Hamburg. Die Internationalität Hamburgs, gefestigte soziale Milieus, erfolgreiche Flüchtlingspolitik: Rechts-Partei findet keinen Resonanzboden.
12,6 Prozent bei der Bundestagswahl: Die AfD ist derzeit kaum zu stoppen. Das hatte sich schon im Vorjahr gezeigt. Fünf Landtagswahlen bestritt die Rechtspartei erfolgreich, überall kam sie auf zweistellige Stimmenanteile. In Sachsen-Anhalt und in Mecklenburg-Vorpommern übersprang die Partei sogar die 20-Prozent-Grenze. Wird Deutschland zum AfD-Land?
Nein, ganz oben im Norden zeigt sich Widerstand. In Schleswig-Holstein hat die AfD bei der Landtagswahl im Mai nur eben so die Fünfprozenthürde übersprungen (5,9), in Niedersachsen war es am vergangenen Sonntag nicht viel besser (6,2). Bei der Bundestagswahl holte die AfD ihre schlechtesten Zweitstimmenergebnisse in Niedersachsen (9,1), Schleswig-Holstein (8,2) und Hamburg (7,8). Was ist im Norden anders als im Rest der Republik?
Leitartikel: AfD-Wähler sind wichtig
Ferdinand Müller-Rommel, Politologe der Leuphana-Universität in Lüneburg, hat für die Immunität gegen rechts im Wesentlichen zwei Erklärungen. „Zum einen geht es dem Norden ökonomisch relativ gut“, sagt der Wissenschaftler. „Die wirtschaftlich Abgehängten, die sich von der AfD angesprochen fühlen, gibt es hier nicht in einer großen Zahl.“
Zum anderen gebe es in Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein noch funktionierende sozialdemokratisch, christdemokratisch oder kirchlich geprägte Milieus, die ein Abwandern zur AfD verhindern würden. „Man denke nur an die Regionen im Westen von Niedersachsen, in denen eine sehr konservative CDU und die Kirche wichtige Rollen spielen“, sagt Müller-Rommel. Dort habe die Alternative für Deutschland extrem wenig Zuspruch bekommen. „Die AfD-Denke wird von diesen Milieus abgefangen“, sagt Müller-Rommel.
Modernere Gesamteinstellung
Allerdings wirken diese Milieus nicht überall – jedenfalls nicht in Bayern und Baden-Württemberg. 12,4 und 12,2 Prozent hat die AfD dort bei der Bundestagswahl bekommen. Im Süden ist die Angst vor Flüchtlingen möglicherweise schon wegen der geografischen Lage größer, und zumindest in Bayern hat die CSU diese Ängste kräftig bedient, ohne jedoch das Problem lösen zu können. Das schafft Verdruss, das schafft Protestwähler.
Norbert Brackmann, CDU-Bundestagsabgeordneter aus Lauenburg (Schleswig-Holstein), hat eine weitere Erklärung für das schwache Abschneiden der rechten Partei in seinem Bundesland. „In Schleswig-Holstein hat es relativ wenig Probleme bei der Aufnahme der Flüchtlinge gegeben“, sagt er. „Ich glaube, wir haben hier im Vergleich zu anderen Ländern insgesamt eine modernere Gesamteinstellung.“
Heinold hält Stimmung für wichtig
Hamburg und der Hamburger Rand seien ohnehin von der Internationalität der Stadt geprägt. „Und der Norden Schleswig-Holsteins steht im Einfluss Skandinaviens und dessen in der Vergangenheit recht liberalen Umgangs mit dem Thema Zuwanderung.“ Kurzum: „Die AfD, die viel mit Ängsten arbeitet, findet hier keinen Nährboden.“
Martin Habersaat, SPD-Landtagsabgeordneter aus Reinfeld (Kreis Stormarn), führt ein anderes Argument ins Feld. „Die beiden großen Parteien SPD und CDU unterscheiden sich in Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen recht deutlich voneinander“, sagt er. „Anders als auf Bundesebene hat es hier auch schon länger keine Großen Koalitionen mehr gegeben.“ In einer solchen politischen Situation habe es die AfD schwer.
Monika Heinold (Grüne), Finanzministerin in Schleswig-Holstein, hält die Stimmung für wichtig. „Schleswig-Holstein ist bundesweiter Spitzenreiter in puncto Zufriedenheit – das wirkt sich auch auf die Wahlentscheidung aus. Ich bin überzeugt: Je größer die Zufriedenheit der Menschen, desto kleiner der Stimmenanteil für die AfD.“
Die Zahlen belegen das recht deutlich. Auf einer Rangliste der AfD-Zweitstimmenergebnisse aller 299 Bundestagswahlkreise, beginnend mit dem höchsten Wert, findet sich der erste niedersächsische Wahlkreis erst auf Platz 118 (Salzgitter-Wolfenbüttel, 12,3 Prozent). Der erste Hamburger Wahlkreis liegt auf Rang 148 (Hamburg-Bergedorf– Harburg, 11,5 Prozent), der erste schleswig-holsteinische sogar erst auf Platz 194 (Herzogtum Lauenburg–Stormarn-Süd, 9,8 Prozent).
Vage Ängste und echte Probleme
Der Blick ans Ende der Liste zeigt: Von den 30 Kreisen mit den schlechtesten AfD-Ergebnissen liegen allein zwölf in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg. Der Wahlkreis Hamburg-Altona (5,5 Prozent) nimmt den viertletzten Platz ein. An der Spitze steht übrigens der sächsische Wahlkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge (35,5 Prozent).
Ist der Norden also ein „rechtsfreier“ Raum? Nein. Auch hier hat die AfD in einigen Wahlkreisen beachtliche Ergebnisse erzielt. In Teilen der bereits erwähnten Wahlkreise Salzgitter-Wolfenbüttel und Hamburg-Bergedorf-Harburg leben viele Flüchtlinge und Menschen mit Migrationshintergrund. In dieser Situation entstehen offenbar nicht nur vage Ängste, sondern auch echte Probleme.
Günstige Wohnungen lockten nach Salzgitter
In Salzgitter hat die Landesregierung nun mit einem Zuzugsverbot für anerkannte und aufgenommene Flüchtlingen reagiert. Die Stadt war zuletzt zu einem beliebten Ziel geworden, weil es dort günstige Wohnungen gibt. Mittlerweile haben rund 36 Prozent der 106.000 Einwohner einen Migrationshintergrund. Die Arbeitslosenquote lag zuletzt bei 11,2 Prozent.
Ganz anders ist die Situation im Wahlkreis Herzogtum Lauenburg-Stormarn-Süd, der schleswig-holsteinischen AfD-Hochburg. In Stormarn herrscht Vollbeschäftigung, der Kreis profitiert von der Nähe zu Hamburg. Im ländlichen Nachbarkreis Herzogtum Lauenburg sieht es nicht viel schlechter aus. Der Kreis meldete die niedrigste September-Arbeitslosigkeit seit 20 Jahren.
Norbert Brackmann, der diesen Wahlkreis direkt gewonnen hat, stellt bei der Ursachenforschung einen geografischen Zusammenhang her. Im mecklenburgischen Nachbarkreis, sagt er, habe die AfD noch viel besser abgeschnitten. „Vieles schwappt aus dem Osten herüber, da geht es auch um Lebensbeziehungen.“ Und Martin Habersaat, ebenfalls in diesem Wahlkreis zu Hause, meint, dass dort noch altes AfD-Klientel am Werke sei. Er erinnert sich an eine Wahlkampfveranstaltung im Reinbeker Schloss mit AfD-Anhängern aus der Nachbarschaft: „Das waren Leute, denen es ganz gut geht, die aber den Griechen kein Geld geben wollen.“