Unruhe zum Auftakt der Prokon-Gläubigerversammlung in den Messehallen. 15.000 Genussrechteinhaber dürfen ihr Stimmrecht nicht ausüben. Die Gläubiger sind damit praktisch rechtlos.

Hamburg. Die Nachrichten-„Bombe“ platzt kurz vor Beginn der Gläubigerversammlung des insolventen Windkraftunternehmens Prokon: Mit einer Handbewegung weist Firmengründer Carsten Rodbertus – er trägt ein orangenes Prokon-T-Shirt, Blue Jeans, braune Sandalen und raucht ein Zigarillo – auf drei Anwälte: „Da spielt jetzt die Musik.“ Die Anwälte berichten, die zuständige Rechtspflegerin vom Amtsgericht Itzehoe habe gerade die Vertretung von 15.000 Genussrechte-Inhabern verworfen und deren Stimmrechte auf Null gesetzt.

Für Rodbertus ist dies eine herbe Niederlage. Denn die 15.000 Vertretungsvollmachten hat – so jedenfalls die Auffassung der Rechtspflegerin – ein Strohmann für ihn gesammelt. Und das bedeute eine nicht zulässige Interessenkollision. „Rodbertus ist Geschäftsführungsorgan und darf nicht Gläubiger im Insolvenzverfahren vertreten“, erläutert Rechtsanwalt Daniel Vos von der Kanzlei Göddecke in Siegburg, die einige Gläubiger als Mandanten hat.

Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) ergänzt, Insolvenzverwalter Dietmar Penzlin prüfe Schadenersatzansprüche gegen Rodbertus wegen Pflichtverletzungen. „Die von dem Geschäftsführer zu verantwortenden Schäden könnten in hunderten Millionen Euro zu messen sein.“ Rodbertus habe damit ein überragendes finanzielles Interesse daran, das Insolvenzverfahren selbst zu beherrschen. Vos ist extra aus der nicht öffentlichen Versammlung mit geschätzt 5000 Gläubigern vor die Tore des Hamburger Messegeländes gekommen, um wartende Journalisten zu informieren.

Drei Befangenheitsanträge gegen die Rechtspflegerin seien vom Amtsgericht Itzehoe verworfen worden - in der riesigen Messehalle gab es dafür „leichten Applaus“. Den Machtkampf mit Penzlin über den weiteren Sanierungskurs von Prokon hat Rodbertus – ohne die 15.000 Stimmen mit 200 Millionen Euro Genussrechtskapital – bereits vor Beginn der Versammlung verloren. Rodbertus hatte einen anderen Sanierungskurs als den von Penzlin vorgeschlagenen durchsetzen wollen. „Sie wollen Prokon fit für den börsennotierten Kapitalmarkt machen, was jedoch nie Philosophie von Prokon war“, kritisierte Rodbertus kürzlich.

Dem Insolvenzverwalter warf er zudem vor, ihn von Anfang als Feindbild öffentlich projiziert und eine Schlammschlacht eröffnet zu haben – Vorwürfe, die der Hamburger Rechtsanwalt schließlich nicht mehr kommentieren wollte. Etwa hundert Menschen warten schon am Morgen, ehe sich um 8 Uhr die Tore für eine der größten Gläubigerversammlungen der deutschen Wirtschaftsgeschichte öffnen.

Bis zum Versammlungsbeginn drei Stunden später strömen Tausende aufs Messegelände. Das Amtsgericht Itzehoe hat 13.000 Stühle aufstellen lassen – schließlich hat Prokon 75.000 Gläubiger. Sicherheitsbeamte kontrollieren die Menschen, tasten sie ab – wie am Flughafen. An 90 Schaltern melden sich die Gläubiger an, Justizbeamte aus Schleswig-Holstein und Hamburg sind im Einsatz, die Straße vor dem Messegelände ist abgesperrt.

Aus ganz Deutschland sind Gläubiger gekommen, viele im Rentenalter, die Erspartes für den Lebensabend gut anlegen wollten. Anwälte und Bankenvertreter fallen mit ihren feinen dunklen Anzügen in der Masse der Freizeithemden-, Jeans- und Sandalenträger auf. 14 Stunden ist Josef Stahl (67) aus Gottmadingen (Kreis Konstanz) angereist, um sich zu informieren. Er zeigt wie andere gewissen Fatalismus, denn die Wut ist schon längst verraucht. „Das wäre für mich eine gewisse Altersvorsorge gewesen, aber das ist in die Hose gegangen.“

Durch die nachdenklichen Antworten von Gläubigern zieht sich ein roter Faden: Viele wollten sich am Ausbau erneuerbarer Energien beteiligen und zugleich relativ hohe Zinsen von bis zu acht Prozent kassieren. Das Geschäft mit dem subventionierten Öko-Strom schien sicher. Viele loben auf dem Messegelände Rodbertus' Ideen, halten ihn für authentisch, aber für einen Mann, der nicht richtig wirtschaften kann. „Der hat ja keine Buchführung gehabt“, sagt eine 54-jährige Ex-Bankerin aus Hamburg, die ihre Abfindung in Prokon investierte.

Unisono ist der Wunsch zu hören, dass Prokon weitergeführt wird und Betriebsteile nicht einfach „verramscht“ werden. Penzlin hatte bereits in Aussicht gestellt, dass Gläubiger 30 bis 60 Prozent ihres Geldes zurückbekommen könnten. „Das wäre sehr viel, denn im Durchschnitt fließen bei Insolvenzen in Deutschland nur drei bis fünf Prozent zurück“, erklärt ein Experte.

Der bisherigen Insolvenzverwalter, der Hamburger Rechtsanwalt Dietmar Penzlin, wurde bei der Gläubigerversammlung in seinem Amt bestätigt. Erwartet wurde am Abend noch die Beauftragung Penzlins, seinen Sanierungsplan auszuarbeiten. Rund 75 000 Gläubiger hatten rund 1,4 Milliarden Euro über Genussrechte in der heute überschuldeten Firma angelegt. Sie dürften ein Großteil ihres Kapitals verlieren. Anfang 2015 wird dann endgültig über den Insolvenzplan abgestimmt.