Harburg. Im Landkreis Harburg stieg die Zahl von Gewaltopfern, die beim Weissen Ring Hilfe suchten, im vergangenen Jahr um fast 50 Prozent

Die Gewalt in Partnerschaften und Familie hat 2021 weiter zugenommen. Das zeigen aktuelle Zahlen der Außenstelle Weisser Ring im Landkreis Harburg.

Den Angaben nach stieg die Zahl der Gewaltopfer, die Unterstützung bei dem gemeinnützigen Verein zur Unterstützung von Kriminalitätsopfern und zur Verhütung von Straftaten suchten, um 47 Prozent. Insgesamt 113 Opfer von Straftaten wandten sich 2021 an die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Opferhilfe. Das sind 77 mehr als 2020.

Deutliche Zunahme im Bereich Sexualdelikte

Eine deutliche Zunahme verzeichnet die Opferschutzorganisation im Bereich Sexualdelikte. So meldeten sich im vergangenen Jahr 33 Betroffene und baten um Hilfe. 2020 waren es 18. Auch die Zahl der Opfer von häuslicher Gewalt stieg deutlich an. Sie lag bei 38 Fällen (2020: 15). 45 Männer und Frauen wandten sich an den Weissen Ring im Kreis, weil sie Opfer von Körperverletzungen geworden waren. 2020 waren es 26.

Hinzu kamen elf Fälle von Stalking sowie neun von Nötigung. Unter den 33 Opfern von Sexualdelikten befanden sich 18 Personen die entweder in ihrer Kindheit oder aber vor kurzem als Kind sexuell missbraucht worden waren. Im Jahr zuvor waren es sechs. Drei Männer meldeten sich aufgrund häuslicher Gewalt beim Weissen Ring. Das durchschnittliche Alter der Opfer sank von 40 auf 37 Jahre. Zehn Betroffene waren zwischen vier und zwanzig Jahre alt. Fünf Opfer hatten das 60. Lebensjahr vollendet.

Dass die Gewalt gegenüber Familienangehörigen in der Pandemie zunehmen würde, hatte Opferschutzorganisationen bereits im vergangenen Jahr prognostiziert. Ebenso, dass diese Entwicklung mit einem Verzögerungseffekt deutlich werden würde.

Viele Gewaltopfer konnten im Lockdown kein Hilfe holen

Michael Kropp von der Außenstelle des Weissen Rings im Landkreis sieht die Prognose durch die Zahlen bestätigt. „Im ersten Jahr der Pandemie waren offenbar viele Gewaltopfer gar nicht in der Lage, sich Hilfe von Außen zu holen“, sagt Kropp. „Sie waren mit den Tätern in einer Wohnung quasi eingesperrt und ständig unter deren Kontrolle.“ Im Zuge der Lockerungen im vergangenen Jahr sei dann die Bereitschaft der Opfer gestiegen, sich zu melden. Wie auch im Jahr 2020 handelte es sich laut Michael Kropp bei rund 80 Prozent der Hilfesuchenden um Frauen. „Viele weibliche Opfer von Sexualdelikten oder häuslicher Gewalt baten um Betreuung durch möglichst weibliche Personen der Außenstelle“, sagt der pensionierte Polizeibeamte. Denn: „Die Täter waren überwiegend die männlichen Partner und Ex-Partner, weshalb es schwierig geworden wäre, das Vertrauensverhältnis der Opfer zu männlichen Personen der Außenstelle auszubauen.“

Ob die Zahlen trotz oder vielleicht wegen der Coronapandemie so eklatant gestiegen sind, vermag auch Kroop nicht zu sagen. „Die Pandemie hat dafür gesorgt, dass die Menschen zuhause bleiben mussten und sich nicht aus dem Weg gehen konnten“, sagt er. „Und Nähe ist nicht zwingend positiv.“ Vor allem für Paare und Familien in engen Wohnverhältnissen sei die Situation schwierig gewesen. Kropp geht davon aus, dass auch in diesem Jahr die Belastung der elf ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hoch bleiben wird, appelliert daher an Freiwillige, den Verein und seine Arbeit zu unterstützen. „Wir sind froh um jeden, der einen Beitrag leisten möchte“, sagt er. Voraussetzung seien Zeit, Interesse und Empathie. Manchmal reiche es schon, einfach nur zuzuhören. Manchmal seien zusätzliche Hilfen erforderlich.

Opfer von Sexualdelikten lehnten weitere Unterstützung ab

Doch es komme auch vor, dass Betroffene weiterführende Unterstützung ablehnen würden. Auch hier hätte sich die Zahl im Vergleich zu 2020 deutlich verändert. 25 Betroffene (2020: 12) hielten zusätzliche Hilfen nicht für erforderlich oder lehnten die vom Weissen Ring getätigten Vorschläge ab. Insbesondere Opfer von Sexualdelikten waren aufgrund ihrer psychischen Situation oft nicht in der Lage, weitergehende Angebote wie beispielsweise die Durchführung einer psychologischen Erstberatung zu realisieren.

Auch finanziell steht die Einrichtung Opfern zur Seite. So wurden im vergangenen Jahr durch die Außenstelle 37 Erstberatungen bei Rechtsanwälten und 29 bei Psychologen oder Traumaambulanzen für 12.540 Euro finanziert. In tatbedingten finanziellen Notlagen wurde in 34 Fällen mit 9334 Euro geholfen. Zweimal zahlte der Weisse Ring aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls weitere finanzielle Opferhilfen in Höhe von insgesamt 1.681 Euro.

Weissen Ring Süderelbe half bei elf Tötungsdelikten

Beim Weissen Ring Süderelbe meldeten sich im vergangenen Jahr 130 Opfer von Gewalttaten. Der Schwerpunkt lag auf der Hilfe in den Deliktbereichen Körperverletzung (35 Fälle), Sexualdelikte (27 Fälle) und Diebstahl (14 Fälle) sowie Bedrohung/Nötigung (16 Fälle), Nachstellung/Stalking (16 Fälle), Raub (4 Fälle) und Einbruch (2 Fälle). Bei elf Tötungsdelikten standen die ehrenamtlichen Helfer den Angehörigen und Hinterbliebenen bei.

An finanzieller Hilfe leistete die Einrichtung im letzten Jahr rund 12.500 Euro für Sofort- bzw. Opferhilfen zur Überbrückung tatbedingter Notlagen. Rund 100 Hilfeschecks für psychologische und anwaltliche Erstberatung ergänzten das Hilfsangebot.