Buchholz. Kinderpsychotherapeutin fordert im Schul-Podcast ein Notprogramm für psychische Gesundheit von Familien. Wo Eltern Hilfe finden.

Es ist vielleicht der glücklichste Moment in den vergangenen zwei Jahren. Der Abend vor den Sommerferien 2021, als die Corona-Zahlen gen Null gehen. Es scheint, als wäre wieder ein normales Leben möglich und Johanna kann mit ihren Freunden in einer Hamburger Disco feiern, ohne Abstand, ohne Maske. Für einen Moment sind all die Sorgen der Pandemie vergessen. Für einen Moment genießen Johanna und ihre Freunde ihre Jugend. Dann kommt der Herbst, die neue Virusvariante. Und die Ängste kehren zurück.

Johanna ist 18. Sie sagt, was viele Jugendliche in diesen Tagen denken: „Ich fühle mich meiner Jugend beraubt.“ Es geht ihr nicht gut. Oft hat sie Angst. Angst davor, dass sie es sein könnte, die das Virus mit in die Familie bringt. Angst davor, in der Schule zu versagen.

UKE: acht von zehn Kindern und Jugendliche belastet

Wie groß die Nöte vieler Jugendlicher sind, bestätigen die Ergebnisse der jüngsten Copsy-Studie (Corona und Psyche) des Universitätsklinikums Eppendorf. Demnach fühlen sich acht von zehn Kindern und Jugendliche durch die Corona-Pandemie belastet, auch wenn der Lockdown zu Ende ist, es viele Freizeitangebote wieder gibt. Zwar belegen die Zahlen auch, dass sich das psychische Wohlbefinden und die Lebensqualität der Kinder und Jugendlichen leicht verbessert hat, doch noch immer leiden mehr unter psychischen Auffälligkeiten als vor der Pandemie.

„Viele Kinder und Jugendliche sind durch die Pandemie stark belastet“, bestätigt die Buchholzer Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Gundula Göbel. „Ein normales Leben ist nach wie vor nicht möglich. Statt Leichtigkeit und Freude prägen häufig Ängste und Traurigkeit sowie Reizbarkeit den Alltag. Familien sind überlastet, Eltern am Limit. Dann kommt auch noch der Leistungsdruck in der Schule hinzu. Viele sind damit überfordert.“ Die Folge seien Antriebslosigkeit, Unlust, aber auch Depressionen. „Viele Jugendliche, aber auch Kinder sehen keine angemessenen Lösungen. Es kommt häufiger zu Zwängen, Selbstverletzungen und Suizidversuchen“, so die Psychotherapeutin, die seit drei Jahrzehnten in Buchholz tätig ist. „Oft äußert sich die Belastung in Bauchweh, Kopfschmerzen oder Schlafstörungen, weil den Kindern und Jugendlichen die Bewältigungsstrategien fehlen. Sie brauchen Hilfe.“

Wie groß die Verunsicherung und Angst bei vielen Jugendlichen bedingt durch die Pandemie ist, erlebt auch Chefärztin Maike Gresch täglich. „Über weite Strecken konnten wichtige Entwicklungsräume wie Kita, Schule, Sportverein nicht oder nur in deutlich veränderter, teils eingeschränkter Weise genutzt werden“, so die Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Asklepios Klinikum Harburg. „Wichtige Übungsfelder für Themen von Identitätsentwicklung, Förderung von Selbstwert, Selbstbewusstsein, altersgerechter Ablösung, Freundschaft und sozialen Herausforderungen, Umgang mit Vergleichen, Bewertung, Lob, Erprobungen in der Peer-Group fielen weg.“ Altersgerechte Ablösungsschritte seien zudem erschwert, teils verspätet vollzogen oder hätten sogar bei familiärer Belastung auch früher stattfinden müssen. „Ängste, wie diffuse, aber oft auch soziale Ängste, Zukunftsängste, ebenso depressive Entwicklungen je in unterschiedlichster Ausprägung spielen eine große Rolle“, so Gresch.

Expertin befragen: Hilfs-Angebot für Schüler in Buchholz

Dass es manchen Jugendlichen gerade nicht so gut geht, beobachtet auch Fabian Hammerschmidt. Er ist stellvertretender Schulleiter am Buchholzer Gymnasium am Kattenberg (GaK), dessen Schülerschaft einen eigenen Podcast produziert. In einer Sonderfolge haben die Moderatoren Christoph Reise und Sarah von Hörsten jetzt mit Psychotherapeutin Gundula Göbel über den „Corona-Blues – und was man dagegen tun kann“ gesprochen. „Auch wir Erwachsenen wissen ja, was Corona mit uns allen macht“, sagt Hammerschmidt „Da wir das Gefühl hatten, dass es manchen Schülerinnen und Schülern gerade nicht ganz so gut geht, wollten wir für sie ein Hilfs-Angebot schaffen und ihnen die Möglichkeit geben, ihre Fragen einer echten Expertin zu stellen.“ Das Interesse war groß. Innerhalb von zwölf Stunden gingen 60 Fragen aus der Schülerschaft ein.

Gundula Göbel ist froh, dass sie auf diesem Wege eine breite Öffentlichkeit – auch über die Schule hinaus – erreichen kann. „Wir haben zurzeit viele Anfragen und zu wenig Therapieplätze“, sagt sie. Die Wartezeit liege bei einem Jahr und länger. Dabei drücke jetzt der Schuh, Jugendliche müssten gehört, Ängste thematisiert werden, denn sie schränken die Jugendlichen in ihrer Entwicklung ein. „Wir befinden uns in einer Krise“, sagt sie. „Jede Krise braucht ein Notprogramm. Jetzt brauchen wir ein solches für die psychische Gesundheit von Familien. Wir brauchen mehr Therapieplätze und Unterstützungen für Familien. Denn auch, wenn die Masken wieder runter sind, wird das Problem bleiben.“

Therapeutin rät, Ängste zu überwinden und aktiv zu werden

In dem Podcast-Special geht es der Therapeutin vor allem darum, konkrete Strategien aufzuzeigen. Den Jugendlichen rät sie: „Stellt euch euren Ängsten, wagt etwas. Geht wieder raus, werdet aktiv.“ Eltern sollten im Gespräch bleiben, zuhören, fragen, was das Kinder beschäftigt. Und sie sollten weniger thematisieren, was nicht geht, sondern was möglich ist – den Fokus insgesamt auf das Positive legen.

„Mir war wichtig, dass wir im Podcast nicht nur Probleme analysieren, sondern vor allem hoffnungsfroh und lösungsorientiert in die Zukunft schauen und darüber sprechen, was man selbst, als Eltern oder als Familie in der schwierigen Situation gerade tun kann“, so die 59-Jährige. Jede für das Alter passende Lebenswelt sei für die Entwicklung wichtig. „Durch die Pandemie wurde all das blockiert. Jetzt müssen wir zurückkommen zu Freude, Spaß, Humor und Leichtigkeit. Genau dafür müssen wir den Kindern und Jugendlichen endlich wieder Raum geben.“

Hier gibt es Hilfe:

  • Ansprechpartner bei Problemen von 0- bis 21-Jährigen sind die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten. Psychologische Psychotherapeuten unterstützen Betroffene ab 18 Jahren.
  • Hilfe gibt es außerdem bei der Lebens oder Erziehungsberatung, Suchtberatungsstelle oder dem Sozialpsychiatrischer Dienst sowie dem Kinder- und Jugendtelefon, das unter der Nummer 116 111 erreichbar ist. Im Notfall: Kinder- und Jugendpsychiatrische Klinik aufsuchen – Tag und Nacht möglich.
  • Informationen zu Depressionen bei Kindern und Jugendlichen gibt das Onlineportal www.ich-bin-alles.de