Hamburg/Kiel. Als Bildungsminister-Kandidatin für Schleswig-Holstein muss die CDU-Politikerin ihre Überzeugung aufgeben.
Eigentlich ist es ein naheliegender Schritt: Die stellvertretende CDU-Bürgerschafts-Fraktionschefin Karin Prien, die sich als Schulpolitikerin profiliert hat, rückt als mögliche Bildungsministerin in das Schattenkabinett des CDU-Spitzenkandidaten Daniel Günther für die Landtagswahl in Schleswig-Holstein.
Doch es gibt ein Problem: Günther macht Wahlkampf mit der Forderung nach einer Rückkehr zur neunjährigen Schulzeit am Gymnasium (G9). Prien hat sich dagegen stets klar zum Hamburger Zweisäulenmodell bekannt – mit dem achtjährigen Gymnasium (G8) und G9 an den Stadtteilschulen. So war die CDU-Politikerin unter anderem gegen die im Oktober 2014 gescheiterte Volksinitiative „G9-Jetzt-HH“, die die um ein Jahr längere Schulzeit am Gymnasium zum Ziel hatte.
„Die CDU in Schleswig-Holstein hat die Forderung nach G9 an Gymnasien beschlossen. Daran war ich nicht beteiligt“, sagt Prien im Gespräch mit dem Abendblatt. „Ich bin aber grundsätzlich der Meinung, dass G8 oder G9 keine Glaubensfrage, sondern eine Abwägungsfrage ist.“
Soll heißen: Die Entscheidung, welche Schulstruktur die richtige ist, muss jedes Bundesland für sich treffen. „Wir hatten 2013/14 in Hamburg die Situation, dass der zehnjährige Schulfrieden, der noch bis 2020 läuft, unterschrieben war“, so die CDU-Politikerin. Eine Verlängerung der Schulzeit am Gymnasium, die das Ziel der Volksinitiative war, hätte einen Eingriff in die Schulstruktur bedeutet. Sinn des Schulfriedens sei es jedoch, einen solchen Eingriff auszuschließen.
Im Nachbarland gibt es Mischformen
Doch Prien macht auch inhaltliche Gründe für das Turbo-Abitur G8 an Gymnasien und für G9 an Stadtteilschulen geltend. „Gerade in der Startphase benötigten die neu gegründeten Stadtteilschulen das Alleinstellungsmerkmal der längeren Schulzeit, um sich gegenüber den Gymnasien behaupten zu können“, sagt Prien. Mittlerweile bieten fast alle Stadtteilschulen den Weg bis zum Abitur an, indem sie eine eigene Oberstufe führen oder mit einer anderen Schule kooperieren. Für die Stadtteilschulen, die sich aus ehemaligen Haupt- und Realschulen entwickelt haben, bedeutet das eine große Herausforderung.
In Schleswig-Holstein, so Prien, sei die Ausgangslage jedoch anders. Nur 20 Prozent der dortigen Gemeinschaftsschulen würden direkt zum Abitur führen. Die meisten Schüler, die im Anschluss an den Realschulabschluss weitermachen wollten, wechselten auf ein berufliches Gymnasium. Und bei den klassischen Gymnasien, die mit der fünften Klasse beginnen, gebe es – anders als in Hamburg – Mischformen. Einige Gymnasien würden sowohl G8 als auch G9 anbieten, andere nur eine von beiden Varianten.
Wie geht es in Hamburg weiter?
„Eine spannende Frage ist, wie es in Hamburg weitergeht, wenn der Schulfrieden 2020 ausläuft“, sagt Prien. Im geschäftsführenden Landesvorstand der CDU sei bereits darüber gesprochen worden. „Wir sind uns einig, dass wir das Thema G8/G9 in der Partei offen zur Diskussion stellen wollen“, so Prien. Sie selbst sei in der Frage noch nicht festgelegt.
Allerdings, sagt die Mutter dreier Kinder, die ein G8-Gymnasium besuchen oder besuchten, habe sie heute „einen differenzierten Blick“ auf die Dauer der Schulzeit. Kinder, die kürzere Schulzeit am Gymnasium durchliefen, müssten sehr gut organisiert sein. „Vielleicht sollten wir die Frage G8/G9 nicht ausschließlich unter einem ökonomisch-volkswirtschaftlichen Blickwinkel betrachten“, sagt die CDU-Politikerin.
Trend zurück zu G9
Die Forderung von Unternehmen und Verbänden, dass die Abiturienten und Studienabgänger – wie in anderen EU-Staaten – dem Arbeitsmarkt früher zur Verfügung stehen müssten, war ein zentraler Grund für die Einführung der Schulzeitverkürzung. „Meine Beobachtung ist, dass viele Absolventen nach G8 nicht unmittelbar in eine Ausbildung beginnen oder ein Studium aufnehmen“, sagt Prien. Viele Schulabgänger würden ein Jahr lang Praktika machen oder während längerer Reisen arbeiten (work and travel, dt.: arbeiten und reisen). Der erhoffte Effekt von G8, dass Absolventen früher dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stünden, trete so nicht ein.
Im Übrigen, so Prien, habe sich die bundesweite Situation im Laufe der vergangenen Jahre verändert. Nachdem fast alle westlichen Bundesländer nach der Jahrtausendwende die Schulzeit am Gymnasium um ein Jahr verkürzt hatten – in den ostdeutschen Ländern galt G8 schon vorher –, lässt sich jetzt zum Teil ein Trend zurück zu G9 feststellen. In Niedersachsen hat die rot-grüne Landesregierung die Rückkehr zu G9 an Gymnasien beschlossen. Bayern plant, den Schulen die Wiedereinführung von G9 voraussichtlich zum Schuljahr 2018/19 freizustellen. In Hessen gibt es die Wahlfreiheit zwischen G8 und G9 schon seit dem Schuljahr 2013/14.