Hollenstedt. Stefan Kruecken hat mit 170 Schiffsführern gesprochen – und hat viele kluge Ratschläge für Politik und Gesellschaft bekommen.
Kein Journalist kennt mehr Kapitäne als Stefan Kruecken. Der Verleger aus Hollenstedt hat mit seinem kleinen Ankerherz-Verlag eine Lücke auf dem Buchmarkt geschlossen – denn Kapitäne haben vieles zu erzählen, von Orkanfahrten und Weltumseglungen, von Gefahr und Mut an Bord.
In seinem neuen Buch „Das muss das Boot abkönnen“, ein Zitat aus dem Film „Das Boot“ von Wolfgang Petersen, spielt Kruecken sein Wissen über und von Kapitänen aus und beantwortet die Frage, was wir von ihnen in dieser Krise lernen können.
Hamburger Abendblatt: Sie spannen den Bogen von hoher See zum hohen Haus, von der Schifffahrt zur Politik. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Stefan Kruecken: Seit einigen Monaten spitzt sich die Situation zu: Jeder sucht den richtigen Kurs im aufziehenden Sturm, ob als Person, als Paar, als Familie, als Unternehmer. Wer aber kennt sich gut mit Stürmen aus? Kapitäne. Mir fiel der Satz von Kapitän Charly Behrensen ein. Er fragte immer: „Na, min Jong, sind Frauen und Kinder gesund?“ Wenn ich ja sagte, antwortete er stets: „Dann ist gut. Den Rest kannst du schon irgendwie regeln.“ Das ist ein ungemein tröstlicher Gedanke. Ich habe sicher mit 170 alten Kapitänen gesprochen – und nun nach Mustern für Krisenzeiten gesucht.
Viele maritime Bilder tauchen in der derzeitigen Debatte auf. Braut sich ein perfekter Sturm zusammen?
Kruecken: Den Eindruck kann man bekommen, weil sich die Probleme gegenseitig verstärken – die Pandemie, der Krieg, die Inflation, die Klimakrise. Wir brauchen aber Zuversicht. Deshalb habe ich das Buch geschrieben. Es gibt Lösungen, wir sind den Herausforderungen nicht hilflos ausgeliefert.
Wie macht sich denn Käpt‘n Scholz im Vergleich?
Kruecken: Ich denke bei ihm oft an den Hamburger Kapitän Erich Feith, der in Gefahr und Not sein sogenanntes Dienstgesicht aufgesetzt hat. Scholz macht das auch, er strahlt Ruhe aus, hat etwas Stoisches. Ich bin nicht mit allem einverstanden, was er tut, aber wer ist das schon? Seine demonstrative Ruhe ist in der derzeitigen Lage das Richtige. Ich hätte jetzt ungern einen hektischen Selbstdarsteller auf der Bühne.
Es gehört sich für einen Kapitän nicht, Emotionen zu zeigen. Gilt das auch für Politiker?
Kruecken: Derzeit zumindest ist es eine Stärke. Die Menschen sind verunsichert, sie haben Angst. Da würde Emotionalität die Dinge noch verschärfen. Vielleicht wirkt Scholz deshalb manchmal unnahbar, vielleicht sogar arrogant – aber mit abschließenden Bewertungen sollten wir warten.
Ihren Autor Kapitän Schwandt haben Sie 2016 mit Olaf Scholz in der Haifischbar zusammengebracht.
Kruecken: Ja, der Bürgermeister wirkte damals sehr verbindlich. Schwandt sprach ihn auf zwei vergammelte Hafenkräne vor der Haifischbar an, und Scholz versprach, sich zu kümmern. Das hat er getan. Auch später hielt er über sein Büro Kontakt zum schwer erkrankten Kapitän Schwandt.
Was kann Politik denn von Kapitänen lernen?
Kruecken: Kapitäne sind Menschen, die klare Entscheidungen treffen und dabei bleiben müssen. Sie wissen, wie sie ihr Schiff auf einen Sturm vorbereiten und wie sie die Crew zusammenhalten. Sie wissen, was sie erwartet und wo sie hinmüssen. Sie lassen vor dem Sturm die Bullseyes schließen, die Lashings überprüfen, die Leinen einholen und richten klare Ansprachen an die Crew. Sie bewahren in der Krise einen kühlen Kopf, ohne überzureagieren.
Sie schreiben von einem Kapitän, der im Orkan Johnny Cash auflegte – gegen die Panik.
Kruecken: Das war Kapitän Feith, der mit seinem Frachter 1991 im Nordatlantik in den schwersten Orkan seit Beginn der Wetteraufzeichnungen geriet. Die Matrosen hatten schon ihre Rettungswesten angelegt, sie verfielen in Panik. Da hat er seine Crew mit demonstrativer Gelassenheit und dem Country-Song „Five feet high and risin‘“ beruhigt. Da setzte er das Dienstgesicht auf.
Kapitäne geben niemals auf?
Kruecken: Das ist eine zentrale Botschaft und Geisteshaltung. Sie gehen nicht den bequemsten Weg, sondern kämpfen für etwas, das wichtig ist, sie kämpfen bis zur letzten Minute um ihr Schiff. Das vermisse ich derzeit im Kleinen wie im Großen, bei der Nationalmannschaft wie im Land. Wir sind bequem geworden. Aber jetzt ist nicht die Zeit für Bequemlichkeiten.
Im Buch heißt es: „Es ist nicht die Zeit fürs Sonnendeck, sondern harte Arbeit unter Deck.“ Sitzen Land und Gesellschaft noch auf dem Sonnendeck?
Kruecken: Bei manchen drängt sich der Eindruck auf, aber viele kämpfen schon. Wenn eine Demokratie von außen wie von innen angegriffen wird, müssen wir uns engagieren, wenn es um unseren Wohlstand geht, müssen wir uns anstrengen. Da kann es mal nicht um Vergünstigungen und Arbeitszeitverkürzungen gehen. Die Einstellung der Kapitäne gefällt mir ausgesprochen gut. Wir brauchen ein Gemeinschaftsgefühl für das Land, jetzt müssen wir zusammenhalten, jetzt würde ich mir eine Ruck-Rede wünschen. Und die Konzentration auf wirklich wichtige Dinge.
Fehlt Ihnen der Pragmatismus der Kapitäne?
Kruecken: Ja. Kapitäne sind pragmatisch, sie machen, was die Situation erfordert. Zur Not fahren sie sogar rückwärts durch den Sturm.
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Mehrfach betonen Sie, Mut statt Wut helfe in schwerer See.
Kruecken: Wut kann anstecken, Mut aber eben auch. Natürlich versuchen Populisten, die Lage für sich zu nutzen. Aber wir dürfen uns von den Untergangspropheten nicht anstecken lassen. Wir haben gute Voraussetzungen, die Krisen zu meistern. Wir sind ein weltoffenes, tolerantes, ein starkes Land. Machen wir was draus. Kümmern wir uns um die wichtigen Themen! Wenn 10.000 Bekloppte grölend durch Dresden rennen oder 150 Punks nach Sylt fahren, spricht das ganze Land darüber. Aber wenn sich sechs Millionen Deutsche beispielsweise in der Flüchtlingshilfe engagieren, ist das kein Thema.
Sollten Kabinettsklausuren auf hoher See statt auf Schloss Meseberg stattfinden?
Kruecken: Kapitän Schwandt hatte den Gedanken mal. Eine Reise über den Nordatlantik im Winter würde Politikern guttun. An Deck zu stehen, den Wind zu spüren und die Riesenwellen zu sehen, lehrt Demut.
Ihr Buch ist wieder politisch geraten – dabei haben Rechts- wie Linksradikale Sie schon lange auf dem Kieker.
Kruecken: Ich lasse mich nicht mundtot machen – deshalb auch der Titel. Wenn ich 420.000 Follower auf Social Media habe, muss ich Gegenwind aushalten. Es war manchmal aber unerträglich, was da von rechts- wie linksextremer Seite kam. Ein falsches Wort genügt und du bekommst heftigste Beschimpfungen. Da entsteht eine Gewaltkultur, die jeden Respekt, jedes Demokratieverständnis vermissen lässt. Diese Selbstbesoffenheit macht mich fassungslos. Aber es lässt auch meinen Trotz wachsen.
Sie zitieren Seneca: „Wenn man nicht weiß, welchen Hafen man ansteuert, ist kein Wind günstig.“ Kennen wir denn den Hafen?
Kruecken: Wir müssen uns auf eine gemeinsame Spielfläche einigen – es spielen inzwischen zu viele mit, die das Spielbrett nur noch umwerfen wollen. Die Frage nach dem Hafen ist die nach dem Land, in dem wir leben wollen. Ich mag Deutschland, so wie es ist. Wir sollten unsere demokratische, offene, freundliche, tolerante Kultur verteidigen. Ich lebe sehr gern hier – und würde das gern beibehalten.