Hollenstedt. In Hollenstedt eröffnet erste Saatgutbibliothek des Landkreis Harburg. Mit kostenlosem Verleih sollen alte Sorten erhalten werden
Sie wolle nicht missionieren. Es gehe ihr nicht um die Tomate, nicht um Onkel Gustav oder den frühen Heinrich. Schließlich wäre der Aufwand für einen Tomatensalat dann doch recht groß, sagt Wiebke Diercks. Worum es der Bibliothekarin geht, wenn sie dieser Tage die vielen hundert Saattütchen im Küsterhaus zur Ausleihe bereitstellt und die erste Saatgutbibliothek in Hollenstedt eröffnet?
„Ein Angebot zu machen. Aufzuklären. Ich möchte, dass die Menschen verstehen, dass sie jetzt etwas tun müssen, wenn sie auch in Zukunft noch verschiedene Sorten von Gemüse haben wollen“, sagt sie. Dafür hat Wiebke Diercks in den vergangenen Wochen 400 Saattütchen verpackt, beschriftet und katalogisiert. Jetzt wartet sie darauf, dass die wertvolle Saat unter die Menschen und in die Böden kommt.
Trend kommt im Landkreis Harburg an, der bundesweit Wurzeln schlägt
Mit dem Saatgutverleih im Küsterhaus der Samtgemeinde Hollenstedt kommt jetzt im Landkreis Harburg ein Trend an, der bundesweit Wurzeln schlägt. Immer mehr Einrichtungen bauen Saatgutbibliotheken auf. Die Idee dahinter: Sortenvielfalt zu erhalten. „In der Saatgutbibliothek erhalten Hobbygärtnerinnen und -gärtner einige Samen einer Sorte, säen diese auf Balkon oder im Garten aus und bauen die Pflanze über den Sommer an“, erklärt Diercks. „Nach dem Ernten der reifen Früchte trocknen sie die Samenkörnchen und bringen sie wieder in die Bibliothek zurück. Wer die Sorte mag, kann einen Teil seines Saatguts behalten.“ Wichtig sei nur, dass so viele Samen wie möglich wieder in die Saatgutbibliothek zurückfließen. Nur so könnten auch andere diese Sorte im nächsten Jahr anbauen.
Die Idee zur Saatgutbibliothek stammt aus den USA, wo es viel gentechnisch verändertes Saatgut gibt. Umweltinitiativen wie der Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt oder die Initiative zur Erhaltung historischer Gemüsesorten versuchen mit dem Verleih von Saatgut gegenzusteuern. Denn Alte Sorten sind meistens nicht nur robuster als kommerzielle Pflanzen, sondern schmecken oft besser. „Die Saat, die wir hier verleihen, ist etwas sehr kostbares“, sagt Wiebke Diercks. „Sie ist absolut rein und damit etwas völlig anderes als das Saattütchen aus dem Supermarkt.“ Rund 1000 Euro betrage der Wert des samenfesten Saatgutes. Finanzielle Unterstützung gab es von der Sparkasse Harburg-Buxtehude und der Volksbank.
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Verliehen werden fünf sortenfeste Gemüsearten: Tomate, Bohne, Erbse, Salat und Melde. Insgesamt 13 Sorten stehen zur Verfügung. Das reicht von der Tomate Goldener Currant und Beymes Erntesegen über Stangenbohne Violetta Rampicalbe, Kopfsalat Wintermarie, Zuckererbse Früher Heinrich bis zur Roten Gartenmelde. Die Saattüten sind wie ein Buch mit Strichcode versehen und in den Katalog der Bibliothek eingepflegt. „Der Nutzer kann sich eine oder mehrere Tüten ausleihen und nach zirka neun Monaten einen Teil der Saat von der angepflanzten Pflanze zurückgeben“, so Diercks. „Auf diese Weise soll sich der Bestand nach und nach vergrößern und die Zukunft der alten Sorten gesichert werden.“ Die Ausleihe ist kostenlos.
Gärtner können durch eigenen seltene Gemüsesorten retten
Mit dem Angebot stellen die Bibliotheken und Bücherhallen nicht nur das Thema Pflanzenwelt, sondern auch Nachhaltigkeit und Regionalität in den Fokus, die in Veranstaltungen vertieft werden sollen. So ist am 19. Mai ein Vortrag über historische Gemüsesorten geplant, am 15. September geht es um Saatgutgewinnung. „Das Ziel ist es, Bewusstsein für Diversität zu schaffen“, so Wiebke Diercks. „Im Kleinen bedeutet das, dass Gärtner und Gärtnerinnen durch den eigenen Anbau historische, regionale oder seltene Gemüsesorten retten.“ Geplant ist, die Ausleihe von Saaten im Frühjahr und Herbst zu etablieren.
Hier kann man auch mitmachen:
- Saatgut bieten inzwischen auch Zweigstellen der Hamburger Bücherhallen an sowie verschiedene Bibliotheken in der Region Lüneburg.
- In Adendorf, Bardowick, Reppenstedt und Kaltenmoor wird als Projekt „Saatgutbibliotheken Niedersachsen“ wissenschaftlich von Studierenden der Leuphana Universität begleitet.
- Auf der Projektwebseite (https://saatgutniedersachsen.wordpress.com/) gibt es sowohl Informationen für Bibliotheken, wie auch zahlreiche Anleitungen für den Anbau verschiedener Gemüsesorten.