Stade. Wie nachhaltig ist die Region? Stader Unternehmen bietet Solarmodule für die Steckdose an. Sie könnten Energiewende voran bringen.

Um den Klimawandel zu bremsen braucht es mehr „grünen“ Strom. Das fordert auch der Bundeswirtschaftsminister, nachdem neueste Berechnungen ergeben haben, dass allein die zunehmende Zahl der Elektromobile den Bedarf stärker erhöhen wird, als bisher angenommen. Ein bisher kaum genutztes Potenzial stellen Solarmodule für die Steckdose dar.

Stecker-Solargeräte, auch Stecker-Photovoltaik, Plug-In PV oder tragbare PV-Anlage genannt, bestehen aus ein oder zwei Solarmodulen, einem integrierten Wechselrichter, der den erzeugten Gleichstrom in Wechselstrom umwandelt, Montage-Zubehör und einer Steckverbindung als Leitung zur Steckdose.

Anschaffung könnte sich aufgrund von Homeoffice lohnen

Somit können auch Mieter ein solches Gerät nutzen, um mit der auf dem eigenen Balkon oder der Terrasse generierten Solarenergie Waschmaschine, Trockner, Kühlschrank, Radio, Computer und Stand-by-Geräte zu betreiben. Der Strombezug aus dem Netz reduziert sich damit. Gerade jetzt, da Arbeit im Homeoffice in vielen Haushalten den Stromverbrauch ansteigen lässt, kann sich eine Anschaffung lohnen.

Ob ein solches Gerät sich rechnet, hängt wesentlich davon ab, ob der erzeugte Strom auch parallel verbraucht wird. Denn „überschüssiger“ Strom wird unvergütet ins Netz eingespeist. Es empfiehlt sich somit, Geräte mit hohem Stromverbrauch wie Waschmaschine, Trockner oder Geschirrspüler dann laufen zu lassen, wenn die Sonne scheint und Solarstrom generiert wird. Entscheidend für die Effizienz ist aber die optimale Ausrichtung. „Möglichst genau nach Süden, idealerweise ein wenig gekippt und vor allem unverschattet“, erklärt Andreas Kehren, Spezialist für Photovoltaik in Stade.

Sein Unternehmen Solaranlage.one bietet auch Module für die Steckdose an. Verkauft hat er bisher „so drei bis vier“, installiert noch keines. „Das machen die Kunden selbst. Wenn ein Handwerker kommen müsste, würde die Anschaffung zu teuer.“ Bei guter Ausrichtung generiert ein Modul von etwa 1,7 Quadratmeter Größe eine Leistung von bis zu 300 Watt. „300-Watt-Module samt Wechselrichter sind einschließlich Montagevorrichtung ab 500 Euro erhältlich und erzeugen je nach Standort bis zu 300 Kilowattstunden Strom im Jahr“, erläutert Bernhard Weyres-Borchert, Energieexperte der Verbraucherzentrale Hamburg.

Gesellschaft für Sonnenenergie betreibt Info-Portal

„Ein bis zwei Photovoltaik-Module können mit einem Wechselrichter über einen Schukostecker direkt an das häusliche Stromnetz angeschlossen werden. Damit kann jeder Haushalt etwa zehn Prozent seines Stroms für acht Cent pro Kilowattstunde selbst produzieren“, schreibt die Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie (DGS), die mit www.pvplug.de ein eigenes Portal für steckbare Solartechnik anbietet. „In den nächsten Jahren könnten dadurch ein bis zwei Gigawatt dezentrale regenerative Erzeugungskapazitäten ohne Netzausbau in Deutschland angeschlossen werden, weltweit wären sogar 90 Gigawatt möglich“, heißt es dort.

Bereits 2016 hat sich auf Initiative der DGS die Arbeitsgruppe „PVplug“ gegründet. Seither bemühen sich ehrenamtlich engagierte Ingenieure, Wissenschaftler, Rechtsanwälte, Energieblogger, Unternehmer, Fachjournalisten und Werbestrategen, die dezentrale Energieversorgung weiter voranzutreiben und bürokratische Hürden abzubauen. Ein Meilenstein war die Entwicklung eines Sicherheitsstandards.

Stecker-Solargeräte müssen angemeldet werden

Zu den noch unerreichten Zielen gehört die Abschaffung der - anders als in einigen anderen europäischen Staaten - in Deutschland geltenden Meldepflicht. Stecker-Solargeräte müssen beim örtlichen Stromnetzbetreiber und der Bundesnetzagentur (Marktstammdatenregister) angemeldet werden. Allerdings wird das Gebot meist ignoriert.

„Nach Expertenschätzung sind aktuell 150.000 Geräte in Anwendung. Im Marktstammdatenregister sind knapp 40.000 Photovoltaik- Anlagen mit einer Bruttoleistung unter 1,5 kW gemeldet, wovon knappe 11.000 von Netzbetreibern als solche bestätigt wurden“, stellen Forscher der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin in einem im Juni 2021 veröffentlichten Bericht über Nutzungsmodelle, technische und rechtliche Rahmenbedingungen von Stecker-Solarmodulen fest.

Eine Ahndung dieser Ordnungswidrigkeit sei allerdings außerordentlich unwahrscheinlich, bemerken die Experten. „Selbst bei den ‚großen‘ PV-Anlagen ist der DGS kein Fall bekannt, bei dem bei der Nichterfüllung von Meldepflichten auf bisherigen gesetzlichen Grundlagen ein Bußgeld verhängt wurde.“ Und die Verbraucherzentrale Nordrhein Westfalen bezeichnet es als „auch unter Juristen …noch strittig, welche Konsequenzen es hat, auf die Anmeldung (beim Netzbetreiber oder der Bundesnetzagentur) zu verzichten.“

Außerhalb dieser rechtlichen Grauzone: Inselanlagen

Außerhalb dieser rechtlichen Grauzone bewegen sich sogenannte Inselanlagen. „Wenn kein Anschluss zum Netz besteht, kann es auch keine Probleme geben“, konstatiert Andreas Kehrer. Inselanlagen kommen dort zum Einsatz, wo kein Netzstrom vorliegt: In Schrebergärten, abgelegenen Ferienhäusern oder beim Camping. Momentan steige die Nachfrage nach Solarmodulen auf dem Dach von Carports.

„Der Solarstrom wird dann in einem Akku gespeichert und dient einzig und allein dem Aufladen des E-Autos. Und weil während der Pandemie viele Garten-Pools errichtet wurden, werden verstärkt Solarmodule genutzt, um Pumpen damit zu betreiben“, erzählt der Stader Experte. Nach nennenswertem Beitrag zur Energiewende klingt das noch nicht.

Öffentliches Interesse am Thema steigt

Joseph Bergner, der an der HTW Berlin seit Jahren zu Möglichkeiten und Hemmnissen des Solarausbaus forscht und sich in seinem jüngsten Projekt dem Thema Stecker-Solar widmet, ist dennoch optimistisch. Nach Auswertung einer entsprechenden Umfrage geht er davon aus, dass sich bereits im ersten Quartal 2021 ein Zuwachs der Meldezahlen von mindestens 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr abzeichnet, was einer neu installierten Leistung von 4,5 Megawatt 2021 entspräche.

Sicher ist, dass das öffentliche Interesse am Thema steigt. Das beweisen die vielen Anfragen, die sowohl die DGS als auch die Energieberater der Verbraucherzentralen erreichen. Um dem gerecht zu werden, kooperieren die Verbände. Anfragen beider Institutionen werden von den Energieberatern der Verbraucherzentrale beantwortet. Im Gegenzug schult die DGS die Berater im Themengebiet der Steckersolargeräte.

Checkliste zur Nutzung von Stecker-Solargeräten:

  • 1. Erlaubnis: Für Miet- und Eigentumswohnungen bedarf es der Zustimmung des Vermieters oder der Eigentümergemeinschaft, um Solarmodule an der Brüstung oder Hauswand anbringen zu können.
  • 2. Kauf: Nur steckfertige Geräte kaufen und auf die Einhaltung des Sicherheitsstandards der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie achten (DGS 0001:2019-10).
  • 3. Montage: Den besten Ertrag liefern Module, die unverschattet gen Süden ausgerichtet sind. Die Geräte müssen sturmfest montiert sein.
  • 4. Anmeldung und Betrieb: Stecker-Solargeräte sind beim örtlichen Stromnetzbetreiber und der Bundesnetzagentur (Marktstammdatenregister) anzumelden. Leider erschweren einzelne Netzbetreiber den Anschluss oder verlangen unzulässige Entgelte für den gegebenenfalls notwendigen Zählertausch. Den Betrieb verbieten dürfen sie nicht. Quelle: VZHH