Helvesiek. Der Demeter-Betrieb Pilzgarten bei Scheeßel züchtet Exoten wie Shiitake und Kräuterseitling. Wie das funktioniert.
Mitten im Grünen stehen zwischen Sittensen und Scheeßel große Hallen in der Landschaft. Viele haben gewölbte Dächer und sind in Reihen angeordnet. Wie Tunnel-Treibhäuser, nur mit Metall- statt Glaswänden. An anderer Stelle stehen Futtersilos. Hier werden keine Tiere gehalten, sondern Pilze gefüttert.
Die Edelgewächse vom Demeter-Betrieb Pilzgarten, der deutschlandweit und auch im Ausland den Naturkosthandel und die Kundschaft von Großmärkten mit Shiitake und anderen Baumpilzen versorgt.
„Pilze sind den Tieren näher als den Pflanzen"
„Pilze sind den Tieren näher als den Pflanzen“, sagt Torsten Jonas, Geschäftsführer der Pilzgarten GmbH. „Sie brauchen organische Stoffe, aus denen sie ihre Energie gewinnen, zum Beispiel Holz, altes Laub oder Stroh. Alles Pflanzliche, was irgendwo abstirbt, wird von Pilzen besiedelt und zersetzt. Für ihren Stoffwechsel brauchen sie, wie wir Menschen, Sauerstoff und atmen Kohlendioxid aus. Der Pilzkörper ist ein fädiges Geflecht, das mitten in der Nahrung steckt. Für den Nährstofftransport braucht er sehr viel Wasser. Eigentlich sind wir Spezialisten in der Produktion von schnittfestem Wasser. Pilze enthalten davon weit mehr als 95 Prozent. Essen tun wir nur die Fruchtkörper.“
1996 startete die Pilzfarm in Helvesiek als Ein-Mann-Betrieb. Heute arbeiten dort 65 Angestellte aus 16 Nationen. 2003 kam Torsten Jonas als Betriebsleiter in den Pilzgarten. Der studierte Biologe und Gartenbauwissenschaftler verbrachte zuvor fünf Jahre in Guatemala, entwickelte dort unter anderem eine umweltschonende Kulturtechnik von Tillandsien (in Deutschland als Zimmerpflanzen bekannt) und lernte seine Frau Heike kennen. Sie leitet inzwischen das Marketing von Pilzgarten; er übernahm ein Jahr nach seinem Einstieg die Geschäftsführung.
Wertmäßig belegen Speisepilze im Gemüseanbau in Deutschland den zweiten Platz, hinter dem Spargel. Fast immer sind es Champignons. In Helvesiek werden dagegen holzzersetzende Pilze angebaut. „Dazu bauen wir Baumstämme nach“, sagt Jonas. „Die Champignons gehören dagegen zur Gruppe der Kompostpilze. Um die anzubauen, braucht man einen stark stickstoffhaltigen Abfall, etwa Hühnerkot. Im Pilzgarten wachsen neben Shiitake vor allem Kräuterseitlinge heran sowie einige Exoten, die als Trauben (nicht einzeln) geerntet werden: Limonenseitling, Rosenseitling, Kastanienseitling und die „Winterpilze“ Weißer Buchenpilz und Samthaube, die nur von September bis April angeboten werden.
Vor der Ernte muss die Pilzbrut in Gang gesetzt werden
Bevor geerntet werden kann, muss zunächst die Pilzbrut in Gang gebracht werden. Dabei kommen die Silos ins Spiel: Betriebsleiter Nicholas Fehse setzt dazu Sägemehl, Weizenschrot, Ölpresskuchen, Kleie, etwas Kalk und Wasser ein. Eine Mischmaschine liefert Drei-Kilogramm-Portionen, die in Plastikbeuteln abgefüllt werden. Das Substrat wird sterilisiert, um sicher zu gehen, dass sich nur die gewollte Pilzart im Nährboden breit macht. Außerdem werden Getreidekörner hinzu gegeben, die die Pilzbrut tragen.
Der Pilz beginnt seine Fäden zu spinnen. Nach einigen Wochen wird er geschlechtsreif und bildet seine Fruchtkörper aus, erklärt Jonas. „Der Prozess dauert zum Beispiel beim Shiitake 16 Wochen. Wenn ich jede Woche 8000 Einheiten abernten möchte, muss ich 16-mal 8000 Einheiten vorhalten. Auf 4000 bis 5000 Quadratmeter Hallenfläche passiert nur das.“
Wechsel aus feuchten und trockenen Perioden gegen Schädlingsbefall
Auf der anderen Seite des Pilzgartens, der mit einem herkömmlichen Garten wenig gemein hat, stehen die zwölf Gewächshäuser. In den sogenannten Fruchtungsräumen wachsen die Pilze heran. Es sind Wellblechhallen, in denen etwa zwei Meter hohe Regale stehen. Auf mehreren Etagen lagern die Pilzblöcke. Mit Kunstlicht, Befeuchtung und Belüftung werden die Lebensbedingungen so gesteuert, dass sich die Gewächse wohlfühlen. Für den Kräuterseitling heißt das: 22-24 Grad Raumtemperatur und 90 Prozent Luftfeuchtigkeit. Durch die Einstellung der Umweltbedingungen kann Fehse die Pilze schneller oder langsamer wachsen lassen, je nach Bedarf. Mit einem Wechsel aus feuchten und trockenen Perioden beugt er Schädlingsbefall vor.
Fünf bis acht Tage nach dem Aufstellen im Fruchtungsraum werden die Blöcke abgeerntet. Eine Ernterin pflückt beim Kräuterseitling 25 bis 40 Kilo die Stunde. Das Team nimmt nur die reifen Pilze und braucht je nach Art und Menge drei bis vier Tage. Wir ernten alle Pilze auf einmal ab. „In der wärmeren Jahreszeit reifen die Pilze schneller. Dann muss auch mal zwölf Stunden lang geerntet werden. In ruhigeren Zeiten geht man dafür schon mittags nach Hause“, sagt der Geschäftsführer. Das alte Substrat landet in Kompostwerken. Die entleerte Halle wird anschließend mit neuen Blöcken bestückt. Die Zyklen des Substrats werden bewusst kurz gehalten, damit sich keine Schimmelpilze ansiedeln. Auch sie mögen die Lebensbedingungen auf der Pilzfarm.
Der Kräuterseitling ist ihr Aushängeschild. Mit ihm gewann die Pilzgarten GmbH 2001 einen nationalen Innovationspreis. „Uns war es damals gelungen, ein Substrat herzustellen, bei dem es eine verlässliche Menge an Pilzen gab, die man davon ernten konnte. Damit waren wir deutschlandweit im Stande, den Markt mit Kräuterseitlingen zu beliefern. Maximal 2,5 Tonnen pro Woche konnten wir damit ernten.
Betrieb produziert im Schnitt zehn Tonnen in der Woche
Damals, vor 20 Jahren, waren nur ein paar Freaks am Überlegen, wie man solche holzzersetzenden Speisepilze anbaut. Die Pilzwelt bestand nur aus Champignons und den Wildpilzen. Nur die Austernpilze waren schon am Markt.“ Heute produziert der Betrieb über alle Arten im Schnitt um die zehn Tonnen pro Woche – die größten Champignonbetriebe liegen bei 500 Tonnen.
Die Jahresernte in Helvesiek von 400 bis 500 Tonnen Edelpilze fällt dagegen relativ bescheiden aus. Aber die Ware ist gefragt. Jonas: „Als einziger pilzerzeugender Demeterbetrieb sind wir dem Naturkostfachhandel sehr verbunden. Es gibt in Deutschland zehn bis 15 Naturkostgroßhändler, die ausschließlich Bioprodukte handeln. Über sie beliefern wir Bioläden, das ist das ein großes Segment. Dazu bieten bioaffine Obst- und Gemüsehändler die Pilze auf den deutschen Großmärkten an – Hamburg ist für uns natürlich ein Heimspiel. Der dritte Sektor ist Export, in die Schweiz, nach Österreich, Frankreich, Holland. Dort müssen wir nicht über den Preis die Menge in den Markt drücken.“
In Deutschland liegt der Pro-Kopf-Konsum von Pilzen bei rund zwei Kilo pro Jahr. In Japan ist er etwa dreimal so hoch. Dort gebe es um die 60.000 Pilzzüchter, sagt Jonas – „eine unvorstellbare Zahl. Wenn wir Maschinen brauchen, kaufen wir sie in Asien“.
Wer dem Pilzzüchter nacheifern möchte, kann die Baumgewächse selbst aufziehen: Pilzgarten bietet einige Sorten aus der Familie der Seitlinge in einer Box mit Nährboden und Geflecht an – man muss das „Pilzkit“ zuhause nur noch anschneiden und einige Tage Geduld haben. Der Spruch „es schießt wie Pilze aus dem Boden“ lasse sich dort nach relativ kurzer Zeit gut beobachten, sagt der Pilzgärtner: „Das ist großartig für Familien. Auch Schulen nehmen das gern. Man findet vom Badezimmer bis zum nicht zu warmen Flur immer einen Ort, an dem man das machen kann.“