Kiel. Serpil Midyatli, die neue starke Frau der Nord-SPD, will die erschöpfte Partei zu Wahlsiegen führen. Aber wie sieht die Strategie aus?

Die Ära von Ralf Stegner in der schleswig-holsteinischen SPD neigt sich dem Ende entgegen. Seit 2007 war er Landesvorsitzender, seit 2008 auch Fraktionschef im Kieler Landtag. Im September kandidiert er nun für einen Sitz im Bundestag. Den Landesvorsitz hat er schon 2019 an Serpil Midyatli (45) abgegeben, der Fraktionsvorsitz folgt noch im Juni. Die Nord-SPD, lange von einem starken Mann dominiert, bekommt eine starke Frau. Derzeit arbeitet sie mit einem Team an dem Programm für die Landtagswahl im Mai kommenden Jahres. Wahrscheinlich geht sie als Spitzenkandidatin ins Rennen.

Hamburger Abendblatt: Gut drei Monate vor der Bundestagswahl liegt die SPD in Umfragen bei nur 15 Prozent. Ist die Wahl für die SPD schon verloren?

Serpil Midyatli: Keinesfalls. Die Wahlen sind noch nie so offen gewesen. Die Umfragewerte verändern sich von Monat zu Monat, das ist alles sehr volatil. Natürlich kann es für uns nicht befriedigend sein, wenn wir teilweise bei 15 Prozent liegen. Aber ich will nur eine Zahl nennen: Als Armin Laschet zum Bundesvorsitzenden gewählt wurde, lag die CDU bei 40 Prozent. Jetzt sind es 28. Und das ist gerade ein paar Wochen her. Da ist also wahnsinnig viel in Bewegung. Zudem tritt die Amtsinhaberin nicht mehr an, sodass es jetzt darum geht, einen neuen Bundeskanzler zu wählen. Und da haben wir mit Olaf Scholz den besten Bewerber.

Bei der CDU und anderen Parteien mag es starke Bewegungen in den Umfragen gegeben haben, aber bei der SPD doch eher weniger. Wie kann die Partei das Ruder noch herumreißen?

Midyatli: In den letzten Wochen und Monaten waren wir sehr fokussiert darauf, aus der Pandemie herauszukommen. Unsere Minister haben dafür gekämpft, Arbeitsplätze zu erhalten und Familien gut durch die Krise zu bringen. Wir haben gesagt: Zuerst das Land. Jetzt müssen wir in den Bundestagswahlkampf hineinkommen und die politischen Unterschiede stärker herausarbeiten. Es geht um unser Parteiprogramm, mit dem wir punkten werden, zum Beispiel mit unserer Forderung nach einem Mindestlohn von 12 Euro und einer ambitionierten Klimapolitik, die aber die sozialen Folgen genau im Blick hat.

Welche Auswirkungen wird das Ergebnis der Bundestagswahl auf die schleswig-holsteinische Landtagswahl im kommenden Mai haben?

Midyatli: Ein gutes Ergebnis wäre natürlich eine absolute Motivation. Deswegen werden wir in Schleswig-Holstein sehr, sehr stark kämpfen mit unseren Bundestagskandidaten. Wir haben zehn starke Frauen und zehn starke Männer. Öffentliche Veranstaltungen waren bislang wegen der Pandemie schwierig. Aber jetzt wollen wir den Sommer und die letzten acht Wochen vor der Wahl nutzen, um bei den Wählern zu punkten. Dass das geht und Einsatz sich lohnt, zeigt unser für viele überraschender Sieg bei der Oberbürgermeisterwahl in Neumünster. Ich bin voller Zuversicht, dass wir ein gutes Wahlergebnis erzielen werden.

Laut einer Umfrage genießt Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) hohes Vertrauen bei den Wählern. Wie wollen Sie gegen ihn bestehen?

Midyatli: Die Umfragewerte verwundern nicht. Gerade in einer Pandemie bekommen die Regierungschefs viel Zuspruch. Das konnte man jetzt auch bei Rainer Haseloff in Sachsen-Anhalt sehen. Aber zu der Krisenbewältigung, die sich in den guten Werten für Günther ausdrückt, haben wir einen großen Beitrag geleistet. Wir haben uns sehr bewusst dazu entschieden, keine Hau-drauf-Opposition zu betreiben. Als es auf unsere Stimme ankam, haben wir zwei Nachtragshaushalte mit eigenen Vorschlägen mitgestaltet. Im Mai 2022 wird es nicht mehr so stark um Krisenbewältigung gehen, sondern um die Gestaltung der Zukunft von Schleswig-Holstein, und da hat Günther wenig vorzuweisen.

Mit welchen Themen wollen Sie bei der Landtagswahl punkten?

Midyatli: Eines der wichtigsten Themen ist die Frage, wie wir unsere Klimaschutzziele erreichen. Dazu gehört Mobilität, etwa der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs. Aber wir müssen auch an die Leute denken, die in ländlichen Regionen von Schleswig-Holstein leben und ein Auto brauchen, manchmal sogar zwei. Da kann ich nicht sagen: Schnallt den Gürtel enger, wir machen das Benzin teurer. Die Konsequenz für uns: Wir investieren als Land in E-Ladesäulen, damit der Umstieg auf Elektroautos leichter und günstiger wird.

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Was wird noch wichtig im Wahlkampf?

Midyatli: Im Bereich Bildung haben wir viele Defizite. Hier geht es nicht nur um fehlende Lehrkräfte, sondern um die Frage, ob die Schulen auf die Arbeitswelt der Zukunft ausgerichtet sind. Ich sage: Nein, das sind sie nicht. Wir müssen den digitalen Bereich stärken, wir brauchen moderne Schulen, moderne Bauten, die das auch von außen schon signalisieren. Nicht jede Kommune kann das gleichermaßen leisten. Deshalb muss das Land stärker in die Verantwortung. Und auch der Bund muss mitziehen. Wir brauchen ein Jahrzehnt der Investitionen. Der Bund muss in diesem Jahrzehnt zwei Milliarden Euro pro Jahr für Bildung ausgeben. Ein weiteres wichtiges Thema ist bezahlbarer Wohnraum. Man muss sich ja nur mal angucken, welche horrenden Mieten mittlerweile in Pinneberg oder Ahrensburg gezahlt werden. Wichtig ist aber auch, Wohneigentum möglich zu machen. Erstens gibt das im Alter Sicherheit. Und zweitens möchte man seinen Kindern doch auch etwas hinterlassen, das ist ja so ein Ur-Wunsch von Eltern. In beiden Fällen muss der Staat helfen.

Wäre jetzt nicht ein guter Moment, um zu sagen, dass Sie als SPD-Spitzenkandidatin in die Landtagswahl gehen wollen?

Midyatli: Da müssen Sie noch ein bisschen warten.