Westerland. Schälen, schneiden, rollen: Unsere Autorin packte einen Tag bei Küchenchef Jens Rittmeyer im Restaurant Kai3 mit an.

Es ist 13 Uhr. Auf der Kochinsel im Zentrum der KAI3-Küche blubbern Spargelschalen in einem riesigen Topf. Messer werden geschärft, eine Mitarbeiterin gibt Bestellungen auf. Die Anweisungen des Küchenchefs Jens Rittmeyer sind ruhig und höflich. Die Vorbereitungen für den Abendservice laufen. Kein Schreien, kein Fluchen, keine fliegenden Pfannen wie in einschlägigen Kochsoaps. Liegt’s an der Anwesenheit der Presse? „Ist das eine Fangfrage?“ lacht der Küchenchef. Naja – ja. „Grundsätzlich geht es ruhig zu. Wenn es nicht läuft, wird es aber auch mal laut“, so Jens Rittmeyer, jüngst mit dem „Chefs! Trophy Award Ausbildung 2016“ für herausragende Ausbildungsleistung im Kochberuf ausgezeichnet.

Der 41-Jährige ist seit 2010 Küchenchef des Restaurants Kai3 im Hotel Budersand. 2012 wurde Rittmeyer erstmalig mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet. Im Fokus der nordisch geprägten Küche stehen aufwendige Gemüse-Menüs. „Meine heimliche Leidenschaft“ nennt der Sternekoch die Kreationen, für die er sich schon lange vor dem Vegan-Trend hierzulande begeisterte. Vor allem alte Gemüsesorten setzt der Sternekoch mit korrespondierenden Gemüsesoßen in Szene. Sie zu produzieren dauert Tage. Das ist auch der Grund dafür, warum ein Gemüse-Menü ebenso viel kostet wie eins mit Fisch oder Fleisch.

Tränen rollen für den Soßenansatz

Meine erster Auftrag: Lauch und Schalotten für den Soßenansatz vorbereiten und Gemüse schälen. Mein Bruder, ehemaliger Azubi eines Drei-Sterne-Kochs und Privatkoch in Hamburg, witzelte bereits vor dem Projekt: „Du musst bestimmt den ganzen Tag Gemüse putzen.“ Er soll sich irren. Doch zunächst rollen Tränen im Duell Gemüse gegen Autorin. Beim Schneiden drücke ich zu fest auf den Lauch, die austretende Flüssigkeit reizt die Augen.

Der Chef schärft das Messer und demonstriert die richtige Schneidetechnik. Kaum sind die Tränen getrocknet, will das „Lila Luder“ von seiner Schale befreit werden. Den Namen verdankt die Karotte ihrer violetten Farbe. Der Lieferant ist einer von insgesamt 70 Zulieferern. Das Netzwerk hat der Sternekoch über Jahre aufgebaut. Er kennt alle Produzenten persönlich. Die täglichen Bestellungen sind eine Herausforderung: „Manchmal bin ich fünf Stunden am Telefon und dann heiser“, grinst der Küchenchef.

Die zwei aus der Küche: Simone
Steinhardt und Jens Rittmeyer
Die zwei aus der Küche: Simone Steinhardt und Jens Rittmeyer © Simone Steinhardt

Inzwischen darf ich sogar selbst produzieren: „Enten-Zigarren“, nennt Köchin Sarah Engler die Röllchen. Dazu wird Entenconfit in eine Spritztüte gegeben, ein kleiner Strang auf hauchdünnen Teig gedrückt und eingerollt. Sarah Engler macht es vor. Die 28-Jährige ist eine von zwei Frauen in der Küche. Der Chef hätte gerne mehr Damen am Herd. „Das hebt das Niveau.“

Doch die Profiküche ist eine Männerdomäne. In der Hochsaison arbeiten inklusive Spüler bis zu 26 Mitarbeiter hier. Inzwischen sind die Röllchen fertig. Und ich bin richtig stolz, dass sie später serviert werden sollen. Doch der Chef ist überhaupt nicht begeistert. „Was ist das? Die sind viel zu dick! Noch mal das Ganze!“

Das Frühstück kostet 42 Euro pro Gast

Produzieren und nicht servieren ist dem Küchenchef ein Graus. Schließlich sind die Kosten in der Sterneküche deutlich höher als in anderen Restaurants. „Allein der Wareneinsatz für das Frühstück der Hotelgäste in der saisonal teuersten Zeit liegt bei 17 Euro pro Gast“, so Jens Rittmeyer. Hinzu kommen Personal und weitere Betriebskosten. Das Frühstück kostet 42 Euro pro Gast. Wirtschaftlichkeit ist die Achillesferse der Sternegastronomie.

Auf Sylt sind von sieben Sternerestaurants Anfang 2014 lediglich drei geblieben. Die Gründe für den Richtungswechsel sind nach eigenen Angaben verschieden. Als Erster hatte Jörg Müller (1 Stern) Ende 2014 auf erneute Bewertungen durch die Restaurant-Kritiker verzichtet. Der damals 67-Jährige wollte „etwas Tempo rausnehmen, nur noch sechs bis acht Stunden in der Küche stehen“, sagte er seinerzeit. Kurz danach gab das Hotel-Resort A-Rosa gleich zwei Sterne-Restaurants auf. Der Grund: fehlende Akzeptanz der Gäste.

Vor wenigen Monaten schloss das Hotel Fährhaus sein mit zwei Michelin-Sternen dekoriertes Gourmetrestaurant. Küchen­chef Alexandro Pape bleibt zwar gastronomischer Gastgeber des Hotels, hat jedoch mit seinem Souschef in Eigenregie eine „Brot + Bier“-Stube eröffnet. Nach 16 Jahren wollte er „einfach mal ein neues Konzept“. Exklusiver Belag auf gutem Brot, selbst gebrautes Bier und Veranstaltungen sollen Gäste anziehen. Als Abkehr von der Sterne­küche will er den Richtungswechsel nicht verstanden wissen. „Lasst uns mal sehen, wie der Guide Michelin auf das Brot reagiert“, so Pape.

Das Highlight: Unsere Autorin durfte
einen Teller anrichten
Das Highlight: Unsere Autorin durfte einen Teller anrichten © Simone Steinhardt

Im Kai3 indes will man der Sterneküche treu bleiben. Jens Rittmeyers Ziel: der zweite Michelin-Stern. Die Vorbereitungen sind abgeschlossen. Es ist 18 Uhr, und ich bin schon jetzt kaputt. Dabei geht der Arbeitstag jetzt erst los. Erst recht heute: Unter den Gästen ist ein Restaurant-Kritiker. Es kommt dicke für den Sternekoch: Presse in der Küche, Presse im Gastraum. Der Routinier bleibt, zumindest äußerlich, gelassen. „Wir haben einen Tester da, also volle Konzentration!“, lautet die Ansage an das Team. 13 Gäste haben reserviert. Platz wäre für rund 40. Es wird hektischer.

Ich sehe zu, wie Jens Rittmeyer konzentriert Gemüse auf den Tellern arrangiert. Schließlich darf ich auch noch mal Hand anlegen und einen Teller selbst anrichten. Spargel drapieren, Spargelsalat kringeln, Crunch verteilen, dazu ein Klecks Stachelbeer-Hollandaise aus der Sprühflasche. Was, wenn ich zu fest drücke und zu viel Schaum aus der Flasche schießt? „Ich habe ein bisschen Angst“, murmele ich. „Ich auch!“ lacht der Sternekoch. Doch das Experiment glückt, und der Teller wird serviert – mein persönliches Highlight. Gegen Ende des Abends wird es laut. An einigen Posten haben die Mitarbeiter bereits ihre Schneidebretter weggeräumt. „Die bleiben liegen bis zum letzten Gast! Wie oft soll ich das noch sagen, verdammt noch mal?“ Der Sternekoch ist sauer. „Konzentration, bitte!“

22.15 Uhr. Der Arbeitstag endet für mich – für die Köche nicht. Meine Füße schmerzen wie nach einer durchtanzten Nacht auf High Heels, meine Rückenwirbel knacken wie morsches Holz. Ich war überrascht, dass ich an vielen Ecken mit anpacken durfte und dass der Umgang miteinander ganz entspannt ist. Auch, wenn mal geflucht wird. Noch mehr als zuvor ziehe ich den Hut vor der Leistung der Köche und verstehe, warum ein 8-Gang-Menü 169 Euro kostet. Das ist viel Geld. Doch in den Sternemenüs stecken auch viel Leidenschaft, hochwertige Produkte, Kreativität und jede Menge Arbeit.