle Veränderungen in die gleiche Richtung“, sagt Michael Moormann, Geschäftsführer des Klinikums Lüneburg. Künftig soll nicht mehr jedes Krankenhaus alles anbieten, sondern die Leistungen sollen konzentriert werden, um eine hohe Qualität zu sichern. Eine der wichtigsten Neuerungen sieht vor, die derzeit 168 Krankenhäuser in Niedersachsen in drei Versorgungsstufen einzuteilen: Grund- und Regelversorgung, Schwerpunktversorgung und Maximalversorgung. Zudem ist das Land nun in acht Planungsregionen eingeteilt, in sechs Regionen gibt es bereits einen Maximalversorger. In der Region um Lüneburg, die auch die Landkreise Harburg, Lüchow-Dannenberg und Uelzen umfasst, erfüllt bisher kein Krankenhaus alle Kriterien für diese höchste Stufe.

Das Klinikum verfügt über 563 Betten, ein Maximalversorger brauch 600

Moormann würde das gern ändern und das Lüneburger Haus auch offiziell zum stärksten Anker der Krankenhauslandschaft in der Region machen. Bisher gilt das Klinikum, das unter anderem eine Geburtsklinik der höchsten Versorgungsstufe (Perinatalzentrum Level 1), eine Kardiologie mit Chest Pain Unit und eine Neurologie mit Stroke Unit umfasst, als Schwerpunktversorger. „Wir sind mit Abstand das größte und leistungsfähigste Krankenhaus in der Region“, sagt der Geschäftsführer. „Selbstverständlich haben wir den Anspruch, hier der Maximalversorger zu sein.“ Doch ganz so einfach ist die Sache nicht.

Die größte Hürde ist die Zahl der Betten, die durch den Krankenhausplan festgelegt. Das Klinikum verfügt über 563 Betten, für das höchste Level sind 600 notwendig. Zudem gibt es nur sieben Fachabteilungen, eine weniger als gefordert. Eine Vergrößerung des Hauses, zum Beispiel durch eine weitere Fachabteilung, sei, so Moormann, wegen der Vorgaben durch den Krankenhausplan kaum möglich. „Wir bemühen uns seit langem um eine Neurochirurgie, weil das in Nordostniedersachsen dringend fehlt. Aber das wird seit mehr als 20 Jahren vom Land nicht entschieden.“

Es gibt eine Klausel im Krankenhausgesetz, die Ausnahmen ermöglicht

Bleiben dem Klinikumschef zufolge zwei Möglichkeiten, um doch noch die höchste Versorgungsstufe zu erreichen. Die erste setzt auf eine formale Neuorganisation innerhalb der Gesundheitsholding Lüneburg. Dieses Unternehmen in der Hand der Stadt umfasst neun Gesellschaften. Nicht nur das Städtische Klinikum gehört dazu, sondern auch die Psychiatrische Klinik Lüneburg – mit zwei Fachabteilungen und insgesamt 300 Betten. „Theoretisch könnte man die beiden Häuser in einer GmbH mit zwei Geschäftsführern zusammenfassen, um den Maximalversorgerstatus zu erreichen“, sagt Moormann. Dies wäre zwar aus seiner Sicht mit keinen praktischen Veränderungen verbunden, schon jetzt gebe es enge Kooperationen. Es wäre jedoch aufwendig, die zwei Unternehmenskulturen zusammenzuführen. „Und es ist auch nicht notwendig.“

Denn es gibt eine zweite Möglichkeit, die zumindest im niedersächsischen Gesetz verankert ist. Darin findet sich ein Absatz, der unter bestimmten Voraussetzungen Abweichungen von den Kriterien erlaubt. Dies gelte zum Beispiel für nahe beieinander liegende Krankenhäuser, so Moormann. Diese Klausel sei nicht nur für Lüneburg sinnvoll. Auch in Oldenburg und Osnabrück gebe es jeweils leistungsfähige Kliniken, die – trotz enger Kooperationen mit weiteren Häusern – für sich allein genommen die Kriterien zur Maximalversorgung nicht erfüllen. „Das ist die Krux der Krankenhausplanung“, sagt der Lüneburger Geschäftsführer. „Auf der einen Seite wird eine immer größere Spezialisierung gefordert. Auf der anderen Seite müssen wir alles vorhalten, um als Maximalversorger anerkannt zu werden.“ Inwiefern die Ausnahmeregelung für Lüneburg angewandt werden kann, ist noch offen.

Entwurf aus Berlin sieht vor, bestimmte Leistungen nur in Level-III-Häusern anzubieten

Der Entwurf für eine bundesweite Reform geht in eine ähnliche Richtung wie das niedersächsische Gesetz, auch hier werden die Krankenhäuser in drei Stufen eingeteilt. Er geht jedoch noch weiter: Bestimmte Leistungen sollen nur in Krankenhäusern der Stufe 3 angeboten werden dürfen. Dies werde allerdings nicht die notwendigen strukturellen Verbesserungen bringen, sagt Moormann. Im Gegenteil: „Das wird aus meiner Sicht zu erheblichen Versorgungsengpässen führen.“

Der Klinikumschef verdeutlicht die befürchteten Folgen an einem Beispiel: In Lüneburg werden pro Jahr 40 Menschen an der Bauspeicheldrüse operiert, zehn Eingriffe dieser Art sind die Untergrenze für eine Einordnung in die höchste Versorgungsstufe. Solange das Klinikum jedoch als Schwerpunktkrankenhaus gilt, sind diese Operationen nicht vorgesehen. „Obwohl wir viel Erfahrung in diesem Bereich haben, dürften wir das dann nicht mehr machen. Viele Patienten würden nicht nur später versorgt werden, sondern wahrscheinlich auch schlechter“, sagt Moormann, der den Entwurf aus Berlin in seiner derzeitigen Form kritisch sieht: „Hinter diesem Vorschlag stehen noch viele Fragezeichen.“

Dänemark hat seine Krankenhauslandschaft schon vor Jahren reformiert

Für eine umfassende und damit wirkungsvolle Reform empfiehlt er den Blick nach Dänemark. Dort wurde bereits seit 2007 eine – durchaus umstrittene – Krankenhausreform umgesetzt und die Strukturen zentralisiert. Das Land mit knapp sechs Millionen Einwohnern ist nun in sechs Planungsgebiete eingeteilt, in denen jeweils mehrere kleine Krankenhäuser durch ein großes Krankenhaus ersetzt wurden. „Dabei ist man strategisch vorgegangen. Zuerst wurden die neuen Krankenhäuser gebaut und parallel der Rettungsdienst ausgebaut und erst im letzten Schritt haben sie in Dänemark die kleinen Häuser geschlossen“, sagt Moormann. In Deutschland werde dagegen der wirtschaftliche Druck auf die Krankenhäuser immer weiter erhöht. „Dann guckt man, wer das überlebt. Und mit denen fangen wir dann was an.“ Die Versorgung sei in Dänemark durch die Reform besser geworden, trotz längerer Fahrtzeiten. So sei zum Beispiel die Sterblichkeit bei Herzinfarkten deutlich gesunken.

Neben der Aufgabe, die strukturellen Veränderungen mitzutragen, steht das Klinikum Lüneburg – wie viele andere Krankenhäuser – vor finanziellen Herausforderungen. So wird für 2023 ein Fehlbetrag von bis zu 20 Millionen Euro erwarten. Dank einer außergewöhnlichen hohen Eigenkapitalquote gebe es aber keine großen Probleme mit der Liquidität, betont Moormann. Auch die Stadt gebe dem Klinikum Sicherheit. Eine Privatisierung – wie sie jüngst für alle städtischen Beteiligungen im Rat diskutiert und mehrheitlich abgelehnt wurde – ist ihm zufolge kein Thema. „Krankenhäuser sind ein elementarer Bestandteil der Daseinsvorsorge. Und unsere Oberbürgermeisterin Frau Kalisch wird nicht müde zu betonen, dass sie an der kommunalen Struktur festhalten möchte.“

Krankenhaus will durch Kooperationen Maximalversorgerstatus erreichen

Für das Klinikum Lüneburg sieht der Geschäftsführer trotz aller Herausforderungen eine sichere Zukunft. „In fünf bis zehn Jahren werden wir ein Maximalversorger sein, aber wir müssen nicht alles selbst anbieten. Als größtes und wichtigstes Krankenhaus in der Region werden wir viele Kooperationen eingehen, um die Gesundheitsversorgung im Nordosten Niedersachsens maßgeblich zu gestalten.“ Auch baulich wird das Klinikum wachsen, dafür soll zur Jahreswende zunächst ein älteres Gebäude abgerissen werden, um Platz für ein Eltern-Kind-Zentrum zu machen. Den geplanten Neubau hat das Land in sein Investitionsprogramm aufgenommen und Fördermittel in Höhe von bis zu 38 Millionen Euro zugesagt.