Am Montag ging im historischen Hafenviertel in Lüneburg ein mehrstöckiger Fachwerkbau in Flammen auf, 500 Feuerwehrleute waren im Einsatz. Rund 70 Anwohner dürfen noch immer nicht zurück in ihre Wohnungen.

Lüneburg. Die berühmte Lüneburger Kneipenmeile Stint verliert ihr vertrautes Gesicht. Das Herz der Kopfsteingasse, ein mehrstöckiger Fachwerkbau inmitten des jahrhundertealten Ensembles, ist am Montag ausgebrannt. Um die 500 Feuerwehrleute waren im Einsatz, darunter auch Einsatzkräfte aus Hamburg. Menschen wurden nicht verletzt, der Schaden erreicht Millionenhöhe.

Auch mehr als einen Tag nach dem Großbrand im Lüneburger Hafenviertel Stintmarkt dürfen rund 70 Anwohner noch nicht zurück in ihre Wohnungen. Im Laufe des Tages solle ein Team vom Bremer Umweltinstitut jede einzelne Wohnung am Stintmarkt auf Schadstoffbelastung prüfen, wie die Stadt Lüneburg am Dienstag mitteilte. Die Betroffenen müssten sich darauf einstellen, auch die Nacht zum Mittwoch nicht zu Hause zu schlafen. Die Stadt habe ein Übernachtungsquartier zur Verfügung gestellt.

Die Abrissarbeiten an dem ausgebrannten Haus im historischen Wasserviertel dauerten auch am Dienstagnachmittag noch an. Aus den Gebäuderesten stiegen nach wie vor kleinere Rauchfahnen.

„Mir blutet das Herz, wenn ich das sehe“

Es ist der Blick, den jeder Lüneburg- Besucher kennt und fast jeder fotografiert: die Fachwerkfassaden im Hafenviertel der Stadt, deren 1300 Baudenkmale den Zweiten Weltkrieg nahezu unbeschädigt überstanden haben. Wo der Alte Kran von 1797 steht, der die Stint-Ladungen von den Booten an Land gehievt hat, und Flaneure in einem Fachwerkbau neben dem anderen Bier und Wein trinken können. Das nicht zuletzt aus der ARD-Serie „Rote Rosen“ in ganz Deutschland bekannte Panorama ist seit Montag nicht mehr dasselbe. Ein Gasthaus gegenüber dem als „Drei Könige“ aus dem Fernsehen bekannten Hotel ist komplett ausgebrannt und nicht mehr zu retten. Der Abbruch hat noch am Montag begonnen.

3.40 Uhr in der Nacht, die Telefonleitungen in der Einsatzzentrale der Feuerwehr laufen heiß. Etliche Anwohner alarmieren die Einsatzkräfte: Es hat einen Knall gegeben im italienischen Restaurant La Trattoria. Das Feuer läuft außen an der Fassade nach oben, der Inhaber des Irish Pubs im Keller des Gebäudes und die Studenten in den oberen Etagen können sich in Sicherheit bringen, bevor ihnen etwas passiert. Das Problem: Die Kneipenmeile liegt direkt am Wasser, und sie ist eng. „Normalerweise löschen wir heute nicht mehr mit viel Wasser“, sagt Feuerwehrsprecher Daniel Roemer. „200 bis 300 Liter reichen, damit möglichst wenig Schaden entsteht. Hier war das nicht möglich. Das ganze Haus ist so stark in Mitleidenschaft gezogen worden, dass wir nur noch von außen löschen konnten.“ Der Statiker bescheinigte dem Haus akute Einsturzgefahr.

Die Stadt Lüneburg und ihr umliegender Landkreis besitzt ausschließlich freiwillige Feuerwehren, die höchste Hebebühne misst 40 Meter. Doch vom gegenüberliegenden Ufer bis zum brennenden Haus sind es über den Fluss und den Uferbereich mindestens 60 Meter – nahezu unüberwindbar für die Lüneburger Brandschützer. Kollegen der Hamburger Berufsfeuerwehr kamen zu Hilfe. Sie können aus 53 Meter Höhe vom Teleskopmastfahrzeug löschen, sagte Matthias Laack, Feuerwehrmann aus Billstedt. „Wir haben von oben die Flammen auf der Dachseite eingedämmt.“ Auch von Booten auf dem Wasser aus arbeiteten die Feuerwehrleute. Am Vormittag war das Feuer unter Kontrolle, auch wenn die Fachleute noch mit Glutnestern in der historischen Substanz rechneten.

Aus Harburg ist Torsten Knuhr vom Führungsdienst der Feuerwehr nach Lüneburg gefahren. Knuhr ist privat oft und gern in Lüneburg, sagte der ehemalige Harburger Wachführer: „Mir blutet das Herz, wenn ich das sehe.“

Brandursache noch unklar

Bereits 1857 hatte das Haus gebrannt und musste wiederaufgebaut werden, der Keller stammt noch aus dem Vorgängerbau, einem Brauhaus aus dem 16. Jahrhundert. An den einstigen Besitzer Georg von Lösecke, einen Weinhändler, erinnert bis heute der Schriftzug an der Rückseite des Hauses – Lösecke stellte dort den Kräuterlikör Sülfmeister her, Mitte der 1960er-Jahre ist die Firma aufgelöst worden. Zuletzt war im Erdgeschoss die beliebte Trattoria zu Hause, das Stammlokal der „Rote Rosen“-Schauspieler.

Am Dienstag äußerte sich auch „Rote Rosen“-Produzent Emmo Lempert zu dem Großbrand: „Der Verlust eines solchen Hauses, das das Ufer-Panorama der Altstadt und damit eines der Schlüsselmotive von Rote Rosen prägte, schmerzt und macht betroffen.“

Über die Brandursache können Polizei und Feuerwehr bislang nichts sagen. „Was ursächlich für die Explosion war, ist offen. Derzeit können wir weder Brandstiftung noch einen technischen Defekt ausschließen“, sagte Polizeisprecher Kai Richter. „Der Schaden erreicht den Millionenbereich. Zwölf Menschen waren im Haus, niemand ist verletzt worden. Der gesamte Stintmarkt und alle umliegenden Gasthäuser waren am Montag geschlossen, auch die Buden des Lüneburger Weihnachtsmarkts in wenigen Hundert Meter Entfernung blieben bis 17 Uhr dicht.

Anlaufstelle für Nachbarn im Glockenhaus

Helfer vom Deutschen Roten Kreuz und Arbeiter-Samariter-Bund haben sich im städtischen Glockenhaus um die etwa 30 Evakuierten gekümmert, die Stadtverwaltung hatte dort die Anlaufstelle für die Nachbarn eingerichtet. Lüneburgs Oberbürgermeister Ulrich Mädge (SPD) bedankte sich bei allen Ehrenamtlichen für ihren Einsatz. „Das ist unabhängig vom Sachschaden ein unersetzlicher Verlust für die beliebte Altstadt – ein Super-GAU.“

Auch das Hotel Bergström, aus dem Fernsehen bekannt als „Drei Könige“, musste einige Gäste innerhalb seines Gebäudekomplexes in andere Zimmer umziehen lassen. Von dem historischen Wasserturm der Lüneburger Bierbrauer aus - heute Teil des Hotels – löschten die Feuerwehrleute über den Fluss hinweg die Flammen. Auf die Dreharbeiten für die Fernsehserie „Rote Rosen“ hat der Brand zunächst keine Auswirkung, da Produktionspause herrsche, sagte Sprecher Dieter Zurstraßen. „Für das Panorama des Lüneburger Hafenviertels ist das allerdings eine Tragödie.“

Auch Nachbar Jens Jurischka, der ein Dekogeschäft in der Parallelstraße betreibt, war schockiert. „Das kann hier ganz schnell passieren. Die Häuser stehen dicht an dicht, es gibt kaum Brandmauern. Wir können von Glück reden, dass uns hier nichts passiert ist. Ich wünsche allen Beteiligten das Beste. Es ist ein Jammer, Lüneburg verliert ein Kleinod.“

Im Sozialen Netzwerk Facebook haben sich unterdessen bereits Hilfegruppen für die Opfer des Feuers am Stintmarkt gegründet. In der Gruppe “Feuer am Stint - Die Hilfegruppe“ werden unter anderem übergangsweise Wohnraum und Sachspenden wie Möbel, Kleidung oder Kinderspielzeug angeboten. Um 12 Uhr können außerdem am Dienstag in Lüneburg Kleidung oder andere Spenden bei Anna&Arthur, Katzenstr. 2, abgegeben werden.