Neu Wulmstorf. Forderungen von bis zu 100 Millionen Euro bei Gläubigern. Erstmals äußert sich frühere Geschäftsführerin mit neuer Sicht auf Dinge.

Insolvenz, Listerien in der Ware und dann Anfang Dezember die Ankündigung der Betriebsschließung: Viele negative Schlagzeilen kamen über den Neu Wulmstorfer Wurst- und Schinkenproduzenten Schwarz Cranz in den vergangenen Wochen zusammen. Im Drama um das Ende des mehr als 160 Jahre alten Traditionsbetriebes beginnt nun am 5. Januar vor dem Amtsgericht Tostedt mit einer Gläubigerversammlung der nächste Akt.

Auf 70 bis 100 Millionen Euro schätzt Insolvenz-Verwalter Friedrich von Kaltenborn-Stachau die aktuelle Gesamthöhe der Forderungen an das Unternehmen, das bisher mit rund 550 Mitarbeitern größter Arbeitgeber im Ort war. Die Gruppe der Gläubiger sei dabei sehr gemischt, so von Kaltenborn-Stachau. Vor allem Lieferanten und Banken gehörten dazu. Aber auch die Agentur für Arbeit habe wegen der Insolvenzgeld-Vorfinanzierung Forderungen an Schwarz Cranz.

Derzeit bereitet Insolvenzverwalter von Kaltenborn-Stachau die Räumung der Produktionsanlagen und Büros in Neu Wulmstorf vor. Die Immobilie selbst gehört zur eigenständigen Gesellschaft Schwarz Liegenschaften GmbH & CO KG, Pläne zu einer Folgenutzung gibt es nach dortiger Auskunft bisher nicht.

Kein Betrieb mehr, aber Lebensmittelkontrolleure vor Ort

Unterdessen stand der Betrieb in Neu Wulmstorf noch lange weiter im Fokus der Behörden, obwohl dort zuletzt nur noch Aufräumarbeiten stattfanden, wie Mitarbeiter berichteten. Noch zwei Tage vor Weihnachten waren zuletzt Lebensmittelkontrolleure des Landkreises Harburg vor Ort. Man überwache den Betrieb „engmaschig“, so ein Kreissprecher. Beanstandete Produkte seien abgeholt und in Verbrennungsanlagen verbracht worden. „Uns liegen bisher Nachweise über die Vernichtung von 801 Tonnen vor“, so der Sprecher auf Abendblatt-Anfrage. Tiefkühlrohware werde indes zu „Heimtierfutter“ weiterverarbeitet.

Mit besonderen Kontrollen der Behörden hat es der Neu Wulmstorfer Betrieb indes schon länger zu tun – und das meist nach anonymen Hinweisen: So hat das niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (Laves) nach solchen Anzeigen bereits 2013 und 2017 „anlassbezogene Kontrollen“ bei Schwarz Cranz vorgenommen. Bei beiden Kontrollen seien aber „keine gravierenden Mängel“ festgestellt worden.

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Ende Juni 2020 tauchten dann bei dem Neu Wulmstorfer Unternehmen wieder Mitarbeiter des Landesamtes auf. Bis Mitte Oktober habe es 2020 insgesamt acht solcher Kontrollen dort gegeben. „Dabei wurden bereits zu Beginn Mängel bei der Rückverfolgbarkeit festgestellt, die die Einleitung eines Verfahrens zum Aussetzen der Zulassung veranlasste“, so eine Sprecherin des Landesamtes, das in Oldenburg ansässig ist. Bei weiteren Kontrollen seien zwar Verbesserungen bei den bekannten Mängeln, aber auch neue Mängel festgestellt worden.

Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Schwarz Cranz

Anlass für die Einsätze war laut Landesamt wieder ein anonymer Hinweis, der auch die für Lebensmittelfragen zuständige Staatsanwaltschaft in Oldenburg auf den Plan gerufen hat. Und dort wird in diesem Zusammenhang gegen einen „fleischverarbeitenden Betrieb im Landkreis Harburg“ ermittelt, wie die Staatsanwaltschaft dem Abendblatt bestätigt. Den Firmennamen nennt die Strafverfolgungs-Behörde zwar nicht direkt, verweist aber auf eine Pressemitteilung des Landkreises zu der Ermittlung, wo explizit Schwarz Cranz erwähnt wird.

  In der Folge sei beim Amtsgericht Oldenburg ein Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss für die Produktions-und Geschäftsräume des Unternehmens erwirkt worden. Am 24. Juni sei dieser Beschluss vollstreckt worden. „Bei der Durchsuchung wurden Proben entnommen, deren Auswertung andauert“, sagt der Sprecher der Oldenburger Staatsanwaltschaft, Staatsanwalt Martin Rüppel. Wann die Ermittlungen abgeschlossen werden können, sei derzeit noch nicht absehbar. Ermittelt werde gegen zwei „verantwortlich Handelnde“. Tatvorwurf sei das „Inverkehrbringen nicht zum Verzehr geeigneter Lebensmittel.“

Parallel zu diesen Kontrollen meldete Schwarz Cranz dann im Früherbst Insolvenz an. Kostensteigerung im Einkauf, Mehraufwand wegen der Corona-Pandemie und die verzögerte Auszahlung eines zugesagten Kredits hätten zur Zahlungsunfähigkeit geführt, hieß es.

Laut Geschäftsführerin lag Vertrag mit Hamburger Investor vor

Schon wenige Wochen später verkündete Insolvenzverwalter von Kaltenborn-Stachau, dass er mit einem Tochterunternehmen des Fleischkonzerns Tönnies jemanden gefunden habe, der die Produktion und auch die Mitarbeiter übernehmen wolle. Es sei zwar eine „Herkulesaufgabe“, doch aufgrund der Traditionsmarke und ihren Qualitätsprodukten gehe man optimistisch an die Sache, hieß es dort zur Begründung.

Insolvenzverwalter Scharz-Cranz: Friedrich von Kaltenborn-Stachau.
Insolvenzverwalter Scharz-Cranz: Friedrich von Kaltenborn-Stachau. © Rolf Zamponi/HA | Unbekannt

Was von vielen als gelungene Rettungsaktion beschrieben wurde, war für die Geschäftsführerin Kristin Schwarz aber wohl eher eine böse Überraschung: Ihre Sicht auf die Dinge sieht ganz anders aus, wie sie in einer schriftlichen Antwort auf Abendblatt-Anfrage darstellt:  So wolle ein „namhafter Hamburger Investor“ das gesamte Unternehmen samt Immobilien und Mitarbeitern eigentlich übernehmen und den Betrieb in Neu Wulmstorf fortführen. Der Investor habe dazu bereits einen „beachtlichen Massenkredit“ zur Verfügung gestellt. Verträge seien final verhandelt worden und hätten unterschriftsreif vorgelegen, als am Abend der Unterzeichnung vom Insolvenzverwalter die Unterzeichnung „unerwartet“ abgesagt worden sei, weil „plötzlich“ das Angebot der Tönnies-Gruppe vorgelegen habe.

Aus dem Tönnies-Deal wurde nichts, dann der Gau

Doch aus dem Tönnies-Deal wurde dann auch nichts, vielmehr kam es im November zum Gau bei Schwarz-Cranz. Weil bei einigen routinemäßigen Produktproben Listerien, also Bakterien, gefunden wurden und für zwei Produkte ein Rückruf notwendig wurde, veranlasste Insolvenzverwalter von Kaltenborn-Strachau „umfangreiche Reinigungs- und Hygienemaßnahmen“, wie es in seiner Pressemitteilung vom 10. Dezember hieß.  Dabei hätten sich aber „gravierende Mängel“ an den technischen Systemen gezeigt, die „hohe Investitionen, grundlegende Umbauten und einen längerfristigen Stillstand“ erfordern würden. Dies sei im Rahmen des Insolvenzverfahrens nicht zu leisten. Tönnies sprang wieder ab, Gläubigerausschuss und Insolvenzverwalter beschlossen daraufhin, die Stilllegung der Neu Wulmstorfer Produktion. Mitarbeitern werde aber dennoch weiter eine Übernahme angeboten, hieß es zudem.

 Tatsächlich haben nach Information der Gewerkschaft Nahrung Genus Gaststätten (NGG) die meisten der Beschäftigten ein solches Angebot inzwischen erhalten. Doch teilweise müssten sie dazu weit wegfahren, etwa nach Chemnitz. Oder Ehepaare, die beide bei Schwarz Cranz arbeiten, hätten zu verschiedenen Standorten wechseln müssen. „Unsere Einschätzung ist, dass für Mitarbeiter, die hier in der Nähe wohnen, ein Wechsel oft keine Lösung darstellt“, sagt die Hamburger NGG-Geschäftsführerin Silke Kettner.

Auch nach der Gläubigerversammlung am 5. Januar dürften daher einige offene Fragen zunächst bleiben. Nicht nur zur Zukunft von Mitarbeitern und Immobilie in Neu Wulmstorf, sondern wohl auch dazu, wie es wirklich zu diesem Drama kommen konnte.