Im Februar 2013 erzielten SPD und Grüne in Hannover einen Zittersieg. Die Hoffnungen auf einen entsprechenden Machtwechsel auch im Bund erfüllten sich nicht.
Hannover. Der Zittersieg von SPD und Grünen bei der Landtagswahl in Niedersachsen beflügelte vor einem Jahr die Fantasien in Berlin:
In den Parteizentralen der Sozialdemokraten und der Grünen träumten sie schon von einem Machtwechsel auch im Bund, als am 19. Februar 2013 das Kabinett von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) in Hannover vereidigt wurde. Heute sieht die Realität in der Hauptstadt anders aus: Dort regiert nach der Bundestagswahl immer noch die Union mit Angela Merkel als Kanzlerin, die SPD wurde nur Juniorpartner und die Grünen blieben ganz in der Opposition. Für Niedersachsens rot-grüne Koalition ist das kein Problem. Sie hält – trotz hauchdünner Ein-Stimmen-Mehrheit.
Die CDU-/FDP-Opposition sieht es mit Skepsis. Erst am Donnerstag wiederholte sie in einem Untersuchungsausschuss ihren Verdacht, Weil mache sich wegen dieser knappen Mehrheitsverhältnisse erpressbar. Die Regierung hingegen klopft sich ein Jahr nach dem Machtwechsel zufrieden auf die Schulter: Immerhin die knappe Mehrzahl der Niedersachsen – 56 Prozent – bewertet die Arbeit von Rot-Grün laut einer NDR-Umfrage überwiegend positiv.
Erstaunlich: Auch wenn der neue Landesvater Stephan Weil sein Profil deutlich schärfen konnte, blieb Amtsvorgänger David McAllister (CDU) der beliebteste Politiker im Land. Nach der Wahlniederlage hat er seine neue Rolle inzwischen gefunden: Auf Vorschlag von CDU-Chefin Merkel wird er Spitzenkandidat bei der Europawahl im Mai und den Landtag in Hannover aller Voraussicht dann verlassen. Die frühere Sozialministerin Aygül Özkan wird nachrücken, wenn der Deutsch-Schotte nach Brüssel geht. Fleißig Französisch gepaukt hat er bereits, auch den Wahlkampfmodus hat er schon wieder eingelegt.
Seine CDU ist in der Oppositionsrolle im Landesparlament inzwischen angekommen. Seit der Affäre um Ex-Agrarstaatssekretär Udo Paschedag attackiert die Union die rot-grüne Koalition in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Der Skandal um den dicken Dienstwagen und die üppige Besoldung des extravaganten grünen Spitzenbeamten war die bisher schwerste Belastungsprobe für die Landesregierung, die ansonsten mit eher leisen Tönen ihr Programm abspult.
Die größten Pendelausschläge in der öffentlichen Wahrnehmung erlebte Agrarminister Christian Meyer. Lebensmittelskandale katapultierten den zunächst als „Bauernschreck“ karikierten Grünen vom Start weg in die Schlagzeilen. Meyer nutzte die Gunst der Stunde, um die von ihm propagierte Agrarwende für ökologischeren Anbau einzuleiten.
Die grüne Fraktionsvorsitzende im Landtag, Anja Piel, ist denn auch zufrieden. SPD und Grünen sei es im ersten Regierungsjahr gelungen, Akzente zu setzen. „Wir haben wichtige Weichenstellungen vorgenommen“, sagt sie. SPD-Fraktionschefin Johanne Modder führt an, die Flüchtlingspolitik sei liberaler geworden, die Bildungspolitik gerechter.
Doch die schlechtesten Noten in der NDR-Umfrage gab es ausgerechnet für die Bildungsoffensive von Rot-Grün: Die Koalition verärgerte die Gymnasiallehrer, weil die eine Stunde pro Woche mehr an der Tafel stehen müssen, damit der Ausbau der Ganztagsschulen finanziert werden kann. Denn die Schuldenuhr steigt weiter an – ein Punkt, den die heimische Wirtschaft heftig kritisiert. Der Niedersächsische Industrie- und Handelskammertag bescheinigte der Regierung allerdings, bei der Fachkräftesicherung auf einem guten Weg zu sein.
In der Normalität angekommen ist auch Doris Schröder-Köpf. Die Frau von Ex-Kanzler Gerhard Schröder hatte mit ihrer Kandidatur für den Landtag bundesweit großes mediales Interesse ausgelöst. „Das ist heute anders“, sagt die Abgeordnete und Integrationsbeauftragte der Landesregierung – und freut sich über gestiegenes Sachinteresse an ihrer Arbeit.