List/Sylt. 400 offene Stellen: Weil Insel-Pendler wegen der Bahnprobleme wegbleiben, greifen viele Arbeitgeber zu Lock-Angeboten.
Um neue Mitarbeiter zu finden und alte zu halten, greifen Unternehmer auf Sylt zu besonderen Mitteln – weil sie sonst ihre Firmen nicht wie gewohnt betreiben können. Unterkünfte, Prämien, Versicherungen oder Mitarbeiterrestaurants – die Insulaner sind gezwungenermaßen sehr ideenreich darin, Anreize zu schaffen.
Im Arosa-Hotel in List steht den Mitarbeitern beispielsweise eine eigene Unterkunft mit 100 Wohnungen in verschiedenen Größen zur Verfügung. Dazu gibt es das Programm „Mitarbeiter werben Mitarbeiter“. Angestellte erhalten Prämien, wenn sie erfolgreich neue Männer und Frauen angeworben haben. Dazu kommen Sonderkonditionen für die Sylt-Fähre oder den Sylt-Shuttle. Alle können den Fitnessbereich des Resorts ganztägig und kostenfrei nutzen, und es werden spezielle Fitneskurse angeboten. Darüber hinaus können die Mitarbeiter auch Spa-Angebote in Anspruch nehmen.
Unterschiedliche Anreize für Mitarbeiter
Die DSR Hotel Holding, die Tochtergesellschaft der Arosa-Hotels, bietet außerdem seit diesem Frühling eine betriebliche Krankenzusatzversicherung im Bereich Zahnersatz und Sehhilfe für ihre Mitarbeiter an. „Dieser neue Mitarbeitervorteil ist in der Hotelbranche außergewöhnlich“, sagt André Aue, Geschäftsführer der DSR Hotel Holding. Er und seine Kollegen wollten damit die Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitern Ausdruck verleihen. Bisher haben zwei Drittel der berechtigten Männer und Frauen im gesamten Unternehmen die Zusatzversicherung abgeschlossen.
Auch das TUI Dorfhotel am Rand von Rantum hat unterschiedliche Anreize für die Mitarbeiter. Zum einen verfügt das Haus über ein Personalhotel mit 62 Zimmern. Hier können die Angestellten für 221 Euro monatlich unterkommen. „Das ist eine große Erleichterung für viele“, sagt Direktor Gabor Hnizdo. Dazu kommen kleinere Angebote wie die kostenlose Nutzung des gesamten Spa-Bereichs, Zugang zu den Restaurants mit einem Rabatt von 50 Prozent, kostenlose Leihräder. Und Erfolgsprämien bei besonderen Leistungen. „Außerdem bezahlen wir Gehälter über Tarif.“
Der Fachkräftemangel entwickelt sich auf der Insel nämlich zunehmend zu einem echten Problem. Derzeit sind bei der Agentur für Arbeit knapp 400 offene Stellen registriert. Die pannenanfällige Bahnverbindung macht Arbeitnehmern und Arbeitgebern zusätzlich das Leben schwer. Firmen berichten von außergewöhnlichen Kündigungen seitens der Pendler, die immer öfter unter Verspätungen und Zugausfällen zu leiden haben. Claas-Erik Johannsen, Vorsitzender des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) auf Sylt, spricht von einer angespannten Lage.
Bezahlbarer Wohnraum kaum zu finden
„Wir haben alle große Probleme, Mitarbeiter zu finden und für Sylt zu begeistern“, sagt er. Durch die derzeitige Situation bei der Bahnverbindung auf die Insel habe sich das Problem noch einmal deutlich verschärft. „Jetzt verlieren wir sogar gute Leute“, sagt Johannsen, der in den vergangenen Wochen zwei Kündigungen für sein Hotel, den Benen-Diken-Hof in Keitum, entgegennehmen musste. Die Hälfte seiner Mitarbeiter wohnt auf dem Festland und pendelt über den Hindenburgdamm zur Arbeit.
Johannsen hilft deshalb allen neuen Mitarbeitern, eine Unterkunft zu bekommen. „Ohne eine solche Unterstützung geht es gar nicht mehr“, sagt er. Denn gerade bezahlbarer Wohnraum sei auf der Insel kaum zu finden. Dazu gibt es im Benen-Diken-Hof ein Mitarbeiterrestaurant, in dem alle Angestellten frisch zubereitete Mahlzeiten bekommen können. „In den kleineren Zimmern können sich unsere Mitarbeiter gar nicht so einfach selbst verpflegen.“ Verschiedene Prämien, je nach Betriebszugehörigkeit und Aufgabenbereich, kommen dazu.
In der Nordseeklinik sind acht Stellen frei
Im Dorfhotel setzt man bei der Suche nach neuen Mitarbeiter ganz auf die eigenen Angestellten. 90 Prozent der Einstellungen laufen über persönliche Empfehlungen, so Hnizdo. „Und dafür bekommen die Kollegen dann Prämien.“ Der Hoteldirektor betont: „Trotz der natürlich wichtigen Frage nach den finanziellen Anreizen ist die persönliche Wertschätzung sehr wichtig.“ So habe er nur eine Fluktuation von gut drei Prozent. Das sei in der Hotellerie schon besonders. „Wir haben hier einfach eine wirklich gute Stimmung.“ Im Moment sei beispielsweise gerade mal eine Stelle unbesetzt.
Das sieht bei der Asklepios Nordseeklinik in Westerland etwas anders aus. Derzeit sind auf der Internetseite des Unternehmens acht Stellen ausgeschrieben – obwohl das Unternehmen mehr als 100 Wohnungen zu vergünstigten Mietpreisen bereithält. Zudem gibt es nach Angaben von Asklepios Pläne, Wohnungen in Kliniknähe zu bauen. Dazu kommen viele kleinere oder größere Zuwendungen, die eine Anstellung bei dem Unternehmen attraktiv machen sollen: Prämienprogramme, Sonderzuwendungen oder Sportangebote. „Gerade im medizinischen Bereich gibt es auf der Insel viele Lücken“, sagt auch Marion Taleka Zamfir von der Agentur für Arbeit.
Sie macht auf ein weiteres Thema aufmerksam, das mit dem Begriff „double career“ bezeichnet wird. Wenn neue Fachkräfte nach Sylt ziehen, wollen sie oftmals mit Partner und Kindern kommen, was gar nicht so leicht ist. „Dabei versuchen wir, die Neulinge bestmöglich zu unterstützen“, so Marion Taleka Zamfir. Dazu gehöre beispielsweise die Hilfe bei der Suche nach einer Anstellung für den Partner, bei Betreuungsmöglichkeiten, Schulen und Ärzten, aber auch bei Freizeit- und Wohnmöglichkeiten.
Touristen sind die Leidtragenden
Der Erfolg all dieser Ansätze hängt derzeit aber eng mit der Zuverlässigkeit der Bahnverbindung auf die Insel zusammen. „Das macht es für alle Branchen noch schwerer“, sagt Ronald Glauth, Geschäftsführer des Vereins Sylter Unternehmer. Mittlerweile seien selbst Banken betroffen. „Die Situation verbessert hier nicht gerade die Stimmung.“ Dabei sei eine so touristisch geprägte Insel extrem abhängig von dem Kontakt Mensch zu Mensch und der persönlichen Betreuung. „Deshalb sind hier gute Fachkräfte geradezu essenziell.“ Essenziell ist somit auch eine besserere Bahnverbindung.
So sieht es auch Hnizdo aus dem Dorfhotel. „Hier haben jetzt leider schon Kollegen gestanden und gesagt: ,Chef, ich kann nicht mehr‘“, sagt er, und man merkt seiner Stimme das Unverständnis für die Bahnprobleme an. „Da helfen dann die besten Anreize nicht, wenn die Kollegen nicht anständig zur Arbeit kommen.“ Und Johannsen ergänzt: „Ich finde die Entwicklung dramatisch.“ Es dürfe nicht sein, dass Unternehmen weiter gute Mitarbeiter verlieren. Ganz zu schweigen davon, dass auch die Gäste der Insel zunehmend gereizt reagieren. „Wir bekommen zu hören: ,Ihr Sylter müsst das endlich in den Griff bekommen.‘ Und damit haben sie leider recht. Aber wir Sylter sitzen nicht an den entsprechenden Hebeln.“ Schließlich seien am Ende die Touristen in doppelter Hinsicht die Leidtragenden, bei der An- und Abreise und beim teilweise fehlenden Personal.