Steinkirchen. Autorin Carolin George hat es getestet und am Sonntag können Sie das auch: mit einer Gästeführerin entlang von Lühe und Este
Wie viele der zarten weißen und rosa Blütenblättchen an den Obstbäumen die Regentropfen dieser Woche wohl überstanden haben, das können wir nicht zählen. So viel aber steht fest: Wer zum Blütengucken ins Alte Land kommen möchte, sollte das spätestens an diesem Wochenende tun. Die Altländer Gästeführer bieten sogar ein Sonntags-Spezial für Sie an – und laden Sie für morgen, 15. Mai, nach Steinkirchen und Königreich auf den Deich ein.
Denn wer auf den Deichen von Lühe und Este wandert, schaut mit anderen Augen auf das Alte Land als aus dem Auto heraus. „Man ist immer ein paar Meter erhöht und blickt daher über die ganze Region. Das macht das Wandern auf den Deichen so besonders“, sagt Gerd Palm. Der promovierte Agrarwissenschaftler muss es wissen: Er ist nicht nur eine echte „Altländer Pflanze“, wie er sich selbst bezeichnet. Sondern er ist auch der Vorsitzende der Altländer Gästeführer.
Ein Königreich an der Brücke als Ausgangpunkt
Doch welcher Deich ist der Schönste im Land? Liegt er an der Este oder an der Lühe? Das ist die Frage, auf die wir in diesem Text keine Antwort geben können – und es auch nicht wollen.
Gerd Palm hat seine Entscheidung aber schon getroffen, wenn er gefragt wird, welchen Tipp er Gästen geben würde, die zu Fuß durchs Alte Land wollen: Es ist die Este. „Was dort so spannend ist? Es gibt dort eine Stelle, an der wir genau erkennen können, wie das Alte Land entstanden ist.“ Diese Stelle liegt in Königreich an der Brücke. Der Obstmarschenweg quert dort die Este, das ist die Straße überhaupt durch das Alte Land, die – je nach Abschnitt unterschiedlich benannt – von Neuenfelde über Jork und Steinkirchen nach Hollern-Twielenfleth führt.
Hier an der nördlichen Seite nach rechts blickend, sehen wir Weiden und Eschen – Bäume, die nasse Füße vertragen. „Hier lag einmal das Urstromtal der Elbe“, erklärt Palm. „Es erstreckte sich von Blankenese bis Buxtehude.“ Die geschmolzenen Gletscher der Weichsel-Eiszeit, also der letzten Eiszeit, spülten alle Endmoränen weg. „Sie werden im Alten Land daher keine Steine finden“, sagt der Gästeführer. „Wenn Sie hier eine Steinmauer sehen, dann sind die Steine von anderswo hertransportiert worden.“
Gleichzeitig haben die Sedimente der Elbe den Boden fruchtbar gemacht – und die Menschen reich. Nachdem die Holländer die Region seit dem Jahr 1143 von Stade beginnend durch den Bau von Gräben und Wettern – das sind Kanäle – nutzbar gemacht hatten, konnten sich Landwirte bewerben, das Land hier zu bewirtschaften. „Sie verkauften das Obst über Hamburg bis ins Ausland“, sagt Palm.
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Vom Reichtum der Obstbauern erzählen noch heute die reich verzierten Giebel der Häuser – und natürlich die Prunkpforten. Wenn Gäste Gerd Palm während seinen Führungen nach der Funktion der geschmückten Holztore fragen, antwortet der mit einem Lächeln: „Das ist, was heute der Porsche ist: Sie haben keine Funktion – außer zu zeigen, dass man Geld hat.“
Doch es gibt ja auch noch die Lühe im Alten Land. Und an ihrem Deich, in Mittelnkirchen, lebt Anette Stranghöner. Sie ist die Vertreterin Palms bei den Altländer Gästeführern, und die Frage nach dem schönsten Deich im Land beantwortet sie natürlich mit: „Der Lühedeich!“ Zudem sei die Gegend rund um Steinkirchen, Mittelnkirchen und Guderhandviertel noch zu unbekannt, wie sie findet. Obwohl sogar ein Jakobsweg hier entlangführt. „Die meisten Ausflügler aus Hamburg kommend fahren nur bis Jork.“
Die Brauttüren im Alten Land waren auch Fluchttüren
Wenn Anette Stranghöner ihre Gäste an den Giebeln der Fachwerkhäuser vorbeiführt, dann lässt sie stets jemanden aus der Gruppe die Inschriften vorlesen, wenn sie auf Platt sind. „Ich selbst kann nämlich kein Platt“, gesteht sie – ursprünglich kommt die Innenarchitektin nämlich aus Ostwestfalen. Die bunt bemalten Holztüren in Richtung Deich heißen übrigens nicht nur Brauttüren, sondern auch Fluchttüren, erzählt die Gästeführerin. „Durch sie kamen die Bräute ins Haus. Im Brandfall flüchteten die Menschen durch diese Türen. Dort standen die Truhen mit den wertvollsten Gegenständen der Familie, damit sie bei Feuer schnell aus dem Haus getragen werden konnten.“
Der Lühedeich führt kilometerlang von Nord nach Süd respektive von Süd nach Nord, verbindet Horneburg mit der Elbe. Wer Angst hat, dass es langweilig sein könnte, hin und zurück am selben Flüsschen zu wandern und dabei bloß die Seite zu wechseln, für den hat Marie-Luise Diercks Beruhigendes parat: „Es sind wirklich beide Seiten sehr schön – und sehr unterschiedlich. Man blickt über die Äpfel hinweg bis Blankenese, das ist herrlich.“ Die Reiseverkehrskauffrau gehört zum Nachwuchs der Altländer Gästeführer. Denn die 15 Frauen und Männer starke Truppe kann bei den bis zu 600 angebotenen Führungen im Jahr Zuwachs gut gebrauchen. „Ich habe schon immer gern etwas über das Alte Land erzählt, wenn ich Besuch hatte“, berichtet sie. Geplant ist nun die Ausbildung zur zertifizierten Gästeführerin – und danach die Suche nach der passenden Kleidung: Denn die Altländer Gästeführer tragen Tracht.
Und flexibel wie die Altländer Gästeführer sind, fällt Anette Stranghöner am Ende unserer Tour noch etwas ein: „Wie wäre es, wenn ich am Sonntag eine Führung durch Steinkirchen anbiete? Für die Leute, die am Sonnabend diesen Artikel lesen?“ Na, wunderbar wäre das! Auch Gerd Palm hätte spontan eine Führung angeboten – hätte er nicht Geburtstagsgäste im Haus. Dafür springt Kollegin Helga Feindt ein. Sie bietet einen Spaziergang am Estedeich an – Sie haben also die Wahl.
Wir wünschen viel Vergnügen!
Die Wandertipps der Experten:
- Tipp 1, der Wandertipp von Anette Stranghöner: der Lühedeich. Wer einen ganzen Tag unterwegs sein möchte, nimmt den Weg zwischen Horneburg und Steinkirchen. Wer weniger vorhat, kann den kleinen Bogen rund um Steinkirchen gehen: zum Lüheanleger an der Elbe. Möglich ist es auch, die Strecke zwischen Steinkirchen und Horneburg abzukürzen. Denn in Neuenkirchen, Guderhandviertel und Mittelnkirchen führen Brücken über die Lühe, sodass Hin- und Rückweg auf verschiedenen Seiten des Flusses liegen können. Brücken gibt es außerdem in Steinkirchen und Horneburg. Die Strecke zwischen Lüheanleger und Horneburg beträgt rund elf Kilometer, bis/ab Steinkirchen acht.
- Horneburg ist mit der S-Bahn zu erreichen, Steinkirchen per Fähre von Wedel aus. Die Lühe-Schulau-Fähre verkehrt mehrmals täglich und braucht 25 Minuten für den Törn über die Elbe. Infos unter: www.luehe-schulau-faehre.de. Zudem fahren Busse vom Bahnhof Stade nach Steinkirchen.
- Tipp 2, der Wandertipp von Gerd Palm: der Estedeich zwischen Buxtehude und Cranz, über Estebrügge mit Kirche St. Martini und Königreich. Die Strecke beträgt insgesamt rund 14 Kilometer und kann mit öffentlichen Verkehrsmitteln so gut erreicht werden, dass Start- und Zielpunkt nicht derselbe sein muss. Zu queren ist die Este in Estebrügge, Königreich und Am Alten Estesperrwerk bei Cranz. Wem die Strecke zu weit ist, nutzt die geschwungene Este bei Cranz für einen Spaziergang am Estebogen.
- Buxtehude ist mit der S-Bahn zu erreichen. Zwischen Cranz und Blankenese verkehrt eine HVV-Fähre. Achtung, der Betrieb ist von der Tide abhängig. Außerdem fährt der Bus 150 von Cranz nach Altona. Die Linie 257 fährt von Cranz zur S-Bahn-Station Neugraben.
- Die Altländer Gästeführer bieten Touren per Rad und zu Fuß an, außerdem steigen sie Reisebussen zu. Außer bei den Fahrradtouren tragen die Gästeführer stets ihre Altländer Tracht
- Elbe-Randwanderbus: Noch bis Montag, 3. Oktober, fährt der Elbe-Radwanderbus durch das Alte Land. Ein Tagesticket kostet fünf Euro (Familien: zehn Euro) und ermöglicht Bus-Hopping auf zwei Linien. Der Bus nimmt auf einem Anhänger auch Fahrräder mit. Die Fahrpläne ermöglichen die Kombination mit anderen öffentlichen Verkehrsmitteln. Linie 1 verkehrt zwischen Harsefeld und Balje, Linie 2 zwischen Buxtehude und Finkenwerder. In Jork treffen sich beide Linien. Weitere Infos finden sich dazu auch unter www.urlaubsregion-altesland.de