Miriam Opresnik versucht ökologisch korrekt Ferien zu machen. Im Bio-Gutshaus bei Stralsund sind sogar Trinkhalme umweltverträglich.
Geht’s noch? Anstatt wie geplant nach Mallorca zu fliegen, soll ich nach Mecklenburg-Vorpommern fahren? Mittelmeer und Viersternehotel gegen Badeteich und Biohof tauschen? Das meint zumindest mein Chef, der einen All-inklusive-Urlaub in Spanien für unvereinbar mit der Idee unserer Umwelt-Serie hält, ein Jahr lang grün zu leben. Der findet, dass ich das Ding auch in den Ferien durchziehen muss. Oder gerade dann. Und der natürlich wieder mal recht hat. Auch wenn ich kurz gehofft hatte, bei der Urlaubsplanung eine Ausnahme machen zu dürfen. Eine Auszeit vom Grünsein nehmen zu können. Weil ich schließlich seit acht Jahren nicht mehr in den Süden geflogen bin, sondern immer Urlaub im verregneten Deutschland machen musste.
Weil Carlotta (6) seit Monaten bittet und bettelt, dass sie „in ihrem ganzen Leben“ (Zitat) noch nie geflogen ist. Und vor allem, weil es das letzte Mal ist, dass wir außerhalb der Ferienzeit günstig in die Sonne jetten können, bevor unsere Tochter in die Schule kommt und wir uns so einen Urlaub wahrscheinlich eh nicht mehr leisten können. Doch es hilft nichts. In punkto Urlaubsplanung ist der Chef genauso unerbittlich wie in der Frage, ob mir zur Reduzierung meines Energieverbrauchs im Rahmen der Umwelt-Serie eine neue Waschmaschine zusteht – auf Firmenkosten.
Auf dem Weg, ein kleiner Weltretter zu werden
Geht doch! Zwei Tage später fliege ich doch! Zwar nicht nach Mallorca – aber voll auf die Idee vom Ökourlaub. Habe das Buch „Der Kleine Weltretter“ gelesen, mit dem ich Carlotta und Claas (3) das neue Ökoleben schmackhaft machen will. Darin lese ich beim Thema Urlaub: „Wenn ihr gemeinsam schaut, dass ihr nicht so viel fliegt, dann tut ihr schon mal viel dafür, die Welt zu retten.“
Wow! Das überzeugt mich dann doch. Ein Weltretter wollte ich schon immer sein. Ein Supergirl der Umwelt! Catwoman im Kampf gegen Ökosünden. Vielleicht kann ich damit ja sogar meine grünen Vergehen aus den vergangenen Monaten kompensieren. Auch wenn ich mir das eigentlich genau andersherum vorgestellt hatte: dass ich trotz Umweltmission das Flugzeug nehme und den horrenden CO2-Ausstoß beim Fliegen (und mein schlechtes Gewissen) mit einer Ausgleichszahlung wiedergutmache, mit der Treibhausgas mindernde Investitionen finanziert werden. Windkraftanlagen in Entwicklungsländern zum Beispiel. Eine Art Ökoablasshandel, ein Lösegeld fürs Gewissen. Schade, dass das bisher nur weniger als zehn Prozent der Verbraucher nutzen. Könnte daran liegen, dass es eine schier unüberschaubare Anzahl von Zertifikaten und Qualitätsstandards gibt, und die Zahlung von 0,4 bis zu 50 Euro pro Tonne CO2 reicht.
Apropos Zertifikate: Wenn schon Ökourlaub, dann richtig. In einem ausgewiesenen Biohotel, das streng kontrolliert wird und ein entsprechendes Siegel hat. Das nicht nur ein bisschen auf Umweltschutz macht – wie so viele inzwischen, sondern ein ökologisches Gesamtkonzept hat. Das nicht zu einer großen Kette gehört, sondern von Menschen geführt wird, die selbst an die Sache glauben. So wie das Gut Nisdorf von Sabine Stange (59) und Jürg Gloor (57), ein zertifiziertes Biohotel. Seit der Gründung des gleichnamigen Vereins im Jahr 2001 sind die Biohotels zum größten Zusammenschluss ökologischer Hotels in Europa angewachsen und werden streng kontrolliert, auch unangemeldet. Bei Verfehlungen droht den Mitgliedern der Ausschluss – lese ich und bin froh, dass ich auf meiner grünen Mission nicht von meinem Chef kontrolliert werden kann. Nicht auszudenken, was dabei rauskommen würde. Aber zurück zu den Hotels: Der Biogedanke geht inzwischen weit über die Grundidee „100-prozentige Bioverpflegung“ hinaus und beinhaltet auch die Verwendung von Naturkosmetik, Ökostrom, Recyclingpapier, Naturholzmöbeln und Bettwäsche aus kontrolliert angebauter Baumwolle. Der Verbund wirbt damit, dass der CO2-Ausstoß pro Gast und Übernachtung unter zwölf Kilo liegt, auf Gut Nisdorf sind es sogar nur zehn – im Vergleich zu rund 40 Kilo CO2 in anderen Hotels.
Angesichts dieser Zahlen und dem damit verbundenen Einsparungspotenzial während unseres Urlaubs ist es vielleicht vertretbar, dass wir mit dem Auto anreisen – und nicht mit der Bahn, wie es ökologisch natürlich sinnvoller wäre. Schließlich ist Autofahren alles andere als klimafreundlich. Pro Jahr stoßen deutsche Pkw fast 100 Millionen Tonnen Treibhausgas aus. Hatte ursprünglich gehofft, mich mit der Abgeschiedenheit des Hotels oder einer ewig langen Reisezeit rausreden zu können, dass wir nicht den Zug nehmen. Und dann das! Bahn fahren ist genauso schnell wie mit dem Auto.
Okay, brauche also einen neuen Grund, warum wir das Auto nehmen. Vielleicht das viele Gepäck? Dabei habe ich mich echt bemüht, kaum Klamotten einzupacken – dann aber angesichts des vorhergesagten wechselhaften Wetters außer Schwimmzeug, Badehandtücher und -mänteln auch noch hektisch Gummistiefel und Regenjacken eingepackt. Außerdem zwei Kescher, Sandspielzeug, Notfallapotheke, Gesellschaftsspiele, Malzeug und Bücher. Schmusekissen und Kuscheltiere hoch zwei, eine Barbie, drei Playmobil-Ritter und ein Feuerwehrauto. Voll verrückt. Sieht aus wie für einen mehrmonatigen Aufenthalt. Nur Kleidungsstücke haben wir echt wenig mit – schließlich gilt im Urlaub das gleiche Prinzip wie auch zu Hause: Möglichst wenig Klamotten verbrauchen, um selten waschen zu müssen – und damit Energie und Wasser zu sparen.
Frage mich gerade, wie ich eine Bahnfahrt mit Rollköfferchen, Reisetasche und Rucksack sowie zwei Kindern an der Hand ohne Nervenzusammenbruch und Bandscheibenvorfall überstehen soll – als ich in der Zeitung lese, dass Autofahren unter Ökoaspekten für Familien nicht so schlecht ist, wie die Statistik nahelegt. Die Begründung: Statistisch gesehen rechne man pro Auto nur 1,5 Insassen – als Familie teile sich die CO2-Belastung jedoch auf mindestens drei Personen auf. Wenn das so ist: Los geht’s!
Drei Tage später haben die Kinder und ich das bekannte Volkslied „Grün, grün, grün“ umgedichtet und singen ausgelassen: „Grün, grün, grün sind alle meine Kleider, grün, grün, grün ist alles was ich mag. Darum lieb ich alles, was so grün ist, weil wir jetzt im Ökourlaub sind.“ So schön kann also eine Umweltmission sein. So schön – und vor allem so leicht. Muss mich um nichts kümmern. Nicht um die Vermeidung von Verpackungen, die mir zu Hause so schwerfällt, nicht um den Einkauf von regionalen Lebensmitteln, der mich oft verzweifeln lässt, nicht um die Nutzung von Ökostrom. Tue was für die Umwelt – ohne etwas dafür zu tun. Denn das übernehmen andere: Sabine Stange und Jürg Gloor, die das rund 100 Jahre alte heruntergekommene Gutshaus an der Boddenküste Nähe Stralsund 1997 gekauft und fast sieben Jahre lang zum Kinder- und Familienhotel umgebaut haben. Ihr Ziel: „Den Gästen die Freiheit einer Ferienwohnung zu bieten – ohne dass sie auf den Komfort eines Hotels verzichten müssen“, fasst Jürg Gloor zusammen.
Die Betten in den Wohnungen sind bezogen, im Bad gibt es Handtücher und Biokosmetikprodukte, in der Kochecke Biomüllbeutel und ökologisches Spülmittel – und im Speisesaal Halbpension. Die Verpflegung ist zu 100 Prozent bio, bevorzugt aus der Region, um auf lange Transportwege zu verzichten. Das bedeutet aber auch: „Man muss sich daran gewöhnen, dass es nicht zu jeder Jahreszeit alles gibt“, sagt Sabine Stange. Sie selbst ist schon immer „bio“ gewesen – meine Familie gerade noch auf dem Weg dorthin.
Auch wenn es immer wieder Klärungsbedarf gibt: Die Kinder wollen wissen, warum die Wurst so komisch anders aussieht, der Kakao nicht wie zu Hause schmeckt und die Trinkhalme hier aus Stroh und nicht aus Plastik sind. Wo mir die Erklärungen ausgehen, hilft Sabine Stange. Sie erklärt, dass die Wurst nicht so rosa ist, weil sie ohne Pökelsalz gemacht wurde, und dass sie keine Plastikstrohhalme verwenden, weil sie diese Verschwendung von Kunststoff nicht unterstützen wollen. „Weil allein in Deutschland jährlich mehr als 40 Milliarden Trinkhalme aus Plastik verbraucht werden. Das sind rund 25.000 Tonnen Kunststoff.“
Carlotta nickt zwar artig und lässt sich einen Trinkhalm aus Stroh geben, überzeugt ist sie davon aber nicht. „Das klappt ja gar nicht“, flüstert sie, als sie saugt und saugt und saugt – und kaum etwas herauskommt. Weil die Öffnung einfach zu klein ist. Carlotta nimmt den Strohhalm trotzdem mit. Sie will daraus einen Strohstern für Weihnachten basteln.
Da geht noch mehr! Dem Ehepaar Stange/Gloor geht es nicht nur um Bio, sondern vor allem um Nachhaltigkeit. „Wenn ich Obst und Gemüse aus Argentinien bekomme, sind die Sachen zwar bio – aber alles andere als nachhaltig“, sagt Sabine Stange. Sie ärgert sich, dass alle plötzlich auf Bio machen. Dass es zum Lifestyle verkommt. „Ich halte nichts von diesen Pseudo-Bios“, stellt sie klar und meint die, die zwar auf Lebensmittel aus ökologischer Landwirtschaft Wert legen – gleichzeitig aber mit dem SUV 500 Meter zum Kindergarten fahren.
Vom Pseudo-Bio zum Ökobesserwisser
Muss schlucken. Fahre zwar keine dieser von ihr verschrienen Geländelimousinen, fühle mich aber trotzdem angesprochen. Pseudo-Bio! Geht’s noch schlimmer? Versuche in den nächsten Tagen, mein angekratztes Ökoimage mit allen Mitteln wiederaufzubauen. Benutze während des gesamten Aufenthalts nur ein Handtuch (kein Kommentar!), verwende pro Mahlzeit nur einen Teller für Vorspeise und Hauptgang, nutze den ganzen Tag das gleiche Trinkglas, anstatt mir mehrmals ein neues zu nehmen, und sprudel mir Leitungswasser am Automaten auf, anstatt das mitgebrachte Mineralwasser aus der Flasche zu trinken. Selbst auf die Nutzung der Biosauna verzichten wir.
Denn die Anlage müsste extra für uns hochgefahren werden. Und das wollen selbst Pseudo-Bios wie ich nicht. Da spielt es auch keine Rolle, dass es sich um eine Biosauna handelt, die nur rund 50 Prozent der Energie einer normalen Sauna braucht. Trotzdem: So ein Energie-Ignorant bin ich nun auch nicht, dass ich nur für uns eine Saune heizen lasse.
Besser geht’s nicht. Die Kinder fahren auf dem Hof Kettcar, spielen mit den Fischen im Wasser, fangen die Frösche am Ufer und planschen im Natur-Schwimmteich, der zwar ohne Chemie auskommt – nicht aber ohne Regenwasser. Wenn es so wie jetzt einige Zeit nicht geregnet hat, muss Jürg Gloor einmal pro Woche auffüllen. Rund 30.000 Liter. Leitungswasser.
Was für andere der Aufenthalt in der Betty-Ford-Klinik ist, wird für uns der Urlaub auf Gut Nisdorf. Eine Entziehungskur. Ein Entzug von Joghurtbechern im Bonsaiformat und einzeln verpackten Salamiwürstchen. Von eingeschweißtem Käse und Obst in Plastikschalen. Vom Auto und vom Fernseher. Was zu Hause oft schwerfällt, ist hier kinderleicht. So leicht, dass ich nach drei Tagen zum Biobesserwisser werde. Statt die angebotenen Brottüten aus 100-prozentigem Recyclingpapier zu nehmen, in denen die Gäste ihr Lunchpaket mitnehmen sollen – verwende ich lieber unsere mitgebrachten Tupperdosen. Statt mit dem Auto einen Ausflug in den Vogelpark oder nach Stralsund zu machen, fahren wir mit den Kettcars an den nahe gelegenen Bootsanleger und gucken Schiffe an. Und statt über die nächsten Ferien auf Mallorca nachzudenken, die mein Chef dann doch noch genehmigt, plane ich lieber einen Urlaub an der Nordsee. In der Ferienwohnung. Geht doch!
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