Winsen. Trainerin Charina Jeromin wartet auf ein ganzes Paket mit Medaillen. Mehrere hundert Kämpfer nahmen an dem virtuellen Turnier teil.
Charina Jeromin geht es derzeit wie vielen Kindern landauf, landab. „Ich bin gespannt, wann das Paket ankommt“, sagt die Judotrainerin des Hansa-Sportvereins (HSV) Stöckte. Doch während zahllose Kinder auf ein Paket mit Weihnachtsgeschenken von Opa, Oma, Tante oder Onkel warten, die sie in diesem Jahr lieber nicht besuchen, wartet Jeromin auf ein Paket mit Medaillen. Bislang hat sie nur ein Foto und ein kleines Video von dem glänzenden Edelmetall gesehen, das sie gemeinsam mit ihrer Trainerkollegin Rebecca Rehmann in gleich zwei Disziplinen gewonnen hat.
Es kann noch ein wenig dauern, denn die Lieferung muss eine Reise um die halbe Welt hinter sich bringen. Absender ist der Judo-Verband Südamerikas. Die in Winsen ansässigen HSV-Judoka nahmen an den offenen Kontinental-Meisterschaften von Südamerika teil, die – wie sollte es in diesen Zeiten anders sein – virtuell durchgeführt wurden. Mehrere hundert Sportlerinnen und Sportler aus zehn Ländern auf vier Kontinenten, darunter Athleten, die schon WM-Medaillen gewannen, bildeten das Teilnehmerfeld. Ausgeschrieben waren die Wettkampfformen Waza (technisch) und Kata (Form und Perfektion).
Athletiktraining im Livestream
Rückblick: Mitte März mussten die HSV-Judoka ihr gewohntes Training mit dem ersten Lockdown einstellen. Weiter ging es mit Athletiktraining im Livestream und wöchentlichen Challenges. Von Juni an waren Athletiktraining unter freiem Himmel und Trainingsformen ohne Partner möglich. „Erst nach den Sommerferien haben wir das Training mit einem festen Partner und auf farblich abgegrenzten Trainingsflächen für jedes Paar wieder aufgenommen“, erzählte Trainerin Rebecca Rehmann.
Mit Beginn der Herbstferien machte sich eine Gruppe von zwölf Judoka auf zu einer Ferienzeit nach Flensburg. Die Abteilungsleitung hatte ein umfassendes Hygienekonzept und ein Erlebnisprogramm auf die Beine gestellt. In diesen Tagen entstand auch die Idee zur Teilnahme an den südamerikanischen Meisterschaften, weil den Kindern und Jugendlichen das Training der Kodomo-no-Kata sichtlich Freude bereitete.
In den Herbstferien Trainingslager in Flensburg
„Kata ist eine spezielle Übungsform, die sehr viel Disziplin und Ausdauer erfordert, weil man die einzelnen Techniken in einer vorgegebenen Reihenfolge ausführen und auf kleinste Details achten muss, um die Techniken so sauber und genau wie möglich vorzuzeigen“, erklärt Charina Jeromin. Darüber hinaus komme es auf das richtige Timing an und darauf, die Judo-Etikette vorzuleben.
Normalerweise liegt ein Judo-Schwerpunkt auf dem Wettkampfsport mit direkten Zweikämpfen. Gerade in Zeiten des Lockdown bot Kata aber eine hervorragende Möglichkeit, trotz Kontaktbeschränkungen die Judotechniken zu perfektionieren und mit einem festen Partner daran zu feilen.
Alternative Trainingsmethode hat sich bewährt
Die erste Kata benötigen Nachwuchskämpfer erst für die Prüfung zum grünen Gürtel, im HSV Stöckte werden jedoch von Klein auf Kata-Formen trainiert. Diese alternative Trainingsmethode hat sich bewährt, in den vergangenen Jahren nahm immer mindestens ein Stöckter Duo erfolgreich an Deutschen Meisterschaften teil.
Auch an den restlichen Ferientagen im Herbst – nach der Rückkehr aus Flensburg – trainierten Charina Jeromin und Rebecca Rehmann ihre jungen Nachwuchssportler. Darüber hinaus widmeten sie sich zwei Stunden täglich den eigenen Techniken des Katame-no-Kata. Hier geht es darum, Halte-, Hebel- und Würgetechniken in Perfektion darzubieten.
Deutsche Meisterschaften und Dan-Prüfung abgesagt
Ziele waren die anstehenden Deutschen Meisterschaften, die Anfang November in Hessen hätten stattfinden sollen, und Jeromins Prüfung zum 3. Dan. Beides konnte letztlich nicht stattfinden. Als kleiner Ausgleich ergab sich die Möglichkeit, wenigstens virtuell an einem großen Wettkampf teilzunehmen: den offenen Meisterschaften Südamerikas.
Jeder Judoka nahm je nach Altersklasse die geforderten Disziplinen auf Video auf, die nach Einsendeschluss von einer Jury bewertet wurde. Aufgrund der guten Leistungen bei den vorgeschalteten virtuellen Kreismeisterschaften, die als Testwettkampf dienten, meldeten die Trainerinnen noch vier Sportler für Einzelstarts nach. Ein besonderes Augenmerk lag auf den erst sieben Jahre alten Zwillingen Victoria und John da Silva Sehm, die mehr als zwei Wochen täglich bis zu drei Stunden zu Hause trainierten, mit Unterstützung ihrer Mutter.
Jury bewertete Videos
In einer Nacht Anfang Dezember wurden die Jury-Ergebnisse live aus Südamerika übermittelt. Das Frauen-Duo Jeromin/Rehmann gewann den Titel in beiden Kategorien, in denen sie angetreten waren. Auch sechs Kinder-Paare erkämpften sich den ersten Platz: Elias Jaufmann/Hannes Quast, Paula Wolf/Johann Schmidtke, Johann Schmidtke/Leon Bernstein, Levi Kempe/Jette Buchholz, Jette Buchholz/Servan Demirel und David Hofmann/Mattes Becker. Dazu gab es im U13-Einzel einen Dreifacherfolg für den HSV Stöckte durch Gordon Heidbrook, Mijah Staffeldt und Levi Kempe.
„Ebenfalls lobenswert sind die ersten Platzierungen von John, Victoria und Laurenz Degener im Einzel sowie der zweite Platz des fast 60-jährigen Norbert Tschritter, der sich gegen Judo-Veteranen unter anderem aus Brasilien und Mexiko durchsetzen konnte“, lobte Rebecca Rehmann. Damit zahlte sich der große Trainingsfleiß in einer schwierigen Zeit ausgezahlt.
Livestream mit eingeschalteter Kamera
Aktuell trainieren die Judoka des HSV Stöckte dreimal wöchentlich im Live-Stream. Im Vergleich zum ersten Lockdown wird nun überwiegend judospezifisch zu Hause trainiert, während im Frühjahr das Athletiktraining Vorrang hatte. Ende Oktober wurde eine neue Anfängergruppe ins Leben gerufen, Kinder im Alter von fünf bis acht Jahren können jederzeit einsteigen. Um erste Bewegungen vor dem Bildschirm zu erlernen, werden vor allem Alltagsmaterialien, unter anderem Teddybären, eingesetzt.
„Durch den Livestream mit eingeschalteter Kamera können wir die Kinder sehr gut anleiten und korrigieren. Auch Spiel und Spaß kommen nicht zu kurz“, so Jeromin. Einen Stimmungshöhepunkt wird es auf jeden Fall geben, wenn die Pakte ankommen – die aus Südamerika und die zu Weihnachten von Oma, Opa, Onkel und Tante.