In enger Kooperation wollen die Bürgermeister von Cuxhaven und Helgoland die regionale Wirtschaft voranbringen – auch zum Nutzen Hamburgs. Ein Großprojekt steht mit dem „Hotel Mare Frisicum“ an.
Eher beiläufig erwähnt Jörg Singer mittags beim Fischbrötchen, dass Helgoland dieser Tage die europaweite Ausschreibung zu einem großen Projekt startet. „Hotel Mare Frisicum“ heißt es, am Nordosthafen soll es entstehen, ein Gasthaus mit 200 Betten in 100 Zimmern und Blick auf die Badedüne der einzigen deutschen Hochseeinsel. „Das ist eines der größten Immobilienprojekte seit dem Wiederaufbau in den 50er Jahren. Und es wird, aus Platzgründen, wohl eines der letzten sein, das die Insel erschließt und entwickelt“, sagt der Bürgermeister.
Singer, 48, treibt den Strukturwandel voran, er modernisiert den Tourismus auf Helgoland, baut die Verkehrsanbindungen aus, er macht die Insel zur Servicestation für drei Offshore-Windparks einige Kilometer nördlich. „Auch das Hotelprojekt wäre ohne den wirtschaftlichen Schub durch die Offshore-Branche nicht möglich gewesen“, sagt Singer. „Nach der Stärkung der Verkehrsanbindung ist das der nächste konsequente Schritt zu einem vitalen Helgoland.“
An Deutscher Bucht wächst Geschäft mit Offshore-Windkraft
Ulrich Getsch, 65, hört es mit Interesse, während er neben Singer auf der Holzbank sitzend an seinem Brötchen mit Knieper kaut, dem köstlichen Helgoländer Krabbenfleisch. Der parteilose Oberbürgermeister von Cuxhaven ist ein Quereinsteiger in die Politik, wie auch Singer. Beide übernahmen im Jahr 2011 ihre Ämter. Beide wollen ihre Kommunen modernisieren, sie wirtschaftlich fit für die Zukunft machen, drückende Schuldenlasten beseitigen. Und beide glauben, dass der enge Schulterschluss an der Deutschen Bucht dafür den entscheidenden Schub bringt, für die Ertüchtigung der Verkehrswege ebenso wie beim Tourismus und dem Ausbau der Windkraft auf der Nordsee.
Getsch arbeitet von Cuxhaven aus quasi dreidimensional. Die Vernetzung von Niedersachsen nach Schleswig-Holstein und Hamburg treibt er seit Jahren voran. Länger schon ist die Stadt an der Elbmündung Teil der Metropolregion Hamburg. Getsch weitet diese Idee auch durch sein eigenes Netzwerk immer weiter aus. Cuxhaven hat sich als einer der so genannten Basishäfen für den Aufbau von Offshore-Windparks in der Nordsee etabliert. Intensiv wirbt die Stadtverwaltung um neue Ansiedlungen aus der jungen Industrie. Gerade stellt Getsch eine 5000 Quadratmeter große Logistikfläche fertig. „Die Offshore-Branche kommt nach der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes jetzt wieder in Schwung. Im Grunde müssen wir aufpassen, dass wir Flächen nicht voreilig unter Wert vermieten.“
Helgoland wiederum ist die weltweit einzige Hochseeinsel, die bislang als Service-Stützpunkt fungiert. Das beschert der Insel mit ihren rund 1100 Einwohnern dauerhaft 150 neue Arbeitsplätze, es trägt dazu bei, die Schiffsverbindungen zwischen Cuxhaven und Helgoland auszubauen und bringt Singer damit auch seinem Ziel näher, die Zahl der Touristen von den erwarteten 330.000 in diesem Jahr bis zum Jahr 2020 auf etwa 400.000 zu steigern. Das ist zwar weit entfernt von den Spitzenwerten der 70er Jahre mit rund 700.000 Gästen im Jahr. Doch Singer geht es vor allem darum, den jahrelangen Abwärtstrend zu stoppen und die Entwicklung umzudrehen.
Mit pragmatischen, wirtschaftsnahen Konzepten und viel eigenem Einsatz bringen Getsch und Singer die Deutsche Bucht voran. Dabei geht es nicht nur um die Ansiedlung von Unternehmen, sondern auch um die Akquisition begehrter öffentlicher Mittel des Landes, des Bundes und der Europäischen Union. Getsch trug in seiner Amtszeit dazu bei, die Arbeitslosenquote im Landkreis Cuxhaven niedrig zu halten, auf einem Stand von aktuell 6,1 Prozent – 12,3 Prozent sind es im Stadtgebiet Wilhelmshaven, 15 Prozent in Bremerhaven, Städten mit vergleichbaren Strukturbrüchen in den vergangenen Jahrzehnten, dem Niedergang etwa von Werftindustrie oder Fischereiwirtschaft. „Wir haben das Glück, dass unsere städtische Wirtschaft gut diversifiziert ist, dass wir keine Monokultur einer einzelnen Branche haben“, sagt der studierte Kaufmann und promovierte Wirtschaftspädagoge, der früher viele Jahre lang an den Berufsbildenden Schulen in Cuxhaven gearbeitet hat. Islands Fischereiflotte lässt ihre Fabrikschiffe in Cuxhaven ausrüsten, Automobilkonzerne exportieren Fahrzeuge im so genannten „Short-Sea“-Verkehr etwa nach Großbritannien oder nach Portugal, Bauteile für Offshore-Windparks, teils direkt vor Ort gefertigt, gehen in Cuxhaven über die Kaikante, derzeit für das Meereskraftwerk Amrumbank West nördlich von Helgoland.
Wirtschaftspolitik ist in Cuxhaven Chefsache. Getsch direkt untersteht das Management der städtischen Beteiligungen, die Agentur für Wirtschaftsförderung holte er nach Amtsantritt ebenfalls in seinen Wirkungsbereich. Mit höheren Gewerbesteuern, drastischen Kosteneinsparungen, intensiver Ansiedlungspolitik und dem Verkauf städtischer Beteiligungen will er bis zum Jahr 2020 einen ausgeglichenen Haushalt erreichen. In diesem Jahr dürften 17 bis 18 Millionen Euro Minus bei 140 Millionen Euro Gesamtetat anfallen. Null Neuverschuldung ist die Voraussetzung dafür, dass das Land Niedersachsen in einigen Jahren drei Viertel der derzeit rund 300 Millionen Euro städtischen Schulden übernimmt.
Industrieansiedlungen vor allem bei den erneuerbaren Energien und auch den gehobenen Tourismus will Getsch vorantreiben. Rehabilitationszentren für ältere Menschen hat er dabei ebenso im Sinn wie Angebote für natursuchende Gäste der Küste und des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer. „Wir müssen qualitativ höherwertige Angebote im Tourismus schaffen, wenn wir die Verweildauer der Gäste, die Zahl der Übernachtungen erhöhen wollen“, sagt Getsch. Gut 900.000 Ein- und Mehrtagesgäste und etwa 3,5 Millionen Übernachtungen zählte Cuxhaven im vergangenen Jahr. Gut 6000 Beschäftigte und rund 200 Millionen Euro Netto-Wertschöpfungen hängen an der Tourismusbranche in der Stadt.
Besonders beim naturnahen Tourismus sucht Getsch den engen Schulterschluss mit Hamburg. „Das kann der Uli sich auf die Fahne schreiben: Der Kontakt zwischen Cuxhaven und Neuwerk war noch nie so gut wie seit seinem Amtsantritt“, sagt Volker Griebel, 61, auf einem Deich der Hamburger Nordseeinsel mit weitem Blick hinaus aufs Meer. Griebel ist als Inselobmann eine Art Bürgermeister der 34 festen Einwohner. Seit 150 Jahren siedelt seine Familie auf Neuwerk. Griebel weiß es sehr zu schätzen, dass „der Uli“ im wahrsten Sinne tief im kommunalen Schlick wühlt. Denn Wattwanderungen und vor allem die Fahrten mit den zweispännigen Wattwagen sind inzwischen die ökonomische Lebensader der Hamburger Exklave.
Cuxhaven und Hamburg profitieren
Gut 80.000 Touristen im Jahr besuchen die Insel, bis zu 1000 sind es mitunter an einem Tag. Viele kommen mit dem Wattwagen auf die Insel und fahren dann mit einem Schiff der Cuxhavener Reederei Cassen Eils zurück in die Stadt. Die Sicherheit und die Befahrbarkeit der elf Kilometer langen Wattstrecke sind dafür unverzichtbar. Das große Hamburg und dessen Verwaltung sind fern. Doch vor Ort kümmert sich Getsch um jedes Detail, um die Beschaffenheit des Parkplatzes für die Wattwagen an der Landseite, um die Aufstellung der Rettungsdienste für die Bergung irrlichternder Wattwanderer, um die Qualität der Gastronomie rund um die Abfahrtsstelle. Denn für Touristen sind der Hamburger und der niedersächsische Teil des Nationalparks Wattenmeers, die aneinander grenzen, nicht zu unterscheiden.
Umgekehrt profitiert Cuxhaven von der engen Abstimmung mit Hamburg etwa beim Ausbau der Offshore-Windkraft-Industrie. Hamburg selbst mit einer Entfernung auf der Elbe von 130 Kilometern zur Küste ist als Basis- und Zubringerhafen für Nordsee-Windparks nicht geeignet. Hamburgs Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos), geboren in Geversdorf im Landkreis Cuxhaven, macht sich stattdessen für seine ehemalige Heimat als bevorzugten deutschen Offshore-Basishafen stark – und fährt mit Getsch und anderen Vertretern aus Cuxhaven auch schon mal zu Windkraft-Terminen bei einer Delegationsreise in den USA. Die gemeinsame Erklärung der Küstenländer für den weiteren zügigen Ausbau der Offshore-Windkraft in den deutschen Gewässern wurde im August 2013 im Forum Maritim in Cuxhaven verabschiedet – sie trägt den Titel „Cuxhavener Appell“ und wurde in der Küstenstadt ersonnen. Ein wichtiger gemeinsamer Erfolg der Nordländer, die allzu oft auch zu Alleingängen neigen.
Getsch selbst kommentiert seine ergebnisreiche Netzwerkerei eher trocken. Der passionierte Hochseesegler bevorzugt klaren Kurs: „Ich mag es, wenn wir Probleme offen, direkt, effizient und gemeinsam lösen“, sagt er beim Einlaufen in Cuxhaven auf dem Rückweg von Neuwerk. „Kann natürlich sein, dass ich mit meiner Offenheit hier und da auch mal anecke.“