Kappeln. Quereinsteiger Joachim Stoll wird Bürgermeister in Kappeln. Er will für bezahlbaren Wohnraum sorgen und Tourismus nachhaltiger gestalten.

In wenigen Tagen tritt Joachim Stoll sein Amt als neuer Bürgermeister von Kappeln an. Im Herbst hatte er sich in einer Stichwahl gegen den Amtsinhaber Heiko Traulsen durchgesetzt. Ein Interview über die Stärken und Schwächen der Kleinstadt an der Schlei und seine Amtsauffassung.

Hamburger Abendblatt: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich für das Amt des Bürgermeisters zu bewerben? Schließlich leben Sie erst seit kurzer Zeit in der Stadt.

Joachim Stoll: Ich war schon immer gesellschaftlich und politisch interessiert und aktiv, weil es mir wichtig ist, sich als Bürger in das Gemeinwesen einzubringen. Als Mitglied der Grünen habe ich in der Vergangenheit Funktionen in der Kommunalpolitik übernommen. Als ich vor gut vier Jahren meine Partnerin und heutige Frau kennengelernt habe, die seit 20 Jahren in Kappeln lebt, habe ich aus dieser Perspektive auf Kappeln geschaut. Schnell habe ich die handelnden Personen der Stadt kennengelernt. Und mich gefragt, was man hier alles tun oder verbessern kann. Immer wieder habe ich mich gefragt, warum bestimmte Dinge nicht angegangen werden, wie etwa das Problem der Verkehrsinfrastruktur oder das des bezahlbaren Wohnraums. Stück für Stück ist in mir dann die Idee gereift, dass ich hier mit eingreifen möchte. Als ich dann in der lokalen Zeitung las, dass bei der Bürgermeisterwahl scheinbar nur der Amtsinhaber antritt, ist in mir der Entschluss gereift, meine Bewerbung einzureichen. Hierbei ging es auch um ein demokratisches Grundverständnis: nämlich, dass eine Wahl Alternativen und nicht nur die Wahl zwischen Ja oder Nein anbieten muss.

Angetreten sind Sie aber nicht für die Grünen? Warum?

Stoll: Ich möchte in meiner Funktion absolut überparteilich handeln. Schließlich ist es eine Verwaltungsposition und kein politisches Amt. Darüber hinaus habe ich es noch nie gutheißen können, dass oftmals gute Ideen verworfen werden, weil sie von einer anderen Partei stammen. Um unabhängig und nur meinen Wählern Rechenschaft schuldig zu sein, habe ich die Kampagne zur Wahl auch komplett selbst finanziert. Und um mich vollständig der neuen Aufgabe widmen zu können, gebe ich zum Ende des Jahres auch mein Ingenieurbüro für Grundwasserversorgung an meine Geschäftspartner ab.

Was sind die größten Stärken Kappelns?

Stoll: Das Besondere an Kappeln sind ganz eindeutig die Menschen, die hier leben. Sie sind es, die die Stadt ausmachen und prägen: dadurch, dass sie sich in verschiedensten Formen einbringen. Und natürlich die landschaftliche Lage an Schlei und Ostsee. Wasser ist ein Magnet, die Region ist einfach wunderschön. Das ist ein ganz besonderes Stück Lebensqualität.

Und die Schwächen?

Stoll: Da ist vor allem die schwierige Anbindung der Stadt an die Verkehrsinfrastruktur. Man erreicht Kappeln nur über die Straße und über das Wasser, das aber nur zu Freizeitzwecken. Es bedarf hier dringend eines echten Plans, einer Verkehrswende. Dazu kommt, dass das vergleichsweise niedrig ist gegenüber den Menschen, die sich von außerhalb für die Region interessieren. Die Menschen, die hier leben, können die Konkurrenz auf dem örtlichen Immobilienmarkt immer weniger bestehen. Sie finden immer öfter keinen bezahlbaren Wohnraum. Diese Entwicklung hat sich in den vergangenen Jahren massiv beschleunigt.

Sehen Sie deshalb den Tourismus kritisch?

Stoll: Nein, der Tourismus gehört zu Kappeln. Und er ist wichtig für die gesamte Region, schließlich bringt er Wirtschaftskraft und Arbeitsplätze. Er schafft Lebendigkeit und er ermöglicht ein Angebot, das es sonst nicht geben würde. Gäbe es die Feriengäste nicht, wäre Kappeln ein verschlafenes Städtchen am Rande der Republik. Aber der Tourismus hat eben auch seine Schattenseiten. Viele Kappelner fühlen sich im Sommer nicht mehr zu Hause in ihrer Stadt, weichen beispielsweise zum Einkaufen auf die umliegenden Ortschaften aus. Das darf nicht sein, denn die Menschen schaffen die Identität der Stadt.

Wie genau stellen Sie sich das vor?

Stoll: Da gibt es zum einen das Ostseeresort Olpenitz. Dort sollten vor Ort künftig mehr Angebote geschaffen werden, die die Aufenthaltsqualität erhöhen und die Anlage auch wirklich als ein Ferienresort qualifizieren: das nimmt Druck von Kappeln und anderen Orten. Dann sind wir wieder bei der Infrastruktur. Wir müssen Verkehr als Mobilität begreifen und uns als Kommune dahin entwickeln: ein Baustein für nachhaltigen Tourismus. Und dann brauchen die Gäste mehr attraktive Angebote in der gesamten Region: eine Aufgabe, die sich nur gemeinsam mit den regionalen Partnern bewältigen lässt

Was halten Sie insgesamt von den großen Neubauvorhaben wie dem Ostseeresort Olpenitz oder den Schleiterrassen?

Stoll: Insgesamt freue ich mich als nachhaltig denkender Mensch natürlich über jeden Touristen, der nicht in den Flieger steigt, sondern hier in der Region seine Ferien verbringt. Das einmal vorweg. Dafür muss man eventuell auch gewisse Beeinträchtigungen in Kauf nehmen. Bei Olpenitz hätte man viel früher dafür Sorgen tragen müssen, dass hier ein Areal entsteht, das in die Region passt. Nun können wir aber nichts mehr ändern, sondern müssen damit leben, wie es ist.

Aber wir können zum einen versuchen, das Angebot vor Ort noch attraktiver zu gestalten. Ich möchte schnell mit den Investoren ins Gespräch kommen um auszuloten, was wir gemeinsam noch bewegen können. Bei den Schleiterrassen bin ich sehr gespannt, wie sich alles entwickelt. Insgesamt wäre es wünschenswert, dass dort ein Stadtteil entsteht, der eingebunden ist, kein weiterer Satellit. Also ein lebendiger und integrierter Stadtteil. Noch kann man hier allerdings nicht sagen, wo die Reise genau hin geht. Ich würde mich freuen, wenn der eine oder andere, der dort ein bezieht, sich bei uns in der Stadt einbringt. Ich möchte auch hier schnell mit den Menschen ins Gespräch kommen, um diesen Prozess zu unterstützen.

Mit der zunehmenden Zahl an Touristen muss ja auch das Angebot in der Region steigen. Wie sehen sie das Problem des Fachkräftemangels, das gerade an den Küsten ja besonders ausgeprägt ist?

Stoll: Der Fachkräftemangel ist nicht nur ein Problem an den Küsten, sondern überall in der Republik. Wenn wir jetzt Menschen aus anderen Regionen abwerben, ist das ja nur eine Kannibalisierung, sprich es bringt das Land nicht langfristig weiter. Wir müssen also endlich Arbeitsumfelder schaffen, in denen Menschen Arbeit und Privatleben zusammenbringen können. Meine Aufgabe wird es sein dafür zu sorgen, dass die Menschen hier ortsnah wohnen können. Dazu kann man die eine oder andere Stellschraube nutzen. Wie beispielsweise die B-Pläne über sogenannte Bestandsgebiete so legen, so dass weitere Bebauung klarer geregelt ist. Fördern, dass ein Grundstück geteilt und an die Nachfolgegeneration gegeben werden kann. Damit erreichen wir zwei wichtige Dinge gleichzeitig. Zum einen kann eine Nachverdichtung ohne zusätzlichen Flächenverbrauch. Und zum anderen schaffen wir bezahlbaren Wohnraum in der Region. Darüber hinaus sollten wir das Werkzeug der kommunalen Bodenbevorratung anwenden. Das sind die Gestaltungsspielräume, die wir als Kommune haben. Und die sollten wir künftig auch wirklich konsequent nutzen.

Wie sehen Sie die Entwicklung des Tourismus in den kommenden Jahren?

Stoll: Ich denke durch die Corona-Pandemie, die uns noch länger beschäftigen wird, werden wir länger höhere Besucherzahlen hier im Norden haben. Ich erwarte auf Dauer ein steigendes Interesse an der Region. Viele haben in den vergangenen Monaten erkannt – was wir schon lange wussten – wie attraktiv die Region ist. Darauf müssen wir uns als Stadt und Region einstellen.

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  • Was werden sie konkret tun, wenn Sie Anfang des Jahres das Amt übernehmen?

    Stoll: In einem ersten Schritt möchte ich mein Team kennenlernen. Die Menschen aus der Politik, Verwaltung und anderen Bereichen. Ich springe ja quasi auf einen fahrenden Zug, der voll besetzt ist. Ich sehe mich in meinem Amt als Vermittler, als Kommunikator, als Schnittstelle. Ich möchte erst einmal viel zuhören und mit den Menschen reden. Im Wahlkampf ist mir bewusst geworden, wie viele gute Ideen die Menschen hier in der Stadt haben. Jetzt ist es Zeit, sich diese Ideen einmal anzuhören. Sie zu ergänzen, sie zu strukturieren und sie vielleicht dann in die eine oder andere Beschlussvorlage zu gießen. Meine Aufgabe ist es für die Menschen hier in Kappeln zu arbeiten. Mir wurde mit der Wahl viel Vertrauen entgegengebracht. Dem möchte ich jetzt gerecht werden. Jeder kann und soll mich ansprechen. Nur so schaffen wir es gemeinsam diese schöne Stadt weiter zu entwickeln.