Hörnum. Die Nordsee frisst sich immer weiter in die Hörnum-Odde. Schuld könnte ausgerechnet der Küstenschutz sein.

Für viele Insel-Besucher ist der Spaziergang auf diesem Landzipfel eine Art liebgewonnenes Pflichtprogramm: Wie ein Fingerzeig zu göttlicher Naturerfahrung ragt die Hörnum-Odde weit in die Nordsee. Die Südspitze von Sylt ist ein meist windumtoster Ort, mehr schlichte Sanddüne als pralle Landschaft. Ein karge Schönheit, wild, romantisch – und womöglich akut dem Untergang geweiht. „Wir verlieren gerade dramatisch an Land dort“, sagt der Hörnumer Bürgermeister Rolf Speth.

Seit den 70er-Jahren schon schrumpft die Landzunge. In jüngster Zeit aber hat sich die Entwicklung offenbar noch verschärft. Schon im Herbst hatten Stürme dem Stück Land arg zugesetzt, auf nahezu 60 Meter Breite wurde ein gesamter Strandabschnitt von mehr als 800 Meter Länge einfach weggespült. „Die Hörnum-Odde ist kurz vorm Durchbruch“, titelte Ende November die „Sylter Rundschau“, als sich das Wasser gefährlich weit dorthin fraß, wo viele Insel-Touristen so gerne spazieren gehen.

Jetzt wurde es noch schlimmer. Der milde Winter beschert Norddeutschland und damit auch Sylt häufige Südwestlagen mit immer neuen Stürmen. Die Folge seien wieder „riesige Landverluste“, wie der Bürgermeister sagt: „Sonst dauerte ein Spaziergang einmal rum gut eineinhalb Stunden“, sagt er. „Heute ist man in weniger als einer Stunde damit durch.“

Und weil die Lage in diesem Winter so dramatisch geworden ist für die Hörnum-Odde hat die Gemeinde jetzt einen Brief an das Landwirtschaftsministerium in Kiel geschrieben. „Wir brauchen Hilfe“, sagt der Bürgermeister.

Hilfe wäre in diesem Fall ein Küstenschutz, der die bedrohte Landspitze vor den anrollenden Wellen schützen könnte. Mit mächtigen Tetrapoden aus Beton etwa, die überall an der Küste und auf den Nordsee-Inseln zum Einsatz kommen. Die tonnenschweren Gebilde verkeilen sich, halten der Wucht des Wassers so stand. Oder man könnte wie an der Westküste von Sylt immer wieder Sand aufspülen, um den natürlichen Verlust künstlich auszugleichen.

Auf der Insel haben diese verschiedenen Maßnahmen eine lange Tradition. Bereits im 19. Jahrhundert bauten die Sylter zum Schutz Buhnen aus unzähligen Holzpfählen rechtwinklig zum Land, um Strömung und Wellen vom Land abzuhalten. Noch heute sieht man Reste dieser abgewitterten Pfähle im Uferbereich. Anfang des 20. Jahrhunderts, als sich die Insel immer mehr zum Touristenziel entwickelte, baute man dann eine 800 Meter lange Mauer am Strand in Westerland, deren Erhalt aber sehr teuer ist. Später kamen die vierfüßigen Tetrapoden zum Einsatz. Sie mussten aber teilweise wieder abgebaut werden, weil sie wegen ihres enormen Gewichts doch wieder im Sand versanken.

Seit 1972 sind Sandaufspülungen mit Baggerschiffen das vorrangige Mittel, um die Insel zu schützen. Sieben bis zwölf Kilometer vor der Insel saugen die Schiffe ihr Material vom Boden. Kurz vor der Küste wird der Sand dann mit großen Rohren an den Strand gespült, wo Raupenfahrzeuge ihn wieder verteilen. Im Grunde aber ist das ein ewiges Spiel mit der Natur, ein Geben und Nehmen: Sand wird aufgespült, wieder abgetragen, wieder aufgespült. Ein Vorgang, der sich manchmal sogar jährlich wiederholt und viel Geld kostet. 2014 beispielsweise wurden auf Sylt etwa zwei Millionen Tonnen Sand vorgespült. Mit dieser Menge könnte man eine 100 Meter tiefe Grube mit den Maßen eines Fußballfeldes füllen, wie einmal ausgerechnet wurde. Rund 6,5 Millionen Euro kosten die Aufspülungen jährlich, die von Bund und Land finanziert werden.

Dass gerade auf Sylt so lange und so viel mit verschiedenen und eben auch teuren Küstenschutzmaßnahmen experimentiert wird, hat einen triftigen Grund: Die nordfriesische Insel ist durch ihre Lage den Kräften des Gezeitenmeeres besonders stark ausgesetzt. Während die Nachbarinseln mit vorgelagerten Flachwasserzonen und Sandbänken einen natürlichen Schutz haben, ist Sylt dem Meer praktisch ausgeliefert. Damit wirkt die Insel zugleich selbst wie eine Art Wellenbrecher für das Festland. Für Sylt sind die Folgen enorme Landverluste, vor allem an den Spitzen und der Mitte der Insel. Ohne die Aufspülungen würden jedes Jahr ein bis vier Meter Land verschwinden. Sylt, wie es heute aussieht, gäbe es nicht mehr.

Der Küstenschutz mit Sandspülungen und Tetrapoden kommt allerdings nicht der gesamten Insel zugute. Die Vorgabe des Landesamts für Küstenschutz ist deutlich: Geschützt wird Land nur dort, wo Menschen wohnen – also die sogenannten Ortslagen. Unbewohntes Land und vor allem Naturschutzgebiete wie eben die Hörnum-Odde werden dem natürlichen Lauf der Dinge überlassen, der wohl demnächst seine Aufgabe erledigt hat.

Womöglich ist es ausgerechnet der ungleich verteilte Küstenschutz, der das Verschwinden der Südspitze sogar noch beschleunigt. Kurz nach dem Bau einer Ferienhaus-Siedlung mit schicken Reetdachhäuern bei Hörnum in den 60er-Jahren wurde dort auch der Küstenschutz erweitert. Tetrapoden sollten die Strömung ablenken. Doch vermutlich verhinderte das auch eine Sandablagerung auf der Südspitze, die den Abtrag wieder ausgleichen könnte.

Richtig dramatisch, wie Bürgermeister Speth sagt, wurde der Abtrag aber, nachdem man 2014 diese Küstenschutzlinie noch um 400 Meter nach Süden verlängert hat. Bald, so befürchtet der Bürgermeister, könnte das Meer die Spitze komplett verschlungen haben. Dann aber spätestens wäre auch der Ort Hörnum selbst gefährdet. Es sei also an der Zeit, endlich auch die Südspitze Sylts zu schützen. Viel mehr Stürme wird sie wohl kaum aushalten.