Kiel. Streit um Lockerungen im Tourismus droht zu eskalieren, Günther wird zunehmend ignoriert. Sylter mit interessanter Idee.
Wie es in dem Streit um Zweitwohnungen in Schleswig-Holstein weitergeht, ist nach wie vor unklar. Besonders der Koalitionspartner FDP in der Landesregierung dringt darauf, die in mehreren Kreisen untersagte Nutzung der „Nebenwohnungen“ möglichst rasch zuzulassen. Seitens der Kreise hieß es am Montag, wenn die Landesregierung dies wünsche, solle sie die Kreise anweisen, es zu tun. Ein Ende dieses „Schwarzer-Peter“-Spiels ist noch nicht absehbar. In dieser Woche soll es ein klärendes Gespräch geben. Die Zweitwohnungseigentümer sind, so scheint es, zum Spielball divergierender Interessen geworden.
Denn in diesem Streit geht es um viel mehr als um die mehreren Tausend Ferienwohnungen, die in guten Zeiten gerade in Badeorten mit einer gewissen Begeisterung und zum Wohl der Kommune gebaut, verkauft und bezogen wurden. Sie stehen jetzt für ein allmähliches Hochfahren des Tourismus, der in dem Land zwischen den Meeren von existenzieller Bedeutung ist.
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) hat am Mittwoch verkündet, dass in einem ersten Schritt hin zu mehr Normalität in der Branche das Verbot der Zweitwohnungsnutzung fallen sollte – und zwar möglichst rasch. Am Sonntag verlängerten dann vier von fünf Kreisen ihr Nutzungsverbot bis zum 4. Mai. Aus Sicht der Landesregierung ein maximaler Affront – Günthers Strategie war zunächst einmal konterkariert.
Hotels haben wegen Coronakrise massive Probleme
Bei den Landräten sieht man das ein wenig anders. Landrat Reinhard Sager, der in Ostholstein das Verbot verlängert hat, beruft sich auf den Infektionsschutz. „Ich stehe da auch unter dem Druck der Bädergemeinden, die sagen, sie wollen nicht überflutet werden von Touristen.“ Rund 25.000 Nebenwohnungen gibt es in Ostholstein.
Natürlich müsse der Tourismus wieder hochgefahren werden, sagt Sager. „Aber dazu braucht es eine klare Ansage von der Landesregierung, wie das vollzogen werden soll“, sagt er. Ein Drittel der Wertschöpfung im Kreis komme vom Tourismus. „Und da sind mir die Hotels erst einmal wichtiger als die Zweitwohnungen. Das sind unsere Betriebe, die jetzt massive Probleme haben.“
Also erst die Hotels öffnen und dann die Zweitwohnungen? Günther hatte die umgekehrte Reihenfolge verkündet. Sager sagt: „Wenn wir das Nutzungsverbot zurückziehen sollen, dann genügt eine Anweisung aus dem Gesundheitsministerium.“
Landesregierung will mit den Landkreisen sprechen
Eine solche Anweisung hat es am Montag nicht gegeben. Die Landesregierung will nun erst einmal mit den Landkreisen sprechen – wohl auch, um die Wogen zu glätten. Übers Wochenende hatten die sie sich doch zu beträchtlicher Höhe aufgetürmt. Daniel Günther hatte nach seiner Ankündigung am Mittwoch offenbar versucht, mit den Landräten zu telefonieren – und, so hieß es gestern in der Staatskanzlei, mit Erstaunen feststellen müssen, dass einige nicht einmal zurückgerufen haben. Nachdem Landrat Sager am Sonnabend das Verhalten des Landes kritisiert hatte, meldete sich am Sonntag Tourismusminister Bernd Buchholz (FDP) zu Wort und polterte, die Landräte müssten jetzt ihre Nutzungsverbote zurücknehmen: „Das ist etwas, was das Land nicht geregelt hat.“
Unterdessen ist noch weitgehend unklar, auf welche Weise die Tourismusbranche in Schleswig-Holstein wenigstens noch zu einem Teil ihrer jährlichen Einnahmen kommen soll. Günther, der zunächst von einem Drei-Stufen-Plan gesprochen hatte, verkündete am Sonntag in der TV-Sendung „Bericht aus Berlin“ einen vierstufigen Plan. „Erst Zweitwohnungen, dann Ferienwohnungen, dann Hotels, dann Tagestouristen.“ Ob drei oder vier Stufen – einen Zeitplan gibt es dafür nicht. Und da ein Stufenplan vom Start der ersten Stufe – Zweitwohnungen – abhängt, hängt die Tourismusbranche weiter in der Luft.
Interessante Ideen
Dabei gibt es durchaus interessante Ideen. Beispielsweise von Andreas Tietze, dem tourismuspolitischen Sprecher der Landtagsfraktion der Grünen. Der Sylter kennt Gastronomen, die „fünfstellige Monatsmieten“ zahlen müssen, aber derzeit keine Einnahmen haben. „Wir brauchen einen regional differenzierten Tourismus“, sagt er deshalb. „Warum sollen Gäste aus einer Gegend mit wenig Infektionen nicht nach Schleswig-Holstein kommen?“
Tietze sagt: „Den kompletten Lockdown werden wir bis zum Sommer nicht durchhalten.“ Deshalb müssten nun Lösungen erarbeitet werden. Denkbar sei etwa, dass sich die Gäste vor Ort beim Gesundheitsamt anmelden und einen Fragebogen ausfüllen. Wichtig sei: „Wir dürfen den Menschen nicht mit einer Misstrauenskultur begegnen.“ Wer sich zu Hause bemühe, Ansteckung zu vermeiden, werde das auch im Urlaub tun. Er beobachte mit Sorge, dass es in der vergangenen Wochen zu erheblichen Dissonanzen gekommen sei, auch zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein: „Das ist nicht gut für den Tourismus.“
Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde
- Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum und halten Sie Abstand von mindestens 1,50 Metern zu anderen Personen
- Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
- Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
- Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
- Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden