„Hinweise werden mit patzigen Kommentaren der Badegäste abgetan“, kritisieren Behörden. Das Resultat ist erschreckend. Insgesamt gibt es in diesem Jahr bislang 15 Badetote in Norddeutschland.
Travemünde. Es ist eine traurige Bilanz. Sieben Menschen sind nach einer ersten Zählung der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) und der Wasserwacht des DRK bis zum Montagabend in der Ostsee ertrunken. Die Mehrzahl davon, weil sie die Gefahren beim Schwimmen unterschätzten. Deutlich mehr wurden im gesamten Norden verletzt oder werden noch vermisst.
Allein an zwei benachbarten Strandabschnitten nahe Kappeln mussten 16 Menschen, vor allem Jugendliche, aus lebensbedrohlichen Situationen gerettet werden. „So haben wir das noch nicht erlebt“, sagt Schleswig-Holsteins DLRG-Landesgeschäftsführer Thies Wolfhagen. Angesichts der hohen Zahl an Ertrunkenen, bundesweit waren Stand Montagabend 20 Fälle bekannt, kritisieren DLRG und Behörden das Verhalten vieler Badegäste. „Durch Leichtsinn und Selbstüberschätzung setzen sie sich unnötigen Gefahren aus“, sagt Christian Moeller, Sprecher des Sozialministeriums in Mecklenburg-Vorpommern: „Hinweise der Rettungsschwimmer werden häufig nicht beachtet und mit patzigen Kommentaren abgetan.“ Dabei gehe es nicht darum, den Spaß zu verderben.
„Viele Eltern geben am Strand die Verantwortung für ihre Kinder ab. Sie denken: Die DLRG ist da und passt auf“, kritisiert der Sprecher der Gesellschaft, Martin Janssen. Doch ihre Sorgepflicht bestehe an bewachten Badeorten weiter. Ein Achtjähriger war etwa am Sonntag nach einem Badeunfall an der Seebrücke in Graal-Müritz (Landkreis Rostock) verstorben. Das Kind war beim Schwimmen verschwunden, wurde erst nach 20 Minuten gefunden.
Insgesamt gibt es in der diesjährigen Badesaison bislang 15 Badetote in Norddeutschland. Fünf sind es laut Thies Wolfhagen in Schleswig-Holstein. „Es können allerdings weitere Todesopfer dazukommen. Viele verunglückte Badegäste schweben noch in Lebensgefahr.“ Die Gründe für das Ertrinken seien vielfältig, sagt Martin Schneider, Feuerwehrsprecher in Hamburg. „Übermut, Selbstüberschätzung, Alkohol, gesundheitliche Probleme.“ Nicht zuletzt würden Gewässer unterschätzt. „Selbst der Plöner See hat Strömungen, die lebensgefährlich sein können.“
Insbesondere Senioren seien beim Baden gefährdet, wenn sie bei mehr als 30 Grad Lufttemperatur ins mehr als zehn Grad kältere Wasser steigen. Bei Hitze schlage das Herz schneller, die Poren und Blutgefäße seien geweitet, sagt Schneider. „Im Wasser ziehen sich die Blutgefäße insbesondere in der Peripherie schlagartig zusammen.“ Der Blutdruck geht in die Höhe, „das muss das Herz dann erst mal verkraften“.
Menschen der Altersgruppe 50plus sind besonders gefährdet, sagt auch Heiko Mählmann, Chef der Hamburger DLRG. Temperaturen wie in den vergangenen Tagen seien für norddeutsche Schwimmer ungewohnt, die Belastung für den Kreislauf werde unterschätzt. Erst am gestrigen Montagnachmittag starb ein 62 Jahre alter Urlauber beim Baden in der Ostsee am Timmendorfer Strand. Ein Arzt konnte ihn zwar noch aus dem Wasser retten und wiederbeleben – dennoch kam die Hilfe nach Angaben der Polizei zu spät.
Während die Zahl der Badetoten in den vergangenen Tagen an der Ostsee stetig stieg, blieben ähnliche Meldungen von der Nordseeküste aus. Ein Zufall? „Die Badegäste an der Nordsee scheinen vorsichtiger zu sein. Der Respekt ist groß“, sagt Wolfhagen. Badegäste an der Ostsee seien weniger kritisch, allerdings seien sie denen an der Nordsee zahlenmäßig deutlich überlegen. „Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Badeunfällen kommt, ist daher größer.“ Nicht zuletzt sei die Ostsee nicht so lieblich, wie oft angenommen werde: „Strömungen, Winde und starker Seegang führen zu zahlreichen Gefahren.“
Hamburg blieb in diesem Jahr von tödlichen Badeunfällen bislang verschont. Allerdings gibt es einen gefährlichen Trend: Der Elbstrand werde bei hochsommerlichen Temperaturen eine immer beliebtere Badestelle, sagt Mählmann. Offiziell überwacht werde die Elbe nicht. In Wilhelmsburg aber habe die DLRG von sich aus Rettungsschwimmer eingesetzt. Der Grund: Die Zahlen der letzten Jahre zeigen, dass es in Flüssen und Binnengewässern deutlich mehr Badeunfälle gibt als am Meer.
182 der insgesamt 446 Todesfälle durch Ertrinken geschahen 2013 an Bächen oder Flüssen, 160 an Seen und Teichen. Dann erst folgt in der DLRG-Jahresstatistik das „Meer“ als Unglücksort. 26 Todesfälle gab es dort im vergangenen Jahr. Drei Viertel der tödlich Verunglückten sind männlich, mehr als die Hälfte über 50 Jahre alt, so die Statistik.
Eine weitere Entwicklung beunruhigt die Rettungsorganisationen. Immer weniger Kinder können richtig schwimmen. Jeder zweite Grundschulabgänger sei kein guter Schwimmer, sagte DLRG-Sprecher Janssen. Hier sehen die Lebensretter die Kommunen in der Pflicht. Die Schließung von Schwimmbädern dürfe nicht dazu führen, dass Kindern der Zugang zum Schwimmunterricht verwehrt werde.