Bispingen. Die Gemeinde verzeichnet eine steigende Zahl an Übernachtungen. In der Hochsaison zählt der Ort 40-mal mehr Besucher als Einwohner.
Jedes Jahr kommen mehr Touristen. Im Jahr 2017 lag das Plus bei den Gästezahlen in der Gemeinde Bispingen von Januar bis August bei 6,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auch bei den Übernachtungen hat der Ort zugelegt, um 1,5 Prozent gegenüber 2016. Für die Bispingen-Touristik sind das erfreuliche Nachrichten. „Unser touristisches Angebot kommt an“, resümierte Waltraud Giese, Geschäftsführerin vom Verein Bispingen-Touristik, Ende 2017 stolz.
Was aber bedeutet der Tourismus für die kleine Gemeinde mit 6500 Einwohnern? Was heißt es für ein Dorf, wenn sich in den Sommermonaten die Zahl der Menschen, die sich in Bispingen aufhalten, mal eben um das 40fache erhöht? Ist der Tourismus Fluch oder Segen?
Schon kurz nach der Autobahnabfahrt wird schnell klar: Bispingen ist alles andere als ein durchschnittliches Dorf in Niedersachsen. Wie eine gigantische Lawine, aus der Stahlträger ragen, liegt der geschwungene Snow-Dome an der Autobahn 7. Eine riesige Skihalle für Wintersportbegeisterte mit Sessellift und Pisten. Gleich daneben Ralf Schumachers Kartbahn und ein paar Meter weiter das verrückte Haus – ein umgedrehtes Haus, dessen Einrichtung ebenso Kopf steht.
300.000 Gästein jedem Jahr
Auf der anderen Seite des Dorfes, aber mindestens genauso gigantisch, befindet sich der Center Parc mit 750 Bungalows auf 90 Hektar und rund einer Million Übernachtungen pro Jahr.
Spricht man die Einwohner auf die Großbauten an, zucken sie mit den Schultern. Der allgemeine Tenor: Ist halt so. Der Widerstand vor 25 Jahren war zwecklos. Die Bürgerinitiative, die sich vor der Entstehung des Center Parcs formiert und vehement gegen den Center Parcs protestiert hatte, existiert längst nicht mehr. Die Kämpfe sind schon lange ausgefochten, die Debatten beendet und vergessen.
Im Übrigen gebe es ja nicht nur den Center Parc, sagt Margret Hedder von Bispingen-Touristik. Hinzu kämen noch 250.000 Übernachtungen in Pensionen, Ferienwohnungen und Hotels. „Der klassische Heidetourismus“, sagt Hedder. Die Unterkünfte sind mitten in Bispingen und den umliegenden Dörfern zu finden. Dort, wo sich Backstein- und Fachwerkhäuser aneinander reihen.
So mancher mag Schnappatmung bekommen bei 300.000 Gästen pro Jahr in einer solchen Gemeinde. Bei Sabine Schlüter, Bürgermeisterin der Gemeinde Bispingen, jedoch spricht der Stolz aus den Zeilen: „Mit unseren Übernachtungszahlen bringen wir so viel auf die Matte, wie der gesamte Landkreis Harburg.“
Von den hohen Besucherzahlen profitieren besonders die Ladenbetreiber im Ort. „Wir haben das ganze Jahr über Touristen bei uns im Laden, und darüber freuen wir uns auch“, sagt Christine Wedemann, die im Geschäft „Der kleine Speicher“ arbeitet. „Nur von den Einwohnern im Ort könnten wir nicht leben.“
Die Ladeninhaberin Gitta Gröning hat sich auf die Wünsche der Touristen eingestellt. Auf vielen Produkten findet sich die Heidschnucke wieder. Es gibt sie als Kuscheltier, in Porzellan und auf Kaffeebechern. Sogar Schnuckenködel sind zu haben, wobei es sich dabei nicht um Schafkot, sondern Lakritz handelt.
Geschäfte öffnen an sieben Tagen in der Woche
Auch die Öffnungszeit hat Gitta Gröning für die Touristen auf sieben Tage erweitert. Dass die Verkäufer gelegentlich Ansprechpartner Nummer eins in Sachen Ausflugstipps sind, schockt sie längst nicht mehr. Lachen muss Wedemann, wenn die Urlauber fragen, wo denn die Stadt oder die Fußgängerzone sei. Das zeige, dass die Touristen Bispingen größer wähnten, als der Ort tatsächlich sei. „Aber das ist immer noch ein Dorf hier“, sagt Wedemann.
Der Edeka-Markt von Ralf Ehlers mitten im Ort hätte allerdings auch gut in eine Stadt gepasst. Wegen seines umfangreichen Sortiments und den vielen regionalen Produkten wurde der 1700 Quadratmeter große Markt in seiner Kategorie von Edeka als bester Markt Deutschlands geehrt.
Einen Markt dieser Dimension vermutet man nicht gerade in einem kleinen Ort wie Bispingen. Durchschnittlich kommen 10.000 Kunden pro Woche in seine Filiale. „Im Sommer machen wir mit den Touristen ein Viertel mehr Umsatz“, sagt Ehlers.
Um die Urlauber bei der Stange zu halten und damit sie wiederkommen, müssen sich die touristischen Einrichtungen immer wieder etwas Neues einfallen lassen. Der Center Parcs etwa hat vor, bis zum Sommer einen Hochseilgarten am See und eine Indoor-Kletteranlage zu integrieren.
Andere wiederum trotzen dem Modernisierungshype – Urlauber hin oder her. Ingelore Burmeister, Inhaberin der gleichnamigen Tankstelle und KFZ-Werkstatt, hat ihren kleinen Tankstellenshop seit mehr als zehn Jahren nicht verändert. Das wiederum beeindruckt auch die Touristen: „Wir kriegen immer gesagt, dass es bei uns so urig aussieht“, sagt sie. Deshalb bleibe alles, wie es ist. In Bispingen gibt es insgesamt fünf Tankstellen. Auch das ist für den kleinen Ort ungewöhnlich und eine Folge des Stroms der Touristen, die in der Regel mit dem Auto anreisen.
Bis zu 7000 Besucher täglich in der Heide unterwegs
Wenn das Geld fließt, gibt es wenig zu meckern. Wie aber sieht der Verein Naturschutzpark Lüneburger Heide (VNP) die steigende Zahl der Touristen, die in die Region und damit in die geschützte Heide strömen? In Spitzenzeiten sind mehrere tausend Gäste im Naturschutzpark unterwegs. Allein auf dem Pastor-Bode-Weg sind es einer Zählung des Vereins zufolge zwischen 450 und 7000 (zur Heideblüte) pro Tag.
Von einer negativen Entwicklung möchte Mathias Zimmermann, Geschäftsführer des VNP, dennoch nicht sprechen. „Wir sehen jeden Touristen als einen potenziellen Naturschützer.“ Auch wenn er von manchen uneinsichtigen Besuchern zu berichten weiß, die sich nicht an Vorschriften halten und etwa abseits der Wege laufen oder ihre Hunde nicht anleinen. Ein großes Problem sei das aber nicht, sagt Zimmermann: „Die 2,5 Millionen Besucher, die in die Lüneburger Heide kommen, verteilen sich recht gut.“
Die Einwohner haben sich mit dem Tourismus arrangiert. Schließlich wissen die meisten Besucher das zu schätzen, wofür auch das Herz der Einwohner schlägt: die Heidelandschaft. „Auf sie lassen die Bispinger nichts kommen“, sagt Bürgermeisterin Sabine Schlüter. „Wir leben hier von der Stille.“