Landkreis Harburg. Verein Über:Morgen soll Schule machen: Konzept und Lernplan sind entwickelt, Anmeldungen schon da. Der Landkreis unterstützt die Idee.

Eine zunehmende Zahl von Eltern übt Kritik am Bildungssystem staatlicher Regelschulen. Das Interesse an privaten Schulplätzen in ganz Deutschland wächst. Doch diese sind knapp, Kinder müssen oft einen langen Schulweg von bis zu einer Stunde auf sich nehmen, um privat unterrichtet zu werden.

Das möchte eine Initiative von rund 30 Eltern nun ändern und hat den Schulträgerverein Über:Morgen gegründet. Ziel ist die Gründung einer privaten, demokratischen Schule im Landkreis Harburg.

Kinder lernen am besten aus eigenem Antrieb heraus

Es sei nicht kindgerecht, wenn Wissen nach einem vorbestimmten Schema über alle Kindsköpfe hinweg nach einem festen Plan vermittelt wird. Sondern, davon sind die Eltern überzeugt, Kinder lernen am besten von innen heraus nach eigenen Interessen.

„Mein sechsjähriger Sohn beschäftigt sich beispielsweise gerade mit den Zauberer-Geschichten rund um Harry Potter“, sagt Nadine Poßienke-Taeger. „Dadurch lernt er nicht nur lesen, wir haben gerade Zaubersprüche nach dem Alphabet sortiert und so weitergehende Inhalte der deutschen Sprache vermittelt. Dies könnte auf andere Schulfächer ausgeweitet werden – und dies durch sein eigenes Interesse an Harry Potter.“

Kinder auf die Herausforderungen von übermorgen vorbereiten

Für dieses intrinsische Lernen, also das Lernen aus eigenem Antrieb, haben die Pädagogen der Initiative ein Lernkonzept und einen Stundenplan entwickelt, der aktuell mit dem niedersächsischem Bildungsministerium abgestimmt wird. „Wir sind zuversichtlich, dass unser pädagogisches Programm bald genehmigt ist und wir starten können“, so der und IT-Fachmann und Vorstandsvorsitzende Daniel Zimmermann.

„Es ist uns wichtig die Kinder auf die Herausforderungen von übermorgen vorzubereiten. Deshalb setzen wir stärker als viele Regelschulen darauf, den Kindern vom ersten Schuljahr an eine gewisse Medienkompetenz und digitale Affinität zu vermitteln“, sagt der Vater zweier schulpflichtiger Kinder. „Der Umgang mit modernen Medien, beispielsweise bei der Erkennung von Fakenews, komme auf den Regelschulen oft zu spät. Bei uns wird das Tablet zum Alltagsbegleiter von Kindern, Eltern und Lernbegleitenden.“

So habe die Initiative eine internetbasierte Plattform zur Dokumentation und Förderung des Lern- und Wissensstandes entwickelt, auf die alle Beteiligten regelmäßig zugreifen und sich austauschen können. „Wir verstehen uns nicht als Gegenentwurf zur staatlichen Regelschule“, stellt Torsten Bellmann als Finanzfachmann der Gruppe klar. „Es geht uns vor allem darum, Schule weiterzuentwickeln und die Kinder da abzuholen, wo sie aktuell stehen und jedes Kind durch seine eigenen Interessen zum Schulabschluss zu führen.“

Kinder häufig nur ein Rädchen im Apparat

Im Regelschulbetrieb seien Kinder häufig nur ein Rädchen im Apparat und fallen dadurch oftmals durch das vorgegebene Raster. Während im Regelschulsystem Individualität und die eigenen Interessen oft in den Hintergrund rückten, Druck durch Noten und Nachweise entstünde, zeigten Erfahrungen, dass es Lernenden an freien Schulen teils an Halt und Orientierung fehle. An der FUXS, wie die neue freie Schule heißen soll, werde dies anders sein. Freies und selbstbestimmtes Lernen soll im Alltag mit einer wiederkehrenden Struktur und verbindlichen Elementen kombiniert werden. Das sei schon im Selbstverständnis anders. So werden die Lehrer und Lehrerinnen hier künftig Lernbegleitende heißen und nicht frontal Wissen vermitteln.

Auf dem Stundenplan steht neben dem obligatorischen Morgenkreis beispielsweise das didaktische Freilernen im Lernatelier und feste Lernangebote wie Geologie und Mathematik. Die neue Schule FUXS will starten, sobald die Genehmigung für das pädagogische Konzept durch das Bildungsministeriums vorliegt und ein geeigneter Schulstandort gefunden ist. Spätestens zum Schuljahr 2022/23 soll es losgehen.

Der Name FUXS setzt sich zusammen aus den Buchstaben, „Free“ (freies Lernen), „United“ (Verbundenheit und Weltoffenheit), „X“ (Vielfalt) und „Sociocratic“ (steht für ein Konsensprinzip, das dazu führt, dass jeder mit den getroffenen Entscheidungen leben kann). Mit jeweils zwölf Kindern an der Grundschule und der Oberschule möchte die Schule im Sommer ihren Unterricht beginnen. Es liegen bereits Anmeldungen von Interessenten vor. „Einige wenige Schulplätze sind für den Start noch frei“, so Nadine Poßienke-Taeger aus Harburg. „Aber sobald wir einen Schulstandort haben, werden die Plätze schnell vergeben sein.“

Anbindung einer Kindertagesstätte bis zur Vorschule

Später sei auch die Anbindung einer Kindertagesstätte bis zur Vorschule angedacht. Der Kooperationspartner Nestrocker betreibt bereits zwei Kindertagesstätten in Harburg. Die schnelle Vergabe der Schulplätze sei auch nötig, da staatliche Unterstützung in finanzieller Form erst in drei Jahren kommen wird. Ab dem vierten Schuljahr trägt das Land zwei Drittel des Geldes bei, das eine öffentliche Schule erhält. Aktuell plant der Verein mit dem Schulgeld der Eltern von monatlich 230 Euro pro Schulplatz und Spenden. „Zudem ist für die Gründungszeit die Aufnahme eines zinsgünstigen Kredits geplant, der später zurückgezahlt werden kann“, so Finanzvorstand Torsten Bellmann.

Der Landkreis Harburg unterstütze die Bemühungen des Vereins vor allem bei der Immobiliensuche sehr intensiv. „Wir sind sehr zuversichtlich in naher Zukunft auch einen Standort mitteilen zu können, noch ist aber nichts spruchreif“, sagt Daniel Zimmermann, der in Stelle lebt. Für das erste Jahr braucht die freie Schule ein geeignetes Gebäude mit einer Fläche von mindestens 350 Quadratmetern, später sollen es mindestens 1500 Quadratmeter werden.

Sollte es nicht mit einer bereits gebauten Immobilie klappen, werde der Verein zunächst mit dem Unterricht in gemieteten Schulcontainern beginnen. Außerdem werden derzeit noch examinierte Lernbegleitende gesucht, die in der Schule tätig werden wollen, auch mit geringen Stundenzahlen.

Schulen im Landkreis und im Bezirk Harburg:

  • Im Landkreis Harburg gibt es aktuell 101 Schule. Vier Schulen sind laut Angaben der Kreisverwaltung davon Privatschulen. Eine ist die demokratische Schule Heureka in Maschen, die seit 2021 auch über eine Oberstufe verfügt.
  • Im Hamburger Bezirk Harburg gibt es aktuell 62 Schulen, davon drei weiterführende Privatschulen und zwei Grundschulen wie beispielsweise die Rudolf-Steiner-Schule in Hausbruch. Die Integrierte Gesamtschule hat einen Schwerpunkt in Waldorfpädagogik.
  • Bundesweit liegt der Schnitt von Privatschülern bei rund 15 Prozent, in Harburg Stadt und Land liegt der prozentuale Anteil bei knapp fünf Prozent.