Hamburg. Tobias Friedrich erzählt im Roman „Der Flussregenpfeifer“ die Geschichte des Altonaers – und fuhr dafür selbst mit dem Faltboot.

Er dürfte nur wenigen bekannt sein, dabei hat Oskar Speck (1907–1993) definitiv das Zeug zum Romanhelden. Der gebürtige Altonaer brach im Mai 1932 mit seinem Faltboot zu einer geradezu unglaublichen Reise auf: Bei Ulm paddelte er zunächst die Donau hinauf – und fuhr dann einfach immer weiter: Mazedonien, die Ägäis, Syrien, der Persische Golf.

Speck erreichte Indien, dann Bali. Im September 1939 kam er in Australien an, wo die Reise endete: Der Ankömmling wurde als feindlicher Ausländer bis 1945 interniert. Nach dem Krieg baute er sich im Land eine Existenz als Opalhändler auf, sein Grab befindet sich in New South Wales. Insgesamt legte Speck auf seiner siebenjährigen Tour rund 50.000 Kilometer zurück – eine Odyssee, die ihresgleichen sucht.

Buchtipp: „Der Flussregenpfeifer“ thematisiert Specks Reise

Tobias Friedrich, eigentlich Sachbuchautor, hat Specks irrwitzigen Trip jetzt zu dem Roman „Der Flussregenpfeifer“ verarbeitet. Darin verknüpft er Fakten und Fiktion – folgt Specks Spuren durch die ganze Welt und versucht, dessen Motivation für die abenteuerliche und gefährliche Unternehmung zu ergründen.

Ursprünglich wollte Speck, der sein Unternehmen als selbstständiger Elektromeister krisenbedingt aufgegeben hatte, nach Zypern, um dort in einer Kupfermine zu arbeiten. Abenteuerlust und die mangelnde Bereitschaft, sesshaft zu werden, sorgten dafür, dass er sein Ziel um Tausende Kilometer verpasste. Später kam wohl auch ein gewisses Geltungsbedürfnis hinzu. Denn die kuriose Dauerreise machte in der Heimat schnell Schlagzeilen. Unternehmen halfen mit nachgesandtem Material, die Zeitungen berichteten ausführlich.

Speck gefiel das Rampenlicht

Ganz schön draufgängerisch: der Altonaer  Oskar Speck in jungen Jahren.
Ganz schön draufgängerisch: der Altonaer Oskar Speck in jungen Jahren. © Australian National Maritime Museum

1936 gab Speck in Colombo ein Interview, das in einem Artikel verbraten wurde. Kostprobe: „Die Abenteuer eines unerschrockenen Altonaer Wassersportlers. Von räuberischen Beduinen beschossen, gejagt von arabischen Schmugglern, (...) von Hunger und Durst gepeinigt.“ Speck gefiel die Publicity, die mit jeder zurückgelegten Meile weiter stieg. Im Buch wird das zu einer Flucht vor den obligatorischen Nazischergen ausgeschmückt, die den schillernden Faltbootfahrer, so Friedrichs Deutung, zu einem deutschen Volkshelden machen wollten.

Der echte Oskar Speck nahm unterwegs durchaus auch mal Einladungen von parteitreuen Deutschen an, vor denen er auch bereitwillig Vorträge hielt. Gegen eine nachgeschickte Hakenkreuzfahne fürs Boot hatte er nichts einzuwenden, insgesamt hielt er sich aus politischen Debatten aber heraus. Specks Ausrüstung kann noch heute im Australian National Museum besichtigt werden. Dort hatte Tobias Friedrich auch die Möglichkeit, Briefe, Tagebuch, Interviews und andere Dokumente einzusehen. Der Autor sprach auch mit Specks Gärtner und einigen Freunden, übernachtete in ehemaligem Haus seines Protagonisten und paddelte probeweise im Sydney Harbour mit einem Faltboot, das dem von Speck ähnelte.

Specks Geschichte im Krieg untergegangen

Warum wissen wir so wenig über Oskar Speck? Laut Friedrich sei Specks Geschichte im Krieg und später auch in den Nachkriegswirren gleichsam untergegangen. Speck musste sich ein neues Leben aufbauen, und als er sich einigermaßen etabliert hatte, wollte der Ex-Abenteurer mit der Fahrt nicht mehr hausieren gehen.

„Der Flussregen-pPfeifer“ ist bei Bertelsmann  erschienen, hat 512 Seiten und kostet 24 Euro.
„Der Flussregen-pPfeifer“ ist bei Bertelsmann erschienen, hat 512 Seiten und kostet 24 Euro. © Bertelsmann Verlag

Er hat nur wenige zaghafte Versuche unternommen, alles einmal schlüssig medial aufzubereiten, aber es ist nie etwas daraus geworden. Auch Romanautoren blieben mehrfach bei ihren Recherchen stecken und gaben auf. Ein Zeitzeuge, mit dem Friedrich sprach, teilte ihm mit: „Je mehr Details man über die Geschichte erfährt, desto größer, unglaublicher und unheimlicher wird sie.“ Das macht das umfangreiche Buch durchaus deutlich.

Friedrich arbeitete zehn Jahre an dem Roman

In dem Roman, an dem Autor Friedrich rund zehn Jahre gearbeitet hat, wechseln Schauplätze, Perspektiven und Zeitebenen ständig, und er ist damit letztlich so eindrucksstark und stellenweise auch so schwer zu durchdringen wie viele der Gegenden, die Oskar Speck bereist hat. Reminiszenzen an Hamburg und Altona finden sich überall: Mal ist es der Övelgönner Bootsschuppen, mal die Nazi-Villa an der Außenalster.

Alles in allem war Speck ein nicht unsympathischer Einzelgänger – und davon leitet sich auch der Titel des Romans ab: Menschen, denen er unterwegs begegnete, sollen den Abenteurer Flussregenpfeifer getauft haben, weil dieser Vogel als eher wenig gesellig gilt.

Buchtipp: Speck in der Stadt Altona geboreb

In vielen Rezensionen und anderen Sekundärtexten zum Buch wird Speck fortwährend als Hamburger bezeichnet. Faktisch wurde er aber in der damals noch eigenständigen Stadt Altona geboren und war mithin Altonaer. Oskar Speck dürfte das locker genommen haben – schließlich hatte er neben den beiden norddeutschen Städten ja auch die halbe Welt kennengelernt. Und wirklich zu Hause war er überall und nirgendwo..