Neu Wulmstorf. Nach Schließung des Traditionsbetriebs in Neu Wulmstorf nimmt eine Transfergesellschaft die Arbeit auf. Maschinen werden abgebaut.
Der Betrieb geschlossen, Maschinen und Geräte werden in diesen Tagen noch aus den Gebäuden geräumt und geleaste Fahrzeuge abgeholt: Im Drama um das Ende des mehr als 160 Jahre alten Traditionsunternehmens Schwarz Cranz in Neu Wulmstorf hat nun offensichtlich der letzte Akt begonnen.
Ende des Jahres machte der Wurst- und Schinkenproduzent zunächst Schlagzeilen mit der Insolvenz, dann mit dem Fund von Bakterien in zwei Produkten und schließlich mit der angekündigten Betriebsschließung, weil eine Sanierung nach Darstellung von Insolvenzverwalter Friedrich von Kaltenborn-Stachau aussichtslos erschien.
Auf 70 bis 100 Millionen schätzt er die aktuelle Gesamthöhe der Forderungen an das Unternehmen, das bisher mit rund 550 Mitarbeitern größter Arbeitgeber im Ort war. Die Gruppe der Gläubiger sei dabei sehr gemischt, so von Kaltenborn-Stachau. Vor allem Lieferanten und Banken gehörten dazu. Aber auch die Agentur für Arbeit habe wegen der Insolvenzgeld-Vorfinanzierung Forderungen an Schwarz Cranz.
Was wird aus der Schwarz-Cranz-Immobilie?
Am Montag, 1. Februar, hat nun eine Transfergesellschaft die Arbeit aufgenommen. Rund 90 Prozent der Mitarbeiter sind jetzt zunächst in dieses Unternehmen gewechselt, das etwa fünf Monate bestehen bleiben und ihnen bei der Jobsuche helfen soll.
Die Immobilie selbst gehörte bisher zur eigenständigen Gesellschaft Schwarz Liegenschaften GmbH & Co KG. Gebäude und Grundstück wurden inzwischen allerdings verkauft, teilte auf Anfrage des Abendblatts eine Berliner Agentur mit, die die frühere Geschäftsführerin Kristin Schwarz bei Presseanfragen berät. Was mit der Immobilie in Zukunft geschehen wird, sei noch nicht entschieden, hieß es weiter.
Der eigentliche Betrieb in Neu Wulmstorf stand unterdessen noch bis Ende vergangenen Jahres weiter im Fokus der Behörden, obwohl dort auch im Dezember nur noch Aufräumarbeiten stattfanden, wie Mitarbeiter berichteten.
Behörden überwachten den Betrieb monatelang
Noch zwei Tage vor Weihnachten waren zuletzt Lebensmittelkontrolleure des Landkreises Harburg vor Ort. Man habe den Betrieb seit Sommer „engmaschig“ überwacht, so ein Kreissprecher. Beanstandete Produkte seien abgeholt und in Verbrennungsanlagen verbracht worden. „Uns liegen bisher Nachweise über die Vernichtung von 801 Tonnen vor“, so der Sprecher auf Abendblatt-Anfrage. Tiefkühlrohware sei indes zu „Heimtierfutter“ weiterverarbeitet worden.
Mit besonderen Kontrollen der Behörden hat es der Neu Wulmstorfer Betrieb allerdings schon länger zu tun – und das meist nach anonymen Hinweisen: So hat das niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (Laves) nach solchen Anzeigen bereits 2013 und 2017 „anlassbezogene Kontrollen“ bei Schwarz Cranz vorgenommen. Bei beiden Kontrollen seien aber „keine gravierenden Mängel“ festgestellt worden.
Ende Juni 2020 tauchten dann bei dem Neu Wulmstorfer Unternehmen wieder Mitarbeiter des Landesamtes auf. Bis Mitte Oktober habe es 2020 insgesamt acht solcher Kontrollen dort gegeben.
Mängel bei der Rückverfolgbarkeit
„Dabei wurden bereits zu Beginn Mängel bei der Rückverfolgbarkeit festgestellt, die die Einleitung eines Verfahrens zum Aussetzen der Zulassung veranlasste“, so eine Sprecherin des Landesamtes, das in Oldenburg ansässig ist. Bei weiteren Kontrollen seien zwar Verbesserungen bei den bekannten Mängeln, aber auch neue Mängel festgestellt worden.
Anlass für die Einsätze war laut Landesamt wieder ein anonymer Hinweis, der auch die für Lebensmittelfragen zuständige Staatsanwaltschaft in Oldenburg auf den Plan gerufen hat. Und dort wird in diesem Zusammenhang gegen einen „fleischverarbeitenden Betrieb im Landkreis Harburg“ ermittelt, wie die Staatsanwaltschaft dem Abendblatt bestätigt.
Den Firmennamen nennt die Strafverfolgungsbehörde zwar nicht direkt, verweist aber auf eine Pressemitteilung des Landkreises zu der Ermittlung, wo explizit Schwarz Cranz erwähnt wird. In der Folge sei beim Amtsgericht Oldenburg ein Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss für die Produktions- und Geschäftsräume des Unternehmens erwirkt worden.
Am 24. Juni sei dieser Beschluss vollstreckt worden. „Bei der Durchsuchung wurden Proben entnommen, deren Auswertung andauert“, sagt der Sprecher der Oldenburger Staatsanwaltschaft, Martin Rüppel. Wann die Ermittlungen abgeschlossen werden können, sei derzeit noch nicht absehbar. Ermittelt werde gegen zwei „verantwortlich Handelnde“. Tatvorwurf sei das „Inverkehrbringen nicht zum Verzehr geeigneter Lebensmittel.“
Mehraufwand wegen der Corona-Pandemie
Parallel zu diesen Kontrollen meldete Schwarz Cranz dann im Frühherbst Insolvenz an. Kostensteigerung im Einkauf, Mehraufwand wegen der Corona-Pandemie und die verzögerte Auszahlung eines zugesagten Kredits hätten zur Zahlungsunfähigkeit geführt, hieß es.
Schon wenige Wochen später verkündete Insolvenzverwalter von Kaltenborn-Stachau, dass er mit einem Tochterunternehmen des Fleischkonzerns Tönnies jemanden gefunden habe, der die Produktion und auch die Mitarbeiter übernehmen wollte. Es sei zwar eine „Herkulesaufgabe“, doch aufgrund der Traditionsmarke und ihrer Qualitätsprodukte gehe man optimistisch an die Sache, hieß es dort zur Begründung.
Was von vielen als gelungene Rettungsaktion beschrieben wurde, war für die Geschäftsführerin Kristin Schwarz aber wohl eher eine böse Überraschung: Ihre Sicht auf die Dinge sieht ganz anders aus, wie sie kürzlich schriftlich auf Abendblatt-Anfrage darstellte: So wolle ein „namhafter Hamburger Investor“ das gesamte Unternehmen samt Immobilien und Mitarbeitern eigentlich übernehmen und den Betrieb in Neu Wulmstorf fortführen.
Schwarz: Hamburger Investor wollte Betrieb weiterführen
Der Investor habe dazu bereits einen „beachtlichen Massekredit“ zur Verfügung gestellt. Verträge seien final verhandelt worden und hätten unterschriftsreif vorgelegen, als am Abend der Unterzeichnung vom Insolvenzverwalter die Unterzeichnung „unerwartet“ abgesagt worden sei, weil „plötzlich“ das Angebot der Tönnies-Gruppe vorgelegen habe. Insolvenzverwalter von Kaltenborn-Stachau bestätigt dies auch, begründet seine Ablehnung aber mit Rücktrittsklauseln, die in dem Vertrag genannt worden seien.
Wie auch immer: aus dem Tönnies-Deal wurde dann auch nichts, vielmehr kam es im November zum GAU bei Schwarz Cranz. Weil bei einigen routinemäßigen Produktproben Listerien, also Bakterien, gefunden wurden und für zwei Produkte ein Rückruf notwendig wurde, veranlasste Insolvenzverwalter von Kaltenborn-Stachau „umfangreiche Reinigungs- und Hygienemaßnahmen“, wie es in seiner Pressemitteilung vom 10. Dezember hieß.
Gravierende Mängel an technischen Systemen
Dabei hätten sich aber „gravierende Mängel“ an den technischen Systemen gezeigt, die „hohe Investitionen, grundlegende Umbauten und einen längerfristigen Stillstand“ erfordern würden. Dies sei im Rahmen des Insolvenzverfahrens nicht zu leisten. Tönnies sprang wieder ab, Gläubigerausschuss und Insolvenzverwalter beschlossen daraufhin die Stilllegung der Neu Wulmstorfer Produktion. Mitarbeitern werde aber dennoch weiter eine Übernahme angeboten, hieß es zudem.
Tatsächlich haben nach Information der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) die meisten der Beschäftigten ein solches Angebot inzwischen erhalten. Doch teilweise müssten sie dazu weit fahren, etwa nach Chemnitz. Oder Ehepaare, die beide bei Schwarz Cranz arbeiten, hätten zu verschiedenen Standorten wechseln müssen.
„Unsere Einschätzung ist, dass für Mitarbeiter, die hier in der Nähe wohnen, ein Wechsel keine Lösung darstellt“, sagt die Hamburger NGG-Geschäftsführerin Silke Kettner. Kein Wunder also, dass fast alle Schwarz-Cranz-Leute erst einmal in die Transfergesellschaft gewechselt sind.