Helmstorf/Ehestorf. Im Zweiten Weltkrieg entstanden Holzhütten für Familien, die alles verloren hatten. Die Geschichte einer Hütte wird jetzt gesichert.

Der Trampelpfad geht von einem ausgebauten Wochenendhaus weiter hinauf in den Wald direkt auf die Hütte zu. Das Häuschen hat ein schräges Pultdach, zwei mit Läden verschlossene Fenster und wirkt zwischen den hohen Bäumen ein wenig verwunschen. Besitzer Peter Rathmann öffnet die Läden und lässt Licht in die beiden Räume. Der selbstständige Speditionskaufmann im Ruhestand hat die Unterkunft in der Lindhorster Heide am Rande von Helmstorf lange für Wochenenden im Grünen mit der Familie genutzt.

Doch gebaut wurde sie wie tausende andere einst als Notunterkunft – für ausgebombte Menschen, die im Zweiten Weltkrieg nicht mehr wussten, wohin. Jetzt soll die im Volksmund nach dem für den Bau der Häuser zuständigen Reichswohnungskommissar Robert Ley benannte Hütte ins Freilichtmuseum am Kiekeberg kommen. „Wir werden die Ley-Bude im letzten Drittel des Jahres abholen und sie nahe der Nissenhütte neben den Häusern der Königsberger Straße platzieren“, sagt Museumsdirektor Stefan Zimmermann bei einem Besuch vor Ort.

Der Bombenkrieg bringt den Tod und macht Menschen obdachlos

Es ist die dramatische Situation, die das Naziregime veranlasst, ein Programm für den Bau der Unterkünfte aufzulegen. Der Erlass für ihr Deutsches Wohnungshilfswerk vom 9. September 1943 stammt von Adolf Hitler. Längst ist zu dieser Zeit der vom Dritten Reich angezettelte Angriffskrieg über die Bombenangriffe der Alliierten nach Deutschland zurückgekommen, hat Abertausenden getötet oder obdachlos gemacht.

Das Hilfswerk kann jedoch die Erwartungen auf zumindest einfachste Wohnungen nie erfüllen. Es fehlen Material, geeignete Grundstücke und Kenntnisse bei den Bauherren. Fachkräfte sind im Kriegseinsatz oder arbeiten in der Rüstungsindustrie. Dennoch erhält der Landkreis Harburg 1944 eine Materialzuteilung für 1000 Behelfsheime.

Unterlagen zu den einzelnen Bauten sind lückenhaft

„Gut möglich, dass das Haus zu den mit dem Material errichteten Unterkünften gehört“, sagt Zofia Durda, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Museums und eine der beiden Leiterinnen des Projektes Königsberger Straße. Die Darstellung der Nachkriegszeit mit der Straße wird nun mit der Ley-Bude durch einen Rückblick in die Kriegszeit ergänzt.

Die Ley-Buden entstanden komplett aus Holz
Die Ley-Buden entstanden komplett aus Holz © Unbekannt | Rolf Zamponi

Die historischen Recherchen des Museums zu dem Hilfsprogramms der Nazis gestalten sich nicht einfach. „Wie viele Häuser es im Landkreis gab und wer dort wie lange gewohnt hat, ist nur schwer herauszufinden“, sagt die Historikerin Durda, die seit vier Jahren für das Museum arbeitet. Hintergrund sind die lückenhaften Unterlagen. „Die Bauten mussten nicht genehmigt werden, es gibt keine Bauakten, keinen Eintrag in die Grundbücher oder Änderungen der Grundsteuer“, so Durda. Museumsdirektor Zimmermann beschreibt das künftige Vorgehen: „Wir müssen das Gesamtbild aus Schnipseln zusammensetzen.“

Zwei Räume, kein Keller und kein innenliegendes Bad

Klar ist: Die Häuser sollten auf 20 Quadratmetern Platz für bis zu sechs Personen bieten. Vorgesehen waren zwei Räume mit einem Windfang am Eingang, aber kein Keller und kein innenliegendes Bad. Die 200 Quadratmeter Grundstück sollten die damaligen Bürgermeister den Menschen zuweisen. Nicht nur mit bereitgestelltem Material wurde gebaut, sondern auch mit dem, was gerade zur Verfügung stand. Dafür gab es als Anleitung die Behelfsheimfibeln. „Es packten nicht nur die Bewohner für den Bau mit an. Auch Gemeinden, private Baufirmen und NSDAP-Gruppen waren beteiligt“, weiß Durda.

Für den bisherigen Besitzer, Peter Rathmann beginnt seine Geschichte mit der Ley-Bude im Jahr 1977, als er nach dem Grundstück mit dem größeren Wochenendhaus ein zweites 2500 Quadratmetern großes mit der Hütte pachtet. Dort verbringt er Zeit mit seinen Eltern, seiner Frau Barbara und seinen drei Kindern. „Meine Mutter kochte, was unsere Kinder am liebsten aßen“, erzählt er. Dass es sich bei der Hütte um eine Ley-Bude handelte, wusste sein Vater Otto als Jahrgang 1903 aus eigenem Erleben.

Das Museum wollte sich das kaum veränderte Häuschen sichern

Der Schrank in der Hütte stammt noch von den Vorgängwern vom heutigen Besitzer Peter Rathmann.
Der Schrank in der Hütte stammt noch von den Vorgängwern vom heutigen Besitzer Peter Rathmann. © Unbekannt | Rolf Zamponi

Der Kontakt Rathmanns zum Museum entstand nach einem Besuch am Kiekeberg vor wenigen Jahren, als der heute 83-Jährige auf die dort seit 2007 aufgebaute Nissenhütte aufmerksam wurde. „Vielleicht ist auch meine Hütte geschichtlich interessant, habe ich gedacht“, erinnert er sich. Ein Treffen mit dem damaligen volkskundlichen Leiter des Museums, Alexander Eggert, gab dann den Ausschlag. Eggert, der inzwischen das Schleswig-Holsteinische Landwirtschaftsmuseum in Meldorf leitet, wollte das Haus unbedingt an den Kiekeberg holen.

Für die Übergabe werde er „nichts annehmen“, versichert Rathmann: „Ich würde eher für das Museum spenden.“ Dem ehemaligen Unternehmer geht es vielmehr darum, dass die Bude nicht entsorgt und damit Geschichte aus der Region vergessen wird. Dafür wird jetzt das Freilichtmuseum mit der Übernahme sorgen.

Für den Abtransport lässt sich die Hütte in Einzelteile zerlegen

Der Transport nach Ehestorf wird dabei längst nicht den Aufwand verursachen, den zuletzt der Abtransport des Siedlungshauses aus Tostedt verursacht hatte: Mit Tieflader, beauftragten Spezialfirmen und einer über Tage andauernden Fahrt (Abendblatt berichtete). Vielmehr lässt sich die Ley-Bude in einzelne Teile zerlegen, die sich am neuen Standort wieder zusammensetzen lassen. „Das werden wir wohl vor allem in Eigenleistung erledigen“, sagt Museumschef Zimmermann. Gewöhnliche Anhänger dürften dafür sicher ausreichen.