Im religiösen Wahn erstach ein Zahnarzt aus Glinde seinen Sohn und seine Tochter. Anklage wegen Mordes wird aber nicht erhoben. Stattdessen wird analysiert, ob er in der Psychiatrie bleiben muss.
Glinde. Der Mord an zwei Kindern in Glinde wird offenbar ungesühnt bleiben. Der Täter und gleichzeitig Vater des Geschwisterpaars könnte sogar bald wieder ein freier Mann sein. Dies bestätigt die Lübecker Staatsanwaltschaft auf Anfrage. Wie berichtet, hatte Fardeen A. am 24. Januar die Kehlen seiner Kinder Celine, 4, und Elias, 6, aufgeschnitten und anschließend selbst die Polizei alarmiert. Ein Gutachter stellte später fest, dass der Zahnarzt, der eine Praxis in Hamburg-Lohbrügge hatte, schuldunfähig sei. Fardeen A. habe im religiösen Wahn gehandelt, hieß es in der Begründung.
Deswegen ist der 38 Jahre alte gebürtige Afghane seit dem Doppelmord in der psychiatrischen Klinik in Neustadt untergebracht. Weitere Untersuchungen haben die erste Diagnose bestätigt, so Oberstaatsanwalt Günter Möller: „Ein Strafverfahren wird es deswegen gegen ihn nicht geben.“ Stattdessen wird in den kommenden Monaten ein Unterbringungsverfahren eröffnet, in dem geklärt wird, ob Fardeen A. weiterhin in der Psychiatrie bleiben muss. Entscheidend ist die Frage, ob er für andere Menschen eine Gefahr darstellt. Sollte dies nicht der Fall sein, könnte Fardeen A. die Klinik als freier Mann verlassen. „In dem Gutachten wird dafür eine Prognose erstellt“, sagt Stephan Veismann, stellvertretender Leiter der Forensischen Klinik in Ochsenzoll. Ein Gutachter untersucht unter anderem, ob die Störung behandelbar ist, ob der Patient einsichtig ist und sich behandeln lässt. Dabei kann der Forensiker auch zu dem Ergebnis kommen, dass sich der Patient während der Tat in einem psychischen Ausnahmezustand befunden hat und die Psychose wieder abklingt.
„Für eine dauerhafte Unterbringung reicht es nicht zu sagen, es ist einmal passiert, also wird es immer wieder passieren“, sagt Veismann. Die forensischen Gutachter machen quasi eine Risikoanalyse. Dass ein Täter, der beispielsweise jemanden getötet hat, als nicht gefährlich eingestuft wird, kommt laut Veismann und Möller jedoch nur sehr selten vor.
Dennoch gab es ähnliche Fälle in der Vergangenheit: 2003 ersticht eine 32 Jahre alte Mutter aus Geesthacht ihren sechsjährigen Sohn und ihre 15 Monate alte Tochter. Anschließend versucht sie sich selbst das Leben zu nehmen. Auch in diesem Fall sah die Lübecker Staatsanwaltschaft von einer Anklage wegen Mordes ab. Ein Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass die Frau im Zustand einer „akuten schizophreniformen Episode“ gehandelt habe – also in einer vorübergehenden seelischen Störung. Weil die Krankheit mit Medikamenten so behandelt werden kann, dass die Frau keine Gefahr für andere Menschen darstellt, konnte sie die Klinik wieder verlassen.
Zu welchen Gutachten die Ärzte bei Fardeen A. kommen, ist noch unklar. Auch seine Frau wird nach der grausigen Tat psychologisch betreut. Sie war während der Tat in den frühen Morgenstunden in dem Haus. Sie schlief und bekam nicht mit, wie ihre Kinder starben. Die Mutter ist inzwischen aus dem Einfamilienhaus in Glinde ausgezogen und lebt jetzt in Hamburg. Ehrenamtliche Helfer der Kriminalitätsopferhilfe Weißer Ring betreuen die Frau.
„In solch einem Fall hat die Mutter etwas Furchtbares erlitten, hat aber gleichzeitig eine innere Beziehung zum Täter“, sagt Rita Funke vom Weißen Ring, der für den Kreis Stormarn zuständig ist. „Auf der einen Seite beschuldigt man den Partner und auf der anderen Seite macht man sich selbst Vorwürfe, warum man die Tat nicht verhindert hat“, sagt Funke, die weiß, wie wichtig dann ein Gerichtsverfahren für viele Opfer ist. „Ein Prozess kann nämlich eine Befreiung für sie sein. Denn nicht die Opfer erheben einen Tatvorwurf, sondern ein Staatsanwalt“, so Funke. Wichtig sei auch, dass damit die Tat anerkannt werde. Doch dazu wird es in dem Glinder Fall nicht kommen.