Aygül Özkan war Niedersachsens CDU-Vorzeigefrau, dann verlor ihre Partei die Wahl – und sie Amt und Mandat. Jetzt drängt sie zurück in die Landespolitik. Im Wahlkampf absolviert sie 20 Auftritte.
Hamburg/Hannover. Es gibt in Deutschland nicht viele Minister, deren Ernennungsurkunde im Museum hängt. Bei Aygül Özkan ist das so. Wenn die Hamburgerin von der Anfrage des Haus der Geschichte der Bundesrepublik in Bonn erzählt, schwingt immer noch Verwunderung mit.
Über die Bedeutung, die ihrem Ruf in die niedersächsische Landesregierung vor gut drei Jahren beigemessen wurde und darüber, wie sie als erste deutsche Ministerin mit nicht deutschen Wurzeln ins Rampenlicht der Republik katapultiert wurde. Inzwischen ist das tatsächlich Geschichte – und sie Ministerin a. D.
Bei der Landtagswahl im Januar verlor die CDU-Politikerin ihr Amt als Ressortchefin für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration. Danach war es um sie ruhig geworden.
Jetzt ist sie wieder unterwegs. Mehr als 20 Auftritte absolviert Aygül Özkan in den nächsten Wochen im Bundestagswahlkampf. Vor allem im Norden, aber auch in Dresden oder Ludwigshafen hat sie Termine, wirbt für Chancengerechtigkeit beim Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Bildung.
„Immer mehr Menschen verstehen, dass Integration unsere Perspektive und Zukunftssicherung ist“, sagt die 41-Jährige, die im Bundesvorstand und im Wirtschaftsrat der CDU sitzt.
Die Tochter türkischer Einwanderer weiß, wovon sie spricht. Sie wird eingeladen, weil sie für den Wandel der CDU zu einer modernen Großstadtpartei steht. Aber natürlich auch, weil sie als Ex-Ministerin ein Promi ist. Ja, sagt Özkan, aber das störe sie nicht. „Ich sehe das als Berufung.“
Das klingt gut, aber vielleicht ist es nur die beste ihrer Möglichkeiten. Schon am Wahlabend hatte sie klar gemacht, dass sie „keinen Plan B“ hat. Mit der Niederlage der CDU waren nicht nur Regierungsmehrheit und Ministeramt weg, auch im Kampf um das Direktmandat in Hannover-Mitte unterlag sie deutlich gegen den SPD-Kandidaten.
Trotzdem war sie als Erste vor die Kameras getreten und hatte die Niederlage eingestanden. Für sie doppelt bitter, denn ein Sitz mehr für die CDU hätte nicht nur für den Machterhalt gereicht – sondern auch für ihren Einzug in den Landtag über die Landesliste.
Jetzt sitzt Aygül Özkan im Business-Dress in einem Café an der Hamburger Alster und sagt: „Es ist nicht meine Art, gleich die Rückfallposition mitzudenken.“ Aber natürlich war es ein harter Schnitt. Danach ist sie erst mal eine Woche mit ihrem elfjährigen Sohn verreist. In die Südtürkei. „Es ist auch gut, wenn man seine Termine wieder selbst bestimmen kann“, sagt sie und zieht aus der Handtasche Mobiltelefon und iPad mini. „Mein mobiles Büro“.
Ob ihr der Machtverlust schwer gefallen sei? Für eine, für die es immer nur nach oben ging: Einser-Abitur, Jura-Studium, Karriere als Managerin und Unternehmerin, dann der rasante Aufstieg in der Politik. „Nein“, kommt die Antwort schnell. „Man muss damit rechnen, dass Mehrheiten sich ändern. Das ist ja ein hohes Gut unserer Demokratie.“
Fragt man sie heute nach den drei Ministerjahren, sagt sie, dass sie einiges anders machen würde. Tatsächlich war ihre Amtszeit vom Ringen um Erwartungen gekennzeichnet. Die Seiteneinsteigerin, die erst 2004 in die Hamburger CDU eingetreten war und 2008 in die Bürgerschaft einzog und stellvertretende Landesvorsitzende wurde, hatte keinen guten Start.
Erst wollte sie das Kruzifix aus Deutschlands Klassenzimmern verbannen, was zu Sturm vor allem süddeutscher Christdemokraten führte. Dann verlangte sie eine Art Medien-Charta für Niedersachsen, was als Angriff auf die Pressefreiheit ausgelegt wurde. „Ministerin der Missverständnisse“ nannte die „Zeit“ sie einmal.
„Wenn man so herausgehoben ist, fokussiert sich alles auf die Person“, sagt Özkan. Dabei war sie fleißig. Sie kämpfte gegen Ärztemangel auf dem Land, führte eine Meldepflicht ein für Krebserkrankungen rund um die Asse, engagierte sich für mehr Pflege-Personal – und war viel unterwegs im Land. „Umgerechnet habe ich in den drei Jahren mehr als fünfmal die Erde umrundet“, sagt sie.
Aber irgendwie haben alle immer mehr erwartet. „Özkans politisches Wirken“, so hatte es kurz vor der Wahl in der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ gestanden, „konnte in der öffentlichen Wahrnehmung nie ganz Schritt halten mit ihrer Biografie.“
Aygül Özkan ist vorsichtiger geworden. Auch, weil mehrfach ausländerfeindliche Droh-Mails und Hetz-Videos gegen sie verbreitet wurden. In den vergangenen sieben Monaten hat sie sich neu organisiert. Die Juristin hat ihr ruhendes Anwaltsmandat wieder aufgenommen. Im Moment erhält sie Übergangsgeld, die Hälfte ihres Ministerinnengehalts.
Sie pendelt oft nach Hannover, wo sie nach wie vor ihren ersten Wohnsitz hat. Gremiensitzungen, Netzwerktreffen – politischer Alltag eben. Sie ist auch im CDU-Landesvorstand. Ein bisschen ist es so, als würde sie nachholen, was während ihres Blitzaufstiegs zu kurz gekommen ist.
Allerdings lässt sie keinen Zweifel daran, dass sie wieder Politik gestalten will. Die Chancen, als Zuwanderer in der CDU Karriere zu machen, sind besser denn je. Die Kontakte nach Berlin seien gut, auch zur Bundeskanzlerin. „Sie hat viel getan für die Integration.“ Im Bundesvorstand sitzen inzwischen vier Menschen mit nicht-deutschen Wurzeln, bei der Bundestagswahl bewirbt sich Cemile Giousouf für ein Direktmandat – als erste türkischstämmige Kandidatin.
„Die Zeit der Alibi-Migranten ist vorbei“, sagt Aygül Özkan. Wahr ist aber auch, dass sie nicht mehr als Erste genannt wird, wenn es um das neue Gesicht der Partei geht.
Hat sie überlegt, wieder in die Hamburger CDU einzusteigen? „Es gibt einen guten persönlichen und fachlichen Austausch“, sagt sie. Aber die meisten Termine hat sie in Niedersachsen. Dort ist sie die erste Nachrückerin für ein Landtagsmandat, quasi in politischer Warteposition.
Wahrscheinlich ist, dass sie den Platz von Ex-Ministerpräsident David McAllister bekommt, der für die Europawahl im Mai kandidiert. „Das ist eine Option“, sagt sie und lächelt. Erst kommt jetzt die Bundestagswahl.