Landkreis Stade. Die starken Regenfälle und das gestiegene Elbwasser sorgten dafür, dass die Lühe über die Ufer trat – mit gravierenden Folgen.

In der Nacht zum Sonnabend wurde es auf dem Wohnmobilstellplatz in Jork-Borstel plötzlich hektisch. Die starken Regenfälle der vergangenen Stunden sorgten dafür, dass die Lühe über die Ufer trat und so Wassermassen auf der Gelände drangen. Schnell versuchten die Menschen, ihre Fahrzeuge auf einem höher gelegenen Parkplatz in Sicherheit zu bringen. Zu der Überschwemmung kam es offenbar, weil ein Defekt der Telefonanlage im Sperrwerk Lühe dafür sorgte, dass dort niemand erreicht werden konnte, der die Flutschutztore rechtzeitig schließen konnte.

Das Stellwerk hätte die Flutschutztore schließen müssen, doch ein Telefondefekt sorgte offenbar dafür, dass die Mitarbeiter dort nicht erreicht werden konnten.
Das Stellwerk hätte die Flutschutztore schließen müssen, doch ein Telefondefekt sorgte offenbar dafür, dass die Mitarbeiter dort nicht erreicht werden konnten. © Tobias Johanning

Feuerwehr Stade: Hof mit Oldtimern überflutet

Das Sperrwerk wird normalerweise bis zu 190 Mal im Jahr geschlossen, um Überflutungen in den dahinter liegenden Gebieten zu verhindern. Die Feuerwehr hatte, wie eigentlich üblich, keine Warnung vor einem möglichen Hochwasser durch die zuständige Behörde "Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN)" bekommen.

Landrat Kai Seefried hat deshalb am Sonnabendmorgen Kontakt zum zuständigen (NLWKN) aufgenommen und eine Aufklärung der Versäumnisse verlangt. "Ich bin entsetzt, dass offenbar eine technische Panne bei der Meldekette zu dieser Schadenlage geführt hat, die eindeutig hätte verhindert werden können. Das Sperrwerk hätte umgehend geschlossen werden müssen. Ich habe gegenüber dem NLWKN zum Ausdruck gebracht, dass ich eine schnelle und umfassende Aufklärung erwarte“, sagt Seefried.

Damit eine derartige Panne nicht noch einmal vorkommt, hat der Chef der Kreisverwaltung eine technische Aufrüstung des Sperrwerks angeregt. "Optimal wäre, wenn die Sperrwerkstore bei kritischen Pegelständen automatisch schließen würden“, sagt der Landrat.

Eine Chronologie der Nacht: Gegen Mitternacht wird in der Elbmündung vor Cuxhaven ein leichtes Hochwasser gemessen. Der Wasserstand liegt knapp 92 Zentimeter über dem mittleren Tiedehochwasser. Das Hochwasser läuft mit der Flut weiter in Richtung Hamburg. Gegen 1 Uhr wird vor dem Lühesperrwerk die Marke des normalen Wasserstandes bei Flut erreicht. Das Wasser soll nach Vorhersagen noch zwei Stunden steigen und liegt schon einen Meter über dem vorausberechneter Wasserstand. Der Wind drückt das Elbwasser in die Lühe. Normalerweise werden jetzt die Tore des Lühesperrwerks geschlossen. Doch sie bleiben offen.

Gegen 2.15 Uhr wird Urlauber Hans-Dieter Greve wach. Er schläft in einem Wohnwagen auf einem Stellplatz direkt hinter dem Lühesperrwerk. „Meine Schlafmaschine ging plötzlich nicht mehr. Als ich im Dunklen aus dem Wohnwagen ging um nach dem Strom zu schauen, stand ich bis zu den Knien im Wasser”, sagt Greve. Er weckt die anderen Camper. Fluchtartig fahren die sechs Wohnmobile auf einem Deich und parken in höheren Gebieten. Der Urlauber aus Hessen ruft währenddessen die Feuerwehr und meldet, dass der Stellplatz unter Wasser stehen würde. Die ersten Baumstämme zur Uferbefestigung werden in die Lühe geschwemmt. Das Hochwasser fließt weiter den Fluss in Richtung Horneburg entlang.

Anwohner aus Grünendeich informiert erst Sperrwerkswärter

Gegen 2.30 Uhr wird Michael Paege aus Lühe von seiner Tochter geweckt. „Sie sagte, dass die Lühe im Garten steht”, erzählt Paege. Tatsächlich läuft das Wasser gefährlich nah an die Haustür und steigt weiter. Kurz vor drei Uhr ruft er die Feuerwehr. Die Retter dichten mit Sandsäcken die Haustür ab.

Weil der Wasserstand immer weiter ansteigt, wählt er die Handynummer des Diensthabenden Sperrwerkswärter. Die Nummer hat Paege eingespeichert, weil er öfters mit dem Boot auf dem Fluss unterwegs ist. Sie steht aber auch öffentlich auf der Webseite des NLWKN. „Ich hörte, wie ich den Wärter mit meinem Anruf geweckt haben muss”, sagt Paege. Er erzählt ihm von der Überflutung. Die Wärter wohnen in der Nähe des Sperwerks und sind nur zu bestimmten Zeiten an ihrem Arbeitsplatz.

Um 3 Uhr schließt der Zuständige die Tore des Sperrwerks. Wie es sonst auch bis zu 190 Mal im Jahr und schon seit Jahrzehnten ohne Probleme passiert. Es läuft nun kein Wasser mehr aus der Elbe in die Lühe. Um 3.08 Uhr wird an der Messstelle vor dem Sperrwerk der Höchstand der Nacht gemessen. Ein Großteil der Schäden ist jedoch schon angerichtet.

Stromausfall in betroffenen Häusern durch Überschwemmung

Einige Anwohner in den Gemeinden neben der Lühe werden in der nächsten Stunde durch einen Stromausfall in ihren Häusern auf die Überschwemmungen aufmerksam. In mehreren Kellern steht das Wasser bis zu 50 Zentimeter hoch. In Neuenkirchen steht ein kompletter Hof unter Wasser. Oldtimer werden stark beschädigt. Das Wasser steht in Gräben, Gärten und läuft über Straßen.

Immer mehr Feuerwehren werden von der Leitstelle in das Einsatzgebiet auf beiden Uferseiten der Lühe geschickt. „Wir haben in Neuenkirchen ein Deichtor geschlossen, damit die Lühe nicht mehr ansteigen kann”, sagt Feuerwehrsprecher Matthias Brandt. Die Retter pumpen die Keller aus. In der Zwischenzeit wird das Sperrwerk mit dem ablaufenden Wasser wieder geöffnet, damit es in die Elbe zurückfließen kann. Gegen 5.20 Uhr fängt die Feuerwehr mit einem Boot einen abgetrieben Baumstamm auf der Elbe ein. Wenige Minuten später merkt der Hafenmeister in Steinkirchen, dass eine Steganlage aus der Verankerung gerissen wurde. Die dort befestigten Boote drohen zusammen mit dem Steg auf der Lühe zu treiben. Wieder ist die Feuerwehr gefragt. Einsatzkräfte ziehen mit Seilen den Steg wieder in die Verankerung.

Mit Beginn des Tageslichts ist kaum mehr etwas von den nächtlichen Überschwemmungen zu sehen. Nur die Schäden bleiben. Ihre Höhe ist derzeit noch nicht absehbar. Betroffene können sich bei der Wasserschutzpolizeistation Stade unter der Telefonnummer 04141/778120 melden. Wieso die Sperrwerkstore nicht geschlossen wurden in dieser Nacht, war auch am Sonntag nicht klar.

Nach ersten Angaben soll es in der Meldekette des NLWKN zu einem telefonischen Defekts gekommen sein. Die Polizei hat eine Ursachenermittlung aufgenommen.