1,4 Millionen Menschen kommen im Jahr, um hier Designer-Mode einzukaufen. Jetzt soll erweitert werden. Zum Unmut des Einzelhandels in der Stadt.

Soltau. Um 12 Uhr erklingt das Glockenspiel an der Marktstraße, die Feuerwehr hat Kunstschnee für ihren Glühweinstand herangekarrt. Frauen verkaufen selbst gemachte Adventsgestecke, Menschenfreunde verteilen kostenlos Waffeln. Ein Sonnabend in Soltau, der Stadt neben dem Shoppingcenter. Der Stadt, für die zwei Wörter Verheißung und Enttäuschung zugleich bedeuten: Designer Outlet.

Jahrelange Verhandlungen und Gerichtsverfahren hatte es gebraucht, bis die ersten Steine in Heidedorfoptik aufeinandergelegt werden durften. Wie lange Investor, Gemeinden, Landkreis und Land darum gerungen haben, wo und auf wie viel Quadratmeter Markenhersteller Mode zu Schnäppchenpreisen verkaufen dürfen, scheint gut zwei Jahre nach Eröffnung der Kunstwelt vergessen. Im Gegenteil: Jetzt steht sogar die Vergrößerung des Centers zur Debatte.

Dabei erlaubt Niedersachsen erst seit 2007 Outletcenter auf dem flachen Land – vorher war das nur in Oberzentren wie Wolfsburg möglich. Der Sinneswandel sei ein Fehler, sagt Hans-Jürgen Lange. Der Betreiber von Sportgeschäften ist Vorsitzender der Interessengemeinschaft Handel und Gewerbe in Soltau. Er ist noch heute wütend darüber, dass das Land sein Raumordnungsprogramm geändert hat. „Wir haben zähneknirschend dem Kompromiss von 10.000 Quadratmetern zugestimmt“, sagt der Einzelhändler. „Weil wir gehofft haben, dass das Center auch Leute nach Soltau zieht. Diese Hoffnung hat sich nicht verwirklicht. Die Frequenz hat sich markant verändert.“ Verändert heißt: abgenommen.

Vor seinem Geschäft tragen warm eingepackte Menschen im Alter über 50 Obst, Gemüse, Brot und Fleisch vom Wochenmarkt durch die Fußgängerzone. Tüten mit Winterjacken trägt hier niemand. Denn Bekleidungsgeschäfte gibt es in Soltau kaum noch. Zwei Läden für Herrenmode haben dichtgemacht, seit es fünf Kilometer weiter rund 60 Geschäfte mit Marken im Dauerausverkauf gibt. Und wer für seine neue Winterjacke nicht mehr nach Soltau fährt, nimmt auch kein Buch, kein Brot, keinen Blumentopf mit. Die Rede ist von 50 Millionen Euro Umsatz im Center, offiziell gibt es darüber keine Zahlen.

Hans-Jürgen Lange selbst musste einige Marken aus dem Sortiment nehmen, weil die Hersteller eigene Läden im neuen Shoppingparadies angemietet haben und sich selbst keine Konkurrenz machen wollen. Mehr Spezialisierung ist das Gegenrezept des Einzelhändlers. Das funktioniert zwar. Zweieinhalb Stellen musste er aber in andere Filialen umschichten – sonst rentiert sich der Laden nicht mehr.

Sylvie Mutschler stellt in ihrem Büro in Zürich indes andere Fragen. Auch die Geschäftsführende Gesellschafterin der Mutschler Gruppe weiß, dass Geschäfte in Soltau geschlossen haben, seit es ihr Shoppingcenter gibt. Ob es wirklich das Outlet oder doch auch andere Faktoren sind, die zum Ende bestimmter Läden geführt haben, sind die Fragen, die sich die Investorin stellt. „Ich will das Thema nicht abtun. Will auch nicht behaupten, dass wir null Effekt haben“, sagt sie am Telefon. „Wir haben aber auch mehr als 400 Arbeitsplätze geschaffen und ziehen nachweislich zusätzliche Kaufkraft in die Region, die nicht bloß umverteilt wird.“

Heidekreis und Stadt Soltau haben eine Studie in Auftrag gegeben. Sylvie Mutschler sagt, sie sei selbst positiv überrascht gewesen von den Ergebnissen. „Uns ist es gelungen, in der strukturschwachen Region Heide die Touristenfrequenz zu erhöhen. Die Übernachtungszahlen sind gestiegen.“ Der Kaufkraftzugewinn im Heidekreis beträgt laut Studie 11,4 Millionen Euro – außerhalb des Centers. „Mehr als die Hälfte unserer Kunden nimmt eine Fahrzeit von mehr als einer Stunde in Kauf.“ Investoren und Markenpartner seien sehr zufrieden nach mehr als zwei Jahren Designer Outlet. „Wir sind voll vermietet und müssen regelmäßig Neuanfragen von Mietern ablehnen“, sagt Mutschler. Sie möchte daher genau das, was die Konkurrenz in Neumünster plant und der Einzelhändler Lange in Soltau verhindern würde: Wachstum.

„Dass alle Outlets um uns herum, ob Neumünster oder Wolfsburg, zum Teil mehr als doppelt so groß sind wie wir, ist eine Wettbewerbsverzerrung, die nicht nur uns, sondern auch der Region schadet“, sagt die Investorin und peilt eine kräftige Vergrößerung an: „Mit einer Verdoppelung des Centers könnten wir zusätzliche 400 Arbeitsplätze schaffen, die der Region weiteren Auftrieb geben würden. Ferner könnten die Auswirkungen des Abzugs britischer Truppen in der Heideregion gemildert werden.“

Etwa 1,4 Millionen Menschen besuchen im Jahr das Outlet Center, um die ein Prozent von ihnen schaut sich laut Mutschler auch in der Touristeninformation des nachgebauten Heidedorfes um, fragt nach weiteren Attraktionen und Übernachtungsmöglichkeiten. Marieke Brandt tut das nicht. Ihr ist klar, was sie ihren Kommilitoninnen aus Jena in ihrer Heimat zeigt: „Das Outlet Center, das ist eine Touristenattraktion.“ Im Spielemuseum Soltau waren die drei nicht. Und auch nicht zum Kaffeetrinken in der Stadt.

Soltau kämpft, steuert dagegen, nennt sich „Spielraum“ und hat Spielgeräte in der Innenstadt verteilt. In den historischen Teil der noch bestehenden Filzfabrik pumpen Stiftungen und die Europäische Union Fördermittel in den Aufbau einer Filzwerkstatt. Die Interessengemeinschaft hat Wegweiser aufgestellt: Hier geht es zum Optiker, dort zum Bäcker. Auch im Kunstdorf weisen Schilder Kunden den Weg: zu den Toiletten und zum Geldautomaten.

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