Der frühere Ministerpräsident McAllister gibt sein Landtagsmandat in Niedersachsen ab. Die ehemalige Chefin des Sozialressorts Aygül Özkan rückt nach.
Hannover. Für den Tagesordnungspunkt 2 („Die Feststellung eines Sitzverlustes“) waren die ersten fünf Minuten reserviert, als das Parlament an diesem Mittwoch im Leineschloss in Hannover zusammen trat. Für die beiden Betroffenen aber war es auf sehr unterschiedliche Weise Zäsur und Chance: Der frühere Ministerpräsident David McAllister lässt die Landespolitik hinter sich, die aus Hamburg stammende ehemalige Sozialministerin und CDU-Parteifreundin Aygül Özkan dagegen „erbte“ sein Mandat und kehrte nach einjähriger Zwangspause zurück in die bezahlte Politik.
Sie haben beide den politischen Boden unter ihren Füßen verloren am 20. Januar 2013: Der CDU-Abgeordnete McAllister verteidigte zwar souverän und mit Spitzenergebnis sein Mandat, aber seine schwarz-gelben Koalition verlor die Mehrheit. Und die Ministerin Özkan zog nicht mehr in den Landtag ein. In beiden Fällen ist das wohl das, was man einen massiven Karriereknick nennt. Der heute 43-jährige Halbschotte McAllister mit Doppelpass war auch als damals jüngster Ministerpräsident ein Politikstar, und das galt für die im Jahr 2010 ins Amt gekommene heute 42 Jahre alte Sozialministerin auch: Die erste Ressortchefin in Deutschland mit klassischem Migrationshintergrund, eine bekennende Muslima, die gleichwohl den Amtseid ablegte mit dem religiösen Zusatz „So wahr mir Gott helfe“.
Den gescheiterten Ministerpräsidenten aber machte die CDU vor wenigen Monaten mit dem Segen der Bundesvorsitzenden Angela Merkel zu ihrem Spitzenkandidaten für die Europawahl im Mai. Und des einen Freud ist damit der Anderen Chance: die Hamburgerin Özkan hat ab heute für noch knapp vier Jahre einen Politjob mit ordentlicher Bezahlung in Niedersachsen.
Der ehemalige Ministerpräsident hat in den vergangenen Monaten eifrig französisch gebüffelt und zahllose Schnupperreisen unternommen auf dem außen- und europapolitischen Parkett. Özkan dagegen hat mangels prominenter Förderer ein Stück Ochsentour nachgeholt, ist in dem Wahlkreis in Hannover, den sie nicht hat gewinnen können, eifrig unterwegs, hat auch die kleine Wohnung in Hannover behalten, pendelt zwischen der Familie in Hamburg und ihrem Arbeitsplatz – jetzt mit der Bahn statt wie zu Ministeriumszeiten mit dem Dienstwagen.
Aber auch beim Neustart bleibt es beim Unterschied: McAllister kann damit rechnen, in Europa vergleichsweise rasch eine zweite Karrierechance auf hohem Niveau zu bekommen – die Kanzlerin gilt unverändert als angetan vom humorvollen Auftreten des Halbschotten. Und anders als frühere politische Weggefährten hat der damalige Regierungschef auch in schwierigen Fragen stets Loyalität praktiziert.
Özkan wird es da schwerer haben: Die Fraktion hat nicht auf sie gewartet, und in ihrem alten Tätigkeitsfeld Sozialpolitik wird sie nicht gebraucht. Es gilt zudem als unfein, hier als Oppositionspolitiker zu agieren und natürlich auch zu agitieren mit Attacken auf ein Ministerium, an dessen Spitze man früher gestanden hat.
Aber auch darüber hinaus gibt es Vorbehalte gegen Aygül Özkan. Sie wurde zusammen mit zwei anderen Ministern 2010 vom damaligen Ministerpräsidenten Christian Wulff berufen, der für die Neuen drei Fraktionsmitglieder aus dem Kabinett warf. Er brauche, so Wulff damals im kleinen Kreise, mehr Talk-Show-fähige Leute. Als die neue Ministerin sich dann – schlecht beraten – gegen das Kopftuch, eben auch gegen Kruzifixe im Klassenzimmer aussprach, rannten ihr die TV-Macher die Bude ein – aber vor allem die CDU-Abgeordneten aus dem katholischen Nordwesten gingen auf die Barrikaden. Nur eine förmliche Entschuldigung im Landtag konnte die Wogen glätten.
Danach hat Özkan außerhalb des Sozialbereichs agiert, als laufe sie permanent auf rohen Eiern. Ein bisschen so dürfte das auch in den ersten Monaten im Landtag sein. Sie selbst ist sichtlich bemüht, sich einzubringen und einzuordnen: „Ich freue mich auf die parlamentarische Arbeit im Landtag, mein Platz ist jetzt im Maschinenraum“.
Ex-Ministerpräsident McAllister, mit einer vom Vorgänger Wulff geerbten Mehrheit ins Amt gekommen, hat am Mittwoch im Landtag kurz Tschüss gesagt am Rednerpult und sich für sieben Ordnungsrufe in 16 Parlamentsjahren entschuldigt. Danach gab es freundlichen Beifall von allen Fraktionen und Standing Ovations der Parteifreunde und ein heimliches Aufatmen: McAllisters Abgang nach Brüssel ist ja nicht nur die Chance auf einen Neustart für Aygül Özkan und McAllister selbst sondern auch für die ganze Fraktion.