Ehestorf. Sie sind unhandlich und nichts für Langstrecken: Sammler Jörg Maltzan liebt die Fahrräder trotzdem. Museumausstellung zeigt warum
Jörg Maltzan steht hinter dem Rad. Den Lenker zieht er zu sich hin, nach oben. Das Vorderrad schwebt jetzt in der Luft. Er schwingt sich auf den Sattel, kippt den Lenker wieder nach vorne. Das Vorderrad setzt auf dem Boden auf. Los geht’s. Beschwingt tritt der Hamburger in die Pedale seines Bonanzarads, das Grinsen könnte auch vor knapp 50 Jahren kaum breiter gewesen sein.
Das etwas umständliche Erklimmen des Sattels war auch damals kein Hindernis, die Erfolgswelle der aufgrund ihrer hohen Lenker- und Sitzposition „High-Riser“ genannten Räder erreichte Deutschland ungebremst. Alle, die kein Bild vor Augen haben, können sich ab sofort und bis zum 17. Oktober acht Räder von Jörg Maltzan im Freilichtmuseum Kiekeberg anschauen.
Ungünstige Fahrposition und Sicherheit der High-Riser waren ein Kritikpunkt
Als Kind der Siebziger hatte Maltzan Glück: Im Alter von zehn Jahren schenkten ihm die Eltern 1973 ein Bonanzarad (Marke Göricke). Relativ kostspielig, relativ unpraktisch, absolut cool. „Damit war man der König“, erinnert sich Maltzan erfreut. „Stolz wie Bolle“ ist er damit durch Hamburg Jenfeld geflitzt. Fußballplatz, Schwimmbad, Schule – und natürlich zur Eisdiele. Teilen wollte er es zu dieser Zeit lieber nicht: „Das war schon meins.“ Ein Vorteil: Der jüngere Bruder war noch zu klein für den hohen Sattel.
Im Alter von 15 Jahren war das teure Rad (Neupreis von 200 Mark) verschwunden: Gestohlen. „Ich habe dann ein vernünftiges Rad bekommen“, erinnert sich Maltzan. „Dann war auch der Weg zur Schule nicht mehr so mühsam.“ Das waren immerhin fünf Kilometer. Ohnehin war der Bonanza-Boom zu dieser Zeit in Deutschland vorüber. Die ungünstige Fahrposition aufgrund des hohen Lenkers beeinträchtigte die Stabilität und Sicherheit der High-Riser, das „unfunktionale“ Rad war immer stärker in die Kritik geraten.
Sammler schrieb sogar ein Buch über seinen Liebling
Fragen, die sich rund um das Thema Bonanzarad drehen, beantwortet Maltzan mit Leichtigkeit. Vor einigen Jahren wäre das noch nicht der Fall gewesen. Da stellte sich Maltzan selbst viele Fragen, auf die er nur unzureichende Antworten finden konnte. So begann er, genauer zu recherchieren und schrieb schlussendlich die „Bonanzarad Bibel“, 2020 im Delius Klasing Verlag veröffentlicht. Heute kann er die Ursprünge in Kalifornien schildern, kennt die Hersteller sowie die technischen Details der Räder mit „markantem Design und simpler Technik.“
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In der Regel widmet sich Jörg Maltzan als Journalist dem Auto. „Gleichzeitig hatte ich aber schon immer ein Faible für Fahrräder“, sagt der Hamburger. Wie wurde er zum Sammler? Über Umwege, zunächst begann er sich vor etwa 15 Jahren intensiver mit Klapprädern zu beschäftigen. Diese hätten einige Parallelen zu den Bonanzarädern aufzuweisen und führten ihn zufällig zu diesen zurück. Mittlerweile hat er nicht nur Klapp- und Sporträder, sondern auch zwölf High-Riser. Die weitere Suche geht der Sammler entspannt an: „Irgendwann ist die Garage auch voll.“
Bonanza-Fan nimmt auch an Radspielen in Hofgeismar teil
Neben der Reparatur und Restaurierung der Räder ist Maltzan auch immer noch selbst auf dem Bonanzarad unterwegs. Nicht mehr unbedingt zum Fußballplatz, aber dafür „an einem lauen Sonnabend durch die Stadt“. Dabei freut sich der Sammler über die nostalgischen Reaktionen der Passanten, vor allem seiner Generation, die bunten 70er sind schnell zurück. Zudem sorgt das Rad bei Demonstrationen gerne einmal für Aufsehen und auch bei den Bonanzaradspielen in Hofgeismar hat er schon teilgenommen.
In der Kleinstadt, die etwa 30 Kilometer nördlich von Kassel liegt, werden alljährlich sieben Disziplinen durchlaufen: Möglichst langsam fahren, mit Tempo durch den Slalom-Parcours oder um eine Bierdose kreiseln. Wobei die ein oder andere Dose im Sinne der Nachhaltigkeit auch gleich verwertet wird. Maltzan nimmt den Siebenkampf auf Zweirädern mit Humor: „Ein großer Klamauk ist das.“
Die Idee zur Ausstellung kam dem Journalisten während eines Besuchs vor Ort in Kiekeberg. Oft und gerne ist er mit seinen Kindern im Freilichtmuseum. Museumsdirektor Stefan Zimmermann stimmte hocherfreut zu. Langsam führt Maltzan auch den eigenen Nachwuchs an die Räder heran: Nach anfänglichem Zögern ist zumindest der sechsjährige Sohn schon die ersten Meter gefahren. Zur Sicherheit auf dem freien Parkplatz. Die nächste Eisdiele kommt bestimmt.
Warum Bonanza eine deutsche Eigenart ist
Nur in Deutschland setzte sich der Name Bonanzarad durch. Österreich und die Schweiz verwendeten die ursprüngliche Bezeichnung High-Riser, in anderen Ländern kursierten Begriffe wie Bananabike, Rodeobike oder Western-Fahrrad. Schuld daran ist der Neckermann-Katalog. Darin findet sich der Begriff 1970 erstmalig. Es wird angenommen, dass sich das Unternehmen die Popularität der gleichnamigen Fernsehserie zunutze machen wollte: Rad wie Serie kommen aus dem Westen der USA, beide sprechen in erster Linie jungen Leute im Alter zwischen acht und 15 Jahren an. Hinzukommen die Symbole wie Pferde, Reiter und Sheriffsterne, die auch die Rahmen der Räder zieren.