Nur wer die Stärken und Schwächen der Partei kennt, kann sie bekämpfen

Für viele war es die schockierendste Zahl der Bundestagswahl: AfD 12,6 Prozent. Eine rechtspopulistische Partei zieht ins Berliner Reichstagsgebäude ein, hält dort vermutlich bald rechtspopulistische Reden, schürt Vorurteile und verunglimpft die Bürger. Beispiel gefällig? Der AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland, jetzt Vorsitzender der Bundestagsfraktion, hat vor ein paar Monaten über Aydan Özoguz (SPD), die Integrationsbeauftragte des Bundes, gesagt: „Wir werden sie dann auch, Gott sei Dank, in Anatolien entsorgen können.“

Özuguz ist Hamburgerin, ich bin Hamburger. Ihre Vorfahren stammen nicht aus Deutschland, meine ebenfalls nicht. Ihre lebten in der Türkei, meine in Polen. Werde ich jetzt in Polen „entsorgt“, wenn der AfD dieser Text nicht gefällt?

Die Partei von Alexander Gauland und Alice Weidel hat sich in den vergangenen Monaten weiter radikalisiert. Früher hätte die AfD behauptet, Gaulands Äußerung sei missverstanden worden. Heute regt sie sich nur noch darüber auf, dass ein solcher Satz als menschenverachtend empfunden wird.

Eine solche Partei zerstört das Wichtigste, was wir haben: Gemeinschaft. Ja, wir sind ein Volk. Die AfD aber schürt Vorurteile, sie spielt Herkünfte gegeneinander aus, sie streut die Saat eines aggressiven Nationalismus. Am Ende soll dann wohl das gaulandsche „Entsorgen“ folgen: Menschen mit dieser oder jener Herkunft werden wie Müll behandelt.

Aber so muss es ja nicht kommen. Die Bundestagswahl liefert Fakten, die Stimmenergebnisse sind wie ein Deutschlandatlas der Stärken und der Schwächen der AfD. Tröstlich ist: Die Partei hat viele Schwächen. Besonders im Norden bekommen die Rechtspopulisten kein Bein auf den Boden.

Die Gründe sind vielfältig: Die Arbeitslosigkeit ist niedrig, die Kriminalität nimmt ab, der Kampf gegen Wohnungseinbrüche führt endlich zu Erfolgen. Für die vielen Flüchtlinge sind relativ schnell ordentliche Wohnungen gebaut worden. Der Staat funktioniert und mit ihm die regierenden Parteien.

Die AfD hat aber auch Stärken. Und über die muss geredet werden. Die „Jamaika“-Koalitionäre müssen zum Beispiel über Salzgitter reden – eine Stadt mit hohem AfD-Ergebnis, in der 36 Prozent der Einwohner einen Migrationshintergrund haben. Wenn dazu noch eine hohe Arbeitslosigkeit kommt, sollten nicht nur in der Stadtverwaltung, sondern auch im niedersächsischen Innenministerium und bei den Bundesbehörden die Alarmglocken läuten. Kindergärten und Schulen brauchen mehr Unterstützung, mehr Sprachunterricht muss her, die Gewerbesteuer sollte verringert, die Polizei verstärkt werden. Denn zumindest dem Gefühl der Verunsicherung kann man damit begegnen. Kann „Jamaika“ für solche Städte eine Lösung finden?

Vor allem aber: Kann „Jamaika“ die Sozialpolitik stärker in den Blick nehmen? Kann die neue Koalition zum Beispiel etwas für diejenigen tun, die von ihrer Rente nicht leben können und aufstocken müssen? Wir sind eine reiche Gesellschaft mit vielen Armen. Nicht jeder von ihnen wählt AfD, denn Überzeugungen hängen nicht vom Einkommen ab. Aber sollte sich der Staat nicht gerade um die Schwachen intensiv kümmern?

Die AfD-geschädigte CSU will nun die rechte Flanke schließen. Das ist erstens Kriegsrhetorik und zweitens Unfug. Wir müssen nicht wie die AfD werden. Wir müssen nur klug und solidarisch sein.

Seite 16 AfD hat im Norden kaum Chancen