Rosengarten-Eckel. Eltern sprechen von „unhaltbarem Zustand“, fordern Aufrechterhaltung der Ganztagsbetreuung und starten Unterschriftenaktion.

Wären die Kollegen und Kolleginnen nicht bereit, ihre letzte Arbeitsstunde am Mittag zu übernehmen, Anke Kötke müsste sich wohl einen neuen Job suchen. Die zweifache Mutter arbeitet als Intensivpflegerin. Während sie vormittags in der Klinik Patienten versorgt, ist ihr Sohn in der DRK-Kita Eckel im Landkreis Harburg. Doch diese hat neuerdings nur noch bis 14 Uhr geöffnet. Weil Personal fehlt, wurde die Nachmittagsbetreuung eingestellt. Um 14 Uhr ist für alle Elementarkinder Schluss – auch für jene, die auf eine Betreuung bis 16 Uhr angewiesen sind.

Das Problem ist nicht neu. Immer wieder war es in der Vergangenheit aufgrund von Personalmangel und Krankheit zu Einschränkungen in der Betreuung gekommen. Jetzt reicht es den Eltern. Um auf den „unhaltbaren Zustand“ aufmerksam zu machen, haben sie Unterschriften gesammelt, bitten die Politik um Unterstützung.

Eltern fordern Sicherstellung des Betriebs

„Wir wollen die Sicherstellung des Betriebs, die Aufrechterhaltung der Ganztags- und Halbtagsgruppen, den Einsatz von Zeitarbeitskräften oder die Nutzung eines Springerpools von Erziehern und Erzieherinnen sowie die Beseitigung des Personalmangels“, sagt Mitinitiatorin Britta Grabau.

Unterstützung bekommen die Eltern von der Gruppe SPD, Grüne und UWR in der Gemeinde Rosengarten. Diese hat einen Antrag zur Sicherung des Betriebs in den in der Gemeinde ansässigen Kindertagesstätten gestellt, will wissen, wie die aktuelle personelle Aufstellung für die Kitas ist und ob die Besetzung aller Gruppen mit je einem Erzieher sowie einer sozialpädagogischen Assistenz vollständig gesichert ist. „Sollte dies nicht der Fall sein, möchten wir wissen, wie dies künftig sichergestellt werden kann“, sagt Marco Stöver von der Unabhängigen Wählergemeinschaft Rosengarten (UWR). „Darüber hinaus möchten wir wissen, welche Maßnahmen die Träger unternommen haben, um einen Personalnotstand in ihren Einrichtungen zu beheben.“ Und: Die Verwaltung soll gemeinsam mit den Trägern der Kitas Lösungsstrategien erarbeiten.

„Ich werde das Gespräch mit Träger, Politik und Eltern suchen“, verspricht Bürgermeister Dirk Seidler. Allerdings sei das Problem nicht nur eines der Kita in Eckel. „Personalnot gibt es in fast jeder Einrichtung, da es einfach zu wenig Erzieherinnen und Erzieher gibt.“ Hinzu komme die Nähe zu Hamburg. Da im benachbarten Bundesland tariflich besser bezahlt werde, sei der Anreiz für Kita-Kräfte groß, sich dort eine Anstellung zu suchen und über die Landesgrenze zu pendeln. Auch in der Art der Ausbildung und der Vergütung gebe es Unterschiede. „In diesen Bereichen ist Niedersachsen im Vergleich zu Hamburg im Hintertreffen“, so Seidler. Wenn das Land jedoch rechtliche Ansprüche auf Kinderbetreuung fixiere, müssten auch die Ausbildungskapazitäten und die Rahmenbedingungen verbessert werden. Das aber sei in Niedersachsen nicht passiert. „Ansprüche zu fixieren, aber das Personal nicht vorzuhalten – das passt eben nicht zusammen“, so Seidler.

Eingeschränkte Betreuungszeit hat existenzielle Folgen

Für viele Eltern könnte die eingeschränkte Betreuungszeit existenzielle Folgen haben. „Wenn ich dauerhaft Minusstunden machen muss, weil ich meinen Sohn früher aus der Kita abholen soll, kann ich meinen Beruf nicht mehr ausüben“, sagt Intensivpflegerin Anke Kötke. Auch Eva Kühler, Mutter eines vierjährigen Jungen, sieht ihren Job gefährdet: „Ich arbeite im Vertrieb am Kunden, kann nicht einfach sagen: ‚um 14 Uhr ist Feierabend‘.“ Christin Frommann hat ihre vierjährige Tochter in der DRK-Kita Eckel, wird ihren Sohn ab August in die Krippe bringen.

Ihr Arbeitgeber hat ihr geraten, die Kinder besser in einer Hamburger Einrichtung nahe ihres Arbeitsplatzes am Dammtor anzumelden, um eine sichere Betreuung zu gewährleisten. „Auch die Kinder leiden unter den ständigen Veränderungen in ihrer Kita, wissen manchmal gar nicht, wer ihre Betreuerin an einem Vormittag gewesen ist“, so Christin Frommann. „Ganz zu schweigen davon, dass die Förderung und die Vorschularbeit zu kurz kommen.“ Die Kita könne in dieser Form nur ein Aufbewahrungsort sein.

Roger Grewe ist der Geschäftsführer des DRK-Kreisverbands Harburg-Land und kann die Wut der Eltern verstehen.
Roger Grewe ist der Geschäftsführer des DRK-Kreisverbands Harburg-Land und kann die Wut der Eltern verstehen. © Rolf Zamponi

DRK-Kreisverbandsgeschäftsführer Roger Grewe kann die Wut der Eltern verstehen. „In Eckel fehlen aktuell zwei Erzieher:innen, so dass die Öffnungszeiten auf 14 Uhr begrenzt werden müssen“, sagt er. 16 pädagogische Mitarbeiter sind es im Normalfall. „Um die Betreuung bis in den Nachmittag zu ermöglichen, werden pädagogische Fachkräfte benötigt und intensiv gesucht.“ Doch diese gibt es eben nicht auf dem Markt.

DRK: Veraltete Vorgaben erschweren Weiterbildung

„Um den Fachkräftemangel zu beheben, setzt sich der DRK-Kreisverband Harburg-Land bereits seit 2018 intensiv für die Ausbildung von pädagogischen Kräften ein, hat in den vergangenen drei Jahren mit Unterstützung von Bund und Land 6,5 Millionen Euro investiert“, so Grewe weiter. „So konnten über 100 Sozialpädagogische Assistenten und Assistentinnen berufsbegleitend ihre Ausbildung beim DRK Kreisverband absolvieren und verstärken nun die Kita-Teams.“ Dennoch fehlen Erzieher.

Das Problem liege laut Grewe in der Bezahlung. Die berufsbegleitende Weiterbildung zum Erzieher bedeute weitere drei schulische Ausbildungsjahre und werde aufgrund veralteter Vorgaben nicht von der Bundesagentur für Arbeit gefördert. Somit stelle die Besetzung der Erstkraftstunden ein großes Problem dar.

Um den Fachkräftemangel zu bewältigen, engagiert sich das DRK auf Kreisebene in einer Arbeitsgruppe mit freien und kommunalen Trägern sowie Bürgermeistern. Darüber hinaus seien zum
1. März zwei neue Kräfte eingestellt worden. Das solle, sobald die aktuelle Krankheitswelle abgeflaut ist, die Situation in der DRK-Kita Eckel entspannen.

Über den Fachkräftemangel:

  • Bis zu 230.000 Erzieherinnen und Erzieher könnten laut Städtetag in den kommenden Jahren in Deutschlands Kitas fehlen, in denen derzeit rund 675.650 pädagogische Fachkräfte, davon 68 Prozent als Erziehende tätig sind.
  • Nach Angaben des „Gute-Kita“-Berichts 2021 kümmert sich derzeit rechnerisch eine Fachkraft um 8,1 Kinder im Alter von über drei Jahren; bei Jüngeren kommt ein Erzieher
    oder eine Erzieherin
    auf 3,8 Kinder.
  • Eine Studie von TU Dortmund und dem
    Dt. Jugendinstitut geht davon aus, dass bis 2025 zwischen 20.000 und 72.000 Fachkräfte in den Kitas fehlen werden. Das Familienministerium spricht von 190.000 Fachkräften