Bispingen. Erlebnis-Wochenende: Skilaufen, Kartfahren, Weltrekorde bestaunen, verkehrte Welt erleben und, und, und.
Wenn Frauen so geliebt würden wie Autos, dann wäre die Scheidungsquote in Deutschland nicht so hoch. Vielleicht hätte ich das nicht zu meinem Mann sagen sollen, als er den Wagen noch mal schnell umparkte, damit er im Schatten steht. Denn gleich werden wir Kontrahenten sein. Rivalen der Rennbahn. Erinnert sich noch jemand an diese wundervolle TV-Serie? Da ging es um Pferde, hier um Pferdestärken.
Wir sind im Ralf Schumacher Kartcenter, einer der modernsten Anlagen Deutschlands. Adrenalin-Profis zählen sie sogar zu den Top 10 in Europa, sie fahren voll ab auf die Anlage, auf der sie fahren. 600 Meter drinnen, 1000 Meter draußen, super Grip durch spezialbestrahlten Betonboden, extrem breite Strecke für viele Überholmöglichkeiten. Zahlreiche Gelegenheiten also, den Partner zur Schnecke zu machen. „Am spannendsten wird es, wenn Frauen gegen ihre Männer antreten oder Väter gegen Söhne“, sagt Jens-Peter Sachau.
Der Chef der Anlage könnte besser als jeder Psychologe Charakterstudien erstellen; Ein Kart macht die Seele eines Menschen sichtbar. „Helm auf, Gehirn off“, so fasst Sachau das zusammen, was er hier manchmal beobachtet. Kann ich mir kaum vorstellen, alle sind total zuvorkommend. „Ach, wie nett, Sie sind mit ihrer Familie da? Ihr Sohn fährt auch schon? Wie toll. Und Achtung, Ihre Tochter kommt da gerade unter die Räder.“ Huch, Zweijährige geben ja leider auch ohne Zündschlüssel Gas, und wenn unsere Tochter Minna was will, in dem Fall zu Ralf Schumachers echten Formel-1-Boliden in der Mitte der Halle laufen, dann kann sie nur ein Streckenposten bremsen.
Zehnminütige Trainingsläufe
Rote Flagge für alle! Abbruch des Flights, wie die zehnminütigen Trainingsläufe hier heißen. Ganz guter Einstieg. Alle anderen Fahrer haben uns nun im Visier. Muss man erst mal schaffen, ein Rennen zu torpedieren, obwohl man noch gar nicht mitfährt. „So, nun erst mal alle Sturmhaube und Helm auf, für dich am besten auch, junge Dame“, sagt Sachau zu Minna. „Du darfst zwar nicht fahren, scheinst mir aber am gefährlichsten.“ Merkt man gleich, dass Sachau über eine langjährig geschulte Menschenkenntnis verfügt.
Deshalb wollen alle zu ihm in die Therapie. Sonntags nachmittags bilden die Leute teilweise Schlangen vor Schumachers Motodrom. 120 Karts stehen bereit, um Rekorde zu knacken. Das Runden-Zeitmesssystem dokumentiert die eingefahrenen Erfolge und druckt die Zeiten aus. Noch besser, als sich als der Schnellste zu fühlen, ist, seine Glanzleistung Schwarz auf Weiß bestätigt zu bekommen. Wenn es denn nur so wäre. „Jeder steigt aus und denkt: Alter Schwede, was war ich schnell. Aber dann hat man nur den 17. Platz belegt“, sagt Sachau.
Beim Einweisungsvideo, das von Marc Bator gesprochen wird (was dem Freizeitevent eine sehr ernste, seriöse Tonlage verpasst), diskutieren drei Kumpels aus Dänemark über das richtige Lenk- und Fahrverhalten. „Rechts Gas, links bremsen, der Rest ist Training“, meint einer, der häufig kommt, um „ein bisschen Dampf abzulassen.“ Ich lenke, also bin ich. Die Jungs aus Dänemark jedenfalls wollen nach Italien in den Urlaub fahren und legen hier einen Zwischenstopp ein. Das muss man sich mal vorstellen: Menschen, die eine lange Autofahrt unternehmen, fahren von der Strecke ab, um in kleineren Autos ihre Pause zu verbringen.
Damit wäre eigentlich schon das Geheimnis von Bispingen gelüftet: seine Lage. Direkt an der A7, der wichtigsten Nord-Süd-Achse in Deutschland, kommen Hamburger, Hannoveraner, Bremer und alle Skandinavier vorbei, die mal Sonne brauchen. Das Einzugsgebiet hat 7,9 Millionen Einwohner, die nicht weiter als 90 Minuten entfernt wohnen. Die Dichte an Freizeitparks in diesem goldenen Dreieck ist enorm, ein solches Angebot auf solch einer Fläche gibt es in Deutschland nicht noch einmal. Wie die Ingwer-Shots aus den Supermärkten, bei denen sich viel Wirkung in einer Mini-Flasche versammelt, so findet man in
Bispingen eine Essenz der Unterhaltungsmöglichkeiten.
„Viele haben mich gefragt, warum ich die Kartbahn nicht in Hamburg gebaut habe, aber hier ist der Einzugsbereich einfach viel größer“, sagt Sachau, der extrem trainiert wirkt. Alles vom Kart fahren? „Nein,“ lacht der 54-Jährige. „Es gab einen Moment, in dem ich festgestellt habe, dass meine Fresse größer ist als mein Können, so bin ich zum Kampfsport gekommen.“ Der Moment war, als er eine Gruppe Männer von der Bahn schmiss, weil sie sich nicht an die Regeln hielten und mit Vergeltung drohten. Aber fahren wie eine Sau, das gibt es bei Sachau nicht. Wer hat dem armen Muttertier eigentlich diese Beleidigung zugedacht? Telefon. „Ja, Schnucki?“ Sachaus Frau ist dran. „Was, wir haben im Lotto gewonnen?“ Kurze Pause. „80 Euro. Ach so, toll.“ Jens-Peter Sachau hat gelernt, wie man nach der Höchstgeschwindigkeit wieder die Kurve bekommt.
Nun beginnt endlich unser Rennen. Ich glaube jetzt mal ganz stark an meinen Sieg. Autosuggestion in seiner reinsten Form. Meine Chancen stünden gut, säße rechts von mir nicht die Opposition. Mein Sohn. Weil Jesse noch nicht acht Jahre alt ist, darf er nur im Doppelsitzer auf die Bahn, gibt dafür aber Befehle, als sei er Bernie Ecclestone. Schneller, langsamer, links, rechts, nein, Mama, falsch! Erst achte ich auf seine Kommentare, dann will ich nur noch meinen Mann überrunden. Natürlich sind Frauen genauso schnell wie Männer!
„Der Deutsche fährt nicht wie andere Menschen. Er fährt, um Recht zu haben.“ Wenn es nach Kurt Tucholsky geht, dann war ich noch nie so deutsch wie jetzt. Oder es scheint so etwas wie tiefergelegte Gehirne zu geben. Sitzt man nur drei Zentimeter über dem Asphalt mit seinem A…, dann wird man selbst zu einem. Als Bahnbegrenzung sehe ich Reifen, auf der Strecke die Unreifen. Ich vorneweg. Sich davonfahren könnte zu meinem neuen Hobby werden. „Für Fußball oder Tennis braucht man Fitness, hier nur den Gasfuß“, hatte Jens-Peter Sachau gesagt.
Nach fünf Minuten komme ich mir vor wie Niki Lauda und erwäge, eine Airline zu kaufen, nach sieben Minuten bin ich selbst ein Kampfjet, nach neun Minuten Philosophin: Auto fängt mit A an und hört mit O auf, wie Alpha und Omega. Jedem Auto wohnt ein Zauber inne. Endlich habe ich die Männer begriffen. Wo ist eigentlich meiner? Mein Sohn winkt ihm zu. Drei Kurven hinter uns. Als ich aussteige, sage ich zu meinen Sohn: „Alter Schwede, was war ich schnell!“
Wäre Bispingen eine Person, dann ein Animateur, der immer noch was Neues aus dem Ärmel schüttelt. Zum Beispiel ein Labyrinth. Im Mai hat es eröffnet, nun verlieren sich die Menschen in dem 2800 Quadratmeter großen Labyrinth, das als Holzstecksystem gefertigt wurde, es kann also umgebaut werden. Tatsächlich sah es von außen leichter aus, als es sich nun hier drinnen darstellt. Wir versuchen, in die Mitte zum Aussichtsturm zu gelangen, dabei kommen wir an Abenteuerstationen zum Hangeln, Balancieren und Klettern vorbei. Außer uns ist eine Schulklasse da, die sich in zwei Gruppen aufgeteilt hat und gegeneinander antritt. Sehr lustig, welche Richtungen die Schüler einschlagen. Sie weichen total von meinen und den Vorschlägen meines Mannes ab, die leider nicht zum Ziel führen, und so überlassen wir nach 50 Minuten Verlorenheit unserer Zweijährigen den Vortritt: „Minna, zeig uns den Weg!“ Sie rennt los, links, rechts, zack, zack, und schwupps sind wir da. Kinder gehen ihren eigenen Weg.
Verkehrte Welt: das verrückte Haus
Direkt neben den Irrgarten werden die Sinne noch mehr über den Haufen geworfen, denn dort steht ein Haus auf dem Kopf. Es wurde richtig herum errichtet und dann mithilfe von zwei Kränen gedreht, das weltweit erste Verfahren dieser Art. Auch drinnen steht alles in sechs Zimmern und über zwei Stockwerke verteilt auf dem Kopf. Die Wohnzimmer-Einrichtung, Nutella und Marmelade auf dem Küchentisch, die Schuhe. „Wie soll ich denn hier auf Toilette gehen?“, fragt unser Sohn, denn natürlich hängt auch die Toilette an der Decke beziehungsweise dort, wo wir die Decke vermuten würden. Für mich ist es anstrengend, alles, was sich sonst unten befindet, oben zu sehen und umgekehrt. Unsere Kinder finden das hingegen wahnsinnig lustig. Da merkt man mal, wie engstirnig man im Alter wird.
Eine Spielzeug-Eisenbahn rattert gerade über meinen Kopf, da muss ich das verrückte Haus sofort verlassen. Ich war mal seekrank auf einer Kreuzfahrt, das hier ist schlimmer. Eine ältere Dame hält sich, während ich den Ausgang suche, an der Wand fest, ihr Mann lacht: „Ist doch nicht so schlimm!“ Meine Kinder verstehen auch nicht, was ich für einen Stress mache. Es fühlt sich an, als würde mir mein Ohr sagen, ich stehe schief, während mir mein Körper sagt, ich stehe gerade. „Das liegt an der Längs- und Querneigung des Hauses von sieben Grad“, erklärt mit die Besitzerin Birga Oster, als ich wieder bei vollem Verstand bin (also zumindest dem, den ich normalerweise so benutze). „Das hier ist tatsächlich eine Herausforderung für die Sinne, das nächste Mal langsamer gehen und sich nach dem Eingang erst mal auf das Sofa setzen, um sich an die verkehrte Welt zu gewöhnen.“ Okay, noch ein Versuch. Dieses Mal klappt es, aber: „Mama, so langsam warst du ja noch nie. Bist du eine Schnecke oder was?“
Das echte Phantasialand: Heidekastell Iserhatsche
Ein Erlebnis in Bispingen ist etwas anders als alles andere, was daran liegt, dass Uwe Schulz-Ebschbach etwas anders ist als alle anderen. Der 78-Jährige hat sich eine Art Neuschwanstein des Nordens mitten in die Heide gebaut. Iserhatsche nennt sich die ehemalige Jagdvilla, also Eisenherz. Die gehörte mal der Familie Reemtsma, war im Krieg ein Lazarett, wurde danach als Landschulheim genutzt, bis 1985 der Berliner Malermeister Schulz-Ebschbach kam. Wenn Sie denken, Sie haben die kuriosesten Dinge Deutschlands bereits gesehen, dann waren Sie noch nicht in der Iserhatsche.
Man findet dort die größte Bierflaschensammlung der Welt, die größte Streichholz- und Pümpel-Sammlung, die meisten Frösche (60.000 Stück) und „das schönste Zimmer Deutschlands“, sagt Schulz-Ebschbach, der sich als „Visionär und Pausenclown“ bezeichnet. Das Zimmer ist eine exakte Replik des königlich-preußischen Esszimmers in Sanssouci. Sieben Jahre lang hat der Hausherr daran gebaut: „Ich wollte mir selbst beweisen, dass ich das kann.“
Auch die weiteren 30 Zimmer quellen über, so viele Malereien, Handwerkskünste, Jagdgeweihe und Selbstdarstellungen sind selten zu besichtigen. Spiegel und Bronze-Büsten mit Schulz-Ebschbachs Antlitz, Porzellan mit den Gesichtern der Familienmitglieder, Tapeten mit Schulz-Ebschbach in Uniform. „Ich bin selbst ernannter Hauptmann“, sagt er. „Kann man sich denn selbst zum Hauptmann ernennen?“ fragt Jesse. „Natürlich, ich kann alles.“ Ob das nicht alles sehr selbstverliebt sei, will man wissen. „Aber natürlich, junge Frau, was denken Sie denn? Aber jeder darf doch draufhauen, so viel er will.“
Es kommt noch besser. Im Landschaftsgarten steht ein eiserner Glockenbaum mit 78 handgegossenen Glocken, die von Schulz-Ebschbach selbst entworfen wurden. Kostet natürlich auch, sich Glocken gießen zu lassen. „Hier hängt ein Einfamilienhaus“, rechnet Schulz-Ebschbach vor. Er ließ auch einen 100 Meter langen See anlegen und scherte sich nicht darum, ob das vielleicht baulich gar nicht zugelassen gewesen wäre. Zahlt er eben eine Strafe. Eine hohe Strafe. Egal, manches hat seinen Preis: „Ich habe schon in Berlin am Wasser gewohnt, da will ich es hier nicht schlechter haben.“
Am See liegt ein künstlicher Felsen, das Kastell Montagnetto, daneben eine Arche, die Noah nicht größer hätte errichten können. „Hat das der liebe Gott gebaut oder ich?“ fragt Schulz-Ebschbach. Inzwischen weiß man die Antwort. Unser Sohn bleibt kritisch: „Du siehst nicht aus wie Gott.“ Mein Mann zeigt sich erleichtert: „Nun wissen wir endlich, wo wir hinmüssen, wenn die große biblische Flut droht.“ Nach Bispingen.
Backofengrotte mit Eulenkonzert
Auf dem künstlichen Berg thront ein Vulkan. „Lass den mal eben ausbrechen!“, sagt Schulz-Ebschbach zu seinem Angestellten. „Ja, Chef“, sagt dieser, drückt einen Knopf, schon spuckt es Feuer, und Lava fließt durch die Heide. Meine Kinder reiben sich die Augen. „Ist das hier Disneyland?“ Mindestens.
Im Montagnetto versteckt sich eine Backofengrotte mit Eulenkonzert, ein Standesamt, eine Säulenhalle, eine Schmiede für Keuschheitsgürtel („Leider ganz schlechte Auftragslage“) und mehrere Theken. „Dabei trinke ich gar nicht, wäre reine Zeitverschwendung“, findet Schulz-Ebschbach. Der Schlossherr hat noch so viel vor. Nun will er, nach dem in Bispingen bereits eine Straße benannt wurde, das Schloss Lichtenstein aus Flaschen nachbauen lassen. Gibt nur mal wieder Ärger mit den Behörden. „Die Olle versteht deren Aufregung auch nicht.“ Mit der Ollen meint Schulz-Ebschbach seine Frau. Er meine das nicht böse, die Berliner redeten so, erklärt einer der Mitarbeiter. „Vermutlich hat Gott die Frau erschaffen, um den Mann kleinzukriegen“, lautet einer der 200 Sprüche, die auf die Balken im Garten eingearbeitet wurden.
Diese Fantasiewelt hier hätten König Ludwig II. und Michael Jackson sehr gefallen. Besucher, die ein wenig mehr 08/15 sind, kommen mit so viel Außergewöhnlichem schwerer zurecht. Aber das weltabgeschiedene Heideland bietet wahrscheinlich einfach eine gute Grundlage für alternatives Leben – und Sterben. Schulz-Ebschbach (langsam nervt dieser Doppelname) hat natürlich auch daran gedacht. In der Iserhatsche kann man bei den eineinhalbstündigen Führungen auch den Sitzsarg besichtigen, den der Berliner sich hat anfertigen lassen. „Die Menschen versuchen, sich am Tod vorbeizuschleichen, aber das gelingt niemandem, ich habe mich vorbereitet.“ Sogar das Totenhemd kann Schulz-Ebschbach bereits präsentieren. „Schauen Sie mal auf die Brust!“, befiehlt Schulz-Ebschbach. Sein letztes Hemd hat Taschen.
Für ganz Coole: Skifahren im Snow Dome – bei 27 Grad
Derart inspiriert, werden wir selbst verrückt. Die Außentemperatur beträgt 27 Grad, und wir ziehen uns lange Unterhosen, dicke Socken und Thermohosen an. Wir wollen Skifahren. Der Snow Dome hat unseren Sohn Jesse schon von außen beeindruckt, sieht er doch aus wie eine Mischung aus Ufo und Abfahrtrampe, und dann vermag er auch noch die Jahreszeiten zu überlisten. Ewiger Winter in einer Halle, die 2013 aufwendig saniert werden musste, um die Energiekosten zu senken.
Die Piste im Heide-Gletscher ist 300 Meter lang. Jesse nimmt gleich mal den Schlepplift, unsere Tochter fährt mit einem Skilehrer ihre erste Abfahrt. Eigentlich wollten wir sie auf einen Schlitten setzen, aber nach einem Schreianfall bekam die kleine Diva natürlich ihre eigenen Skier. Der Vorteil ist, dass Besucher vor Ort alles ausleihen können (bis auf Handschuhe). Der Nachteil ist, dass mögliche Erziehungsvorhaben („Wer schreit, bekommt nicht gleich seinen Willen“) wie eine Lawine vom Berg gefegt werden. Richtig steil kommt der übrigens nicht daher, und auch der Schnee fühlt sich etwas anders an. Sehr künstlich. Wer in den Alpen das Skifahren gelernt hat, auf den wirkt das hier, wie wenn Marilyn Monroe durch eine Barbie-Puppe ersetzt worden wäre. Nichts gegen Barbies, aber in dem Fall gewinnt eindeutig das Original.
Mich irritiert das Fehlen von Tageslicht, dadurch verliert man jedes Zeitgefühl, als sei man in den Spielhallen von Las Vegas. Dafür gefällt mir die Musik, am Wochenende wird der Snow Dome regelmäßig zu einer Disco. Für Snowboarder gibt es einen Funpark, in dem ein einzelner Boarder wie wild Sprünge übt. Er ist der einzige andere Bekloppte neben uns hier in der Minus drei Grad kalten Halle. Stimmt gar nicht, Minnas netter Skilehrer ist ja auch noch da, Florian Koß: „Hier kann ich 365 Tage im Jahr meinen Sport unter Idealbedingungen leben“, sagt er. Seine Kurse sind vor allem in den Winterferien immer ausgebucht, für Anfänger stellt der Snow Dome in der Tat den besten Einstieg dar. Warum erst nach Österreich gurken, um sich das Kreuzband zu reißen? Das geht auch hier vor Ort. Kleiner Scherz. Unser Sohn findet es super, während Minna ihren Nasenrotz über mein Gesicht verteilt und sagt: „Raus!“
Noch cooler als drinnen ist es draußen vor dem Hofbräu-Biergarten (mein bayerischer Mann: „Weißwurst nach zwölf Uhr, ich fasse es nicht!“) Super sind die Wortspiele auf der Karte: „Wir haben die Haxen dicke.“ Finde ich lustig, selbst als Vegetarier. Dort draußen jedenfalls gibt es einen riesigen Spielplatz mit mehreren Trampolinen, Hüpfburgen, unzähligen Sandkisten, Beachvolleyballfeld, Tischtennisplatte und allem, was sie auf einem Standard-Spielplatz in Hamburg niemals finden. Ganz ehrlich: Im Biergarten abhängen und die Kinder zwei Stunden dort rumturnen lassen, das reicht schon als Argument für einen Ausflug nach Bispingen.
Im Moment will ja jeder die Bienen retten, also machen wir das auch beziehungsweise informieren uns erst mal über dieses Tier, das es zu einer eigenen Zeichentrickserie geschafft hat. Im Naturinformationshaus Niederhaverbeck gibt es eine kostenfreie Ausstellung „Bienenwelten“. Wir sehen die sechsbeinigen Tierchen in Kurzfilmen und Großaufnahme und lernen viel über Insekten. Einige können mit den Beinen hören (Grillen), tanzend miteinander reden (Honigbienen) oder das Vielfache ihres Körpergewichts tragen, sogar kopfüber (Ameisen).
Ssssssss: Bienenwelten im Naturinformationshaus
„Das wäre so, wie wenn Papa vom Klettergerüst hängt und dich dabei hochhebt.“ Immer wieder reizend, die eigenen Kinder. Jetzt wollen sie auch noch die Selbstbauanleitung für Nisthilfen mit nach Hause nehmen, um so ein Ding auf unserem Balkon zu errichten. Ich sehe mich schon in voller Imker-Montur mit großer Geste Waben in die Luft recken: „Hurra. Unser erster eigener Honig!“ Diese Überlegungen teilend, zeigt mir mein Mann einen Vogel. Tja, jedes Tier hat ein anderes zum Feind.
Neben der Ausstellung gibt es einen ganzen Wildbienen-Erlebnispfad, macht ja auch Sinn, ein Insekt draußen zu erkunden und nicht in einem abgedunkelten Raum. Sowieso, die ganze Natur hier wirkt total erholsam nach der dunklen Skihalle. „Manche, die hier wandern gehen, sehen nichts. Ich hingegen könnte Ihnen zu jedem Baum, zu jedem Strauch, zu jeder Biene etwas erzählen“, sagt Julia Hallmann, Mitarbeiterin des VNP. Ich könnte Ihnen jetzt ganz viel zum Verein Naturschutzpark Lüneburger Heide erzählen, aber zusammengefasst sollte reichen: Die sind die Guten! Ohne den VNP gäbe es die Heide, die ja keinem Bauern jemals Glück brachte, nicht mehr.
Wir wandern ein bisschen herum, meine Tochter singt: „Summ, summ, summ …“, und mein Sohn fragt, ob Biene Maja in der Heide geboren wurde. Wer weiß.
Da wir gerade in der Heide sind: Nach deutscher Pünktlichkeit blüht sie ab dem 8. August. Bispingen hingegen blüht nicht mehr nur zur Heidezeit, es ist zum Ganzjahresziel geworden. Dabei mussten die Einwohner anfangs fast zu ihrem Glück als Besuchermagnet gezwungen werden. Als sich Mitte der 90er-Jahre der Center Park hier ansiedeln wollte, war fast die Hälfte der knapp 7000 Bispinger dagegen, sie fürchteten Staus und Überfremdung. Inzwischen gilt der Ferienpark mit Streichelzoo und Erlebnisbad als einer der größten Arbeitgeber der Gegend, und Staus findet man nach wie vor nur auf der A7, nicht im Ort. Von Überfremdung ebenfalls keine Spur, es sei denn, man wertet die Bayern als Ausländer.
Wo ist eigentlich mein Bayer? Ah, auf der Suche nach was zu essen, natürlich. „Zur grünen Eiche, da soll es hervorragend schmecken“, sagt er, und innerhalb von Minuten sitzen wir bereits an einem liebevoll gedeckten Tisch. Ich frage mich immer, warum eine Art Turbo-Booster in unserer Familie einsetzt, sobald der Magen meines Mannes knurrt. Wie so ein geheimes Start-Signal, plötzlich alles ganz schnell gehen zu lassen. Mysteriös, warum dieses Signal nie einsetzt, wenn wir morgens spät dran sind oder die Wohnung aufgeräumt werden muss. In diesem Restaurant jedenfalls, vor dem ein Ausflugsbus nach dem anderen hält, bekommen meine Kinder das in ihren Augen beste Menü ihres Lebens. Küchenchef Sven Rieckmann hatte nur gesagt: „Och, ich weiß, glaube ich, was ihr mögt.“ Er serviert dann jeweils in Mini-Portionen als ersten Gang Pommes mit Wurst, als zweiten Gang Pizza, als drittes kommen Nudeln und zum Nachtisch Gummibären. Unsere Tochter weinte fast vor Freude, unser Sohn sagte: „Das hat 1000 Euro gut geschmeckt.“
Mit dem Popo lenken auf der Quadbahn
Am nächsten Tag fahren wir an den See, den hat Bispingen selbstverständlich ebenfalls. Sieben Hektar groß ist der Brunausee, man kann dort Tretboote ausleihen, es gibt ein Café und die bestversteckte Quadbahn Deutschlands. Hätte uns der nette Herr in der Bispinger Touristeninformation nicht genau erklärt, wo sie liegt (direkt nach der Autobahnabfahrt rechts und dann den Schildern zum Café Seeterrassen folgen), würden wir noch heute durch die Heide irren. Es sei denn, jemand wäre in der Lage, den Ton der A7 abzuschalten, dann könnten wir das Brummen der Quads hören und dem Geräusch folgen.
Ob mein Daumen in Ordnung sei, fragt mich der Verleiher Jürgen Strehl. Es gibt viele Körperteile, über die ich mich beschweren könnte, aber über meinen Daumen lässt sich nichts Schlechtes sagen. „Gut, den brauchen Sie nämlich!“, sagt Strehle, laut eigenen Angaben „so alt wie das Udo Jürgens’ Lied“. Mit dem Daumen gibt man nämlich bei einem Quad Gas. Nichts für Kartbahn-Pussys hier, hatte ein Tourist aus NRW bereits versprochen, alles richtig schön dreckig, und wenn du nicht aufpasst, dann kippst du um. Verlockend.
Tatsächlich ändert sich die 500 Meter lange Strecke mit jeder Runde, weil der Sand hin- und hergeschoben wird, man muss die Kurven außen nehmen und mit dem Popo lenken, also das Gewicht verlagern. „Das geht mir am Arsch vorbei“ ist also keine Redewendung, die auf einer Quadbahn angemessen wäre. Nach 15 Minuten habe ich Muskelkater am Daumen und werde von einem Kind überholt, das ruft: „Viel besser hier als auf der Kartbahn, oder? Fühlt sich an, als müsste man sich so richtig hart durchkämpfen.“ Ich empfehle ihm als Berufswunsch, Rambo oder Journalist zu werden, da kann man sich tagtäglich durchkämpfen, ohne Eintritt zu bezahlen.
Geister jagen und Kraken bezwingen im Heidepark
Nach der Quadbahn fühle ich mich ein wenig gesandstrahlt, wie gerne würde ich ein anderes T-Shirt anzuziehen. „Können wir doch schnell im Outlet besorgen“, schlägt mein Mann vor. Richtig, ein Outlet gibt es auch, zwar schon in Soltau, aber das ist gleich um die Ecke. 2012 wurde es eröffnet, wieder 500 zusätzliche Arbeitskräfte in der Region. Innerhalb von fünf Minuten habe ich ein staubfreies Outfit erworben, und schon geht es weiter. Der Höhepunkt des Halligalli wartet: der Heidepark. In Norddeutschlands größtem Freizeitpark düsen wir mit der Kinderachterbahn Indy Blitz durch den wilden Westen, Jesse macht bei der Kinder-Fahrschule bereits mit sechs Jahren seinen Führerschein, wir jagen Geister in Ghostbusters 5D, und im ganz neuen Peppa Pig Land reiten wir auf kleinen Dinosauriern.
Das ist so niedlich und bunt, als seien wir selbst Teil einer Animationsserie. 1,3 Millionen Besucher kommen jährlich in das Heide Park Resort, und da wir zufällig gerade den direkten Vergleich mit dem Disneyland in Paris haben: Es ist halb so teuer, man wartet halb so lange an den Fahrgeschäften und kann doppelt so viel Adrenalin ausschütten, wenn man sich wie mein Mann in die vollkommen verrückte Kraken-Achterbahn traut. Eigentlich wollte er nicht, aber wenn der Sohn „Mutprobe!“ ruft, was soll Mann da tun?
Schäferstündchen bei den Heidschnucken
Nach so viel Action müssen wir mal wieder runterkommen. Also rauf auf das nächste Gefährt: eine Kutsche. „Sind wir jetzt echte Prinzen und Prinzessinnen?“ fragt Jesse. Zumindest für die nächsten zwei Stunden können wir uns so fühlen. Kutschfahrten bedeuten in der Heide nichts Royales, sondern stellen ein natürliches Fortbewegungsmittel dar, weil Teile des Naturschutzgebietes wie das Örtchen Wilsede gar nicht mit dem Auto zu erreichen sind. Auf unsere Kutsche passen 20 Leute, die Kutscherin heißt Nicki und klopft den Staub von den Decken: „Das ist Heidepuder, können Sie als Souvenir mit nach Hause nehmen.“
Die Pferde Leila und Ernesto traben gemütlich vor sich hin, ein Touristenpaar aus Frankfurt mit Otto-Käppis („Wir sind Fans!“) präsentiert sich gleich als Kenner in unserer Hoch-zu-Ross-Fahrgemeinschaft. „Ah, Schweine!“, sagt die Frau, woraufhin Nicki lobt: „Gut gerochen.“ Wir wackeln vorbei an Feldern mit Dinkel und Buchweizen, an Brombeersträuchern und Wacholder. Den darf man aber bitte nicht pflücken! Der Gin bleibt in der Heide.
Wir halten an einem Stall, wo uns Schäfer Silvio Schönefeld zeigt, was Schäferhunde können. „Die faulsten Schäfer haben die besten Hunde“, sagt Schönefeld. Wie auf Kommando laufen tatsächlich fast 500 Heidschnucken gleichzeitig brav in den Stall. „Wir schaffen es nicht mal, zwei Kinder pünktlich zum Schlafen zu überreden, und dieser Hund bringt Hunderte von Tieren gleichzeitig ins Bett.“ Mein Mann ist sehr beeindruckt.
Auch von den Wolfs-Geschichten, die in der Heide gerade Hochkonjunktur haben. „Angeblich sind das ja nur Füchse, die unsere Schafe reißen“, sagt der Schäfer. „Aber dann haben wir hier echte Mutanten-Füchse.“ Nachdem wir uns alle ein bisschen wie Rotkäppchen fühlen durften, geht es wieder zurück. Nun sagt niemand mehr etwas außer der Wind. Das gleichmäßige Klackern der Hufe hat auf unsere Kinder eine narkotisierende Wirkung. Ganz ohne Schäferhund legen sie sich hin und schlafen ein. Gute Nacht, Freunde.