Neu Wulmstorf. Johanniter suchen dringend Freiwillige, die den Geflüchteten aus der Ukraine beim Ankommen helfen. Engagement ebbt ab.

Der Karton, aus dem die Bauklötze herausgerutscht sind, ist fast so groß wie der Junge, der mit angewinkelten Beinen auf dem Fliesenboden sitzt. Konzentriert stapelt das kleine Kind die bunten Holzstücke auf- und nebeneinander. Einen Schritt von ihm entfernt steht seine Mutter in einem langen Kleid am Herd der Gemeinschaftsküche, sie rührt in einem Topf. Die Familie aus Moldawien ist vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet, eine Bombe traf ihr Wohnhaus. Jetzt lebt sie hier, im dritten Stock eines unscheinbaren Hauses im Zentrum von Neu Wulmstorf.

Die Unterkunft für Geflüchtete wurde Ende Mai eröffnet, zurzeit wohnen in dem früheren Alten- und Pflegeheim auf zwei Etagen über dem Impfzentrum 89 Menschen, darunter 39 Kinder und Jugendliche. Sie stammen aus der Ostukraine, Kiew, Mariupol und anderen Gebieten, in denen der Krieg das Leben unerträglich und lebensgefährlich gemacht hat. Die jüngsten sind noch kein Jahr alt, die älteste Bewohnerin ist 85.

In der Unterkunft in Neu Wulmstorf versorgen sich die Geflüchteten selbstständig

An diesem Vormittag sind in den mit graublauem Teppichboden ausgelegten Fluren kaum lautere Geräusche zu hören, aus der Spielecke dudelt ein Handy, ein Kind betrachtet den bunt aufleuchtenden Bildschirm. Drei Jugendliche lehnen an der Wand mit gelber Raufasertapete, eine Frau sitzt an einem Tisch im ansonsten leeren Aufenthaltsraum und telefoniert. „So ruhig ist es hier selten. Nachmittags kommen die Kinder aus der Schule zurück“, sagt Christin Darga, Leiterin der Unterkunft, die von der Johanniter-Unfall-Hilfe für den Landkreis Harburg betrieben wird. Die 26-Jährige engagiert sich seit langem auch ehrenamtlich im Katastrophenschutz des Vereins. „Ich möchte dort unterstützen, wo Hilfe gebraucht wird.“

In Neu Wulmstorf gehe es etwas anders zu als in der Erstunterkunft in Buchholz, sagt Darga, die auch dort für die Leitung zuständig ist. In der Schützenhalle sollen die Geflüchteten nur wenige Tage verbringen, bevor sie in private Unterkünfte umziehen. In dieser Zeit des Ankommens erhalten sie Hilfe beim Einkaufen und bei Behördengängen. Hier, in der Langzeitunterkunft, kümmern sich die Bewohner selbst um die Organisation ihres Alltags. In der Gemeinschaftsküche stehen blaue und weiße Töpfe zum Kochen bereit, die Kühlschränke teilen sich jeweils etwa drei Familien. Die Waschmaschinen werden rege genutzt, die Trockner wurden wieder weggeschafft. Die seien in der Ukraine offenbar unbekannt, sagt die Leiterin. Die Wäsche hängt im Trockenraum. Die Menschen wohnen zumeist zu dritt oder viert in hellen Zimmern mit Stockbetten und Bad. Ziel ist der Umzug in eine Wohnung.

Es wird zunehmend schwierig, private Unterkünfte für Geflüchtete zu finden

In der Unterkunft für Geflüchtete in  Neu Wulmstorf leben seit Ende Mai Menschen aus der Ukraine. Christin Darga leitet die Langzeitunterkunft.  Hier mit Sonja Schleutker-Franke, Sprecherin der Johanniter, die die Einrichtung betreiben. Sie suchen noch ehrenamtliche Helfer.
In der Unterkunft für Geflüchtete in  Neu Wulmstorf leben seit Ende Mai Menschen aus der Ukraine. Christin Darga leitet die Langzeitunterkunft.  Hier mit Sonja Schleutker-Franke, Sprecherin der Johanniter, die die Einrichtung betreiben. Sie suchen noch ehrenamtliche Helfer. © Lena Thiele

Bisher hat jedoch nur eine Familie diesen Schritt geschafft. Da bezahlbarer Wohnraum knapp ist, füllen sich die Zimmer in der Unterkunft allmählich. Noch sind etwa 60 Plätze frei, doch auch aus der Buchholzer Unterkunft ziehen immer mehr Geflüchtete hierher um. „Wir sind die einzige Langzeitunterkunft im Landkreis Harburg, die derzeit noch Menschen aufnehmen kann“, sagt Darga. Zudem stehen immer wieder Geflüchtete vor der Tür, die spontan einziehen wollen – doch dafür ist zunächst ein sogenannter Unterbringungsbescheid des Landkreises notwendig.

Vor allem für größere Gruppen ab drei oder vier Personen werde es zunehmend schwierig, eine private Unterbringung zu finden, sagt die Leiterin. „Anfangs haben viele Menschen freie Zimmer angeboten, aber jetzt ist häufig die Luft raus.“ Die Gastgeber brauchen die Räume wieder zur eigenen Nutzung oder es fehlt nach vielen Wochen einfach die Privatsphäre. Zudem beginnen bald die Sommerferien in Niedersachsen, zahlreiche Menschen werden in den Urlaub fahren.

Es fehlen noch Freiwillige, die die Bewohner unterstützen

Und so kommen zurzeit mehrere Dinge zusammen: In der Langzeitunterkunft wohnen immer mehr Menschen, zugleich stehen weniger Freiwillige bereit, um sie beim An- und Zurechtkommen im fremden Land zu unterstützen. Darüber hinaus ist derzeit nicht abzusehen, wie lange der Krieg die Geflüchteten zwingen wird, hier zu bleiben, eine Wohnung zu beziehen, einen Job anzunehmen.

In der Unterkunft für Geflüchtete in  Neu Wulmstorf leben seit Ende Mai Menschen aus der Ukraine. Christin Darga leitet die Langzeitunterkunft.  Hier mit Sonja Schleutker-Franke, Sprecherin der Johanniter, die die Einrichtung betreiben. Sie suchen noch ehrenamtliche Helfer.
In der Unterkunft für Geflüchtete in  Neu Wulmstorf leben seit Ende Mai Menschen aus der Ukraine. Christin Darga leitet die Langzeitunterkunft.  Hier mit Sonja Schleutker-Franke, Sprecherin der Johanniter, die die Einrichtung betreiben. Sie suchen noch ehrenamtliche Helfer. © Lena Thiele

„Niemand hat gedacht, dass sich das so lang hinziehen wird“, sagt Darga. Nur eine Familie ist bisher aus Neu Wulmstorf in die Ukraine zurückgekehrt. Der Betrieb der Unterkunft war zunächst bis Ende August vorgesehen, nun soll er mindestens bis Ende des Jahres fortgeführt werden. Zudem kommen weiterhin jede Woche etwa 35 Menschen im Landkreis an.

Ehrenamtliche können zum Beispiel Rundgänge durch Neu Wulmstorf anbieten

Vor diesem Hintergrund werden dringend freiwillige Helfer gesucht, die das vierköpfige hauptamtliche Team in Neu Wulmstorf unterstützen. Sie könnten zum Beispiel den Bewohner helfen, sich im Ort zurechtzufinden, sagt Darga. „Wo kann man Lebensmittel und Kleidung einkaufen, wo ist die Eisdiele, die Bücherei, der Park? Solche Dinge.“ Denkbar sei auch Hilfe bei der Hausaufgabenbetreuung oder Angebote wie Häkeln, Singen, Gesellschaftsspiele oder einfache Deutschkurse. Sprachkenntnisse seien dafür nicht unbedingt erforderlich, betont die Leiterin. „Wir verständigen uns hier ganz gut mit Händen und Füßen.“

Freiwillige, die Ukrainisch oder Russisch sprechen, können sich auch als Sprachmittler einbringen. Diese werden besonders dringend gebraucht, um zum Beispiel bei Behördengängen zu dolmetschen. Alle Helfer sind willkommen, auch wenn sie nicht regelmäßig oder zum Beispiel nur am Wochenende können. „Wichtig ist nur, dass sie Begeisterung mitbringen, sich flexibel auf die Situation hier einlassen können und auch tolerant gegenüber etwas Lärm sind“, beschreibt die Leiterin die Anforderungen.

Vier Wochen im April kamen kaum Ukrainer im Landkreis an

Vier bis fünf Ehrenamtliche pro Tag wären schön, sagt Christin Darga. „Das würde uns sehr helfen.“ Bisher haben sich in Neu Wulmstorf drei Freiwillige gemeldet. Auf einen ersten Aufruf der Johanniter im März, als die Unterkunft in Buchholz in Betrieb genommen wurde, war die Resonanz groß gewesen. Etwa 200 Freiwillige hatten Hilfe angeboten. Doch dann wurden dem Landkreis Harburg vier Wochen keine Geflüchteten mehr zugewiesen, niemand kam in den Unterkünften an. „Das war schwierig, es passierte einfach gar nichts“, sagt Sonja Schleutker-Franke, Sprecherin der Johanniter. „Wir mussten die Helfer immer wieder vertrösten.“ Viele sprangen wieder ab, der seit rund vier Monaten währende Krieg ist nicht mehr so präsent im Alltag.

In Neu Wulmstorf muss nun ein neuer Helferstamm aufgebaut werden. Freiwillige können sich im Internet melden: www.johanniter.de/harburg-ukraine.