Einfache Aussage, platte Ideen und holprige Reime? Die Kritik an Julia Engelmanns Poetry-Slam-Performance wächst - und steht in keinem Verhältnis mehr zur Sache.

Hamburg. Eigentlich könnte es eine ganz schöne Geschichte sein: Auf Youtube und Facebook ploppt das Video der Studentin Julia Engelmann auf. Ein kleiner Poetry-Slam-Beitrag. Über das Leben und das Leben leben und das Leben lassen. Und viele Leute finden das Video richtig gut. Richtig viele. Aus ein paar Tausend Klicks werden ein paar Hunderttausend, dann eine Million, mittlerweile sind es mehr als drei Millionen.

Wie kommt das? Von Anfang an war unbestritten, dass die Psychologie-Studentin für ihren Slamtext sicher nicht den Heinrich-Heine-Preis bekommt. Weder die Grundidee vom Leben im Hier und Jetzt ist neu, noch ist die Umsetzung besonders originell, die Bilder, die sie schafft, sind alt, die Reime stellenweise mächtig gewollt.

Aber: Der Clip gefällt trotzdem. Oder vielleicht eher: deswegen. Vielleicht einfach, weil er erfrischend ist. Und kurzweilig. Und vielleicht, weil es viele schön finden, wenn jemand in einfachen Worten auf den Punkt bringt, was man selber denkt. Die 21-Jährige scheint jedenfalls irgendwie den Nerv zu treffen.

Und genau das scheint vielen nicht zu passen. Längst ätzt das Feuilleton, pöbeln Blogger und Nutzer sozialer Netzwerke: „Alles exakt kalkuliert“, heißt es. Engelmanns Text wirke doch nur, weil sie weiß, sich in Szene zu setzen mit ihrem wippenden blonden Pferdeschwanz.

Und ihre Aussagen? Ach, alles schon mal besser gesagt, klüger gedacht, ausgefeilter formuliert. Einige sehen sich sogar genötigt, sich wegen Engelmanns Erfolg von Facebook zu verabschieden. Grund: „Diese Frau hält nur demjenigen einen Spiegel vor, der sich in den letzten zehn Jahren dämlich-debil durch die deutsche Medienlandschaft durchgeschlängelt hat“, schreibt einer.

Sicher, man kann das Video doof finden und auch, dass es so begeistert oder zumindest für Bewegung im Netz sorgt. Und man kann sich sorgen darüber, dass ab einem bestimmten Bekanntheitsgrad die Vervielfältigungsmechanismen im Netz so rasant um sich greifen, dass es in keinem Verhältnis mehr zur Sache steht.

Wundern wird das mit ziemlicher Sicherheit auch Julia Engelmann, die sich plötzlich an der Dichtkunst von Goethe messen lassen muss und dabei – Überraschung – nicht besonders gut abschneidet. Sie selbst hatte diesen Anspruch gewiss nie. Und auch der Satz „Dieses Video wird ihr Leben verändern“ stammt nicht von Engelmann. Das haben ihr andere angedichtet.