Nach der Ankündigung von Standortschließungen der Bundeswehr bangt die 700-Seelen-Gemeinde Seeth in Nordfriesland um ihre Zukunft.
Seeth. Bundeswehrstrukturreform oder Standortschließung – Peter Dirks, Bürgermeister der 700-Seelen-Gemeinde Seeth in Nordfriesland, möchte beide Begriffe zu seinem persönlichen Unwort des Jahres küren. Die Stapelholmer Kaserne mit ihrem Lazarettregiment 11 weiß seit dem 26. Oktober, dass sie zur Streichliste des Verteidigungsministeriums gehört. Bei vielen macht sich in der strukturschwachen Region nun Angst breit. Konversion, also die anderweitige Nutzung von bisher durch die Bundeswehr belegte Fläche – noch so ein Wort, mit dem Dirks auf Kriegsfuß steht.
Nein, noch habe man keine Idee, was mal aus dem an der Bundesstraße 202 unmittelbar vor dem Ort liegenden Areal, das mehr als 200 Hektar umfasst, werden soll. Dirks’ Stellvertreter Holger Pramschüfer betont, dass man für einen Euro den Quadratmeter die Bundeswehrliegenschaft übernehmen würde, für einen marktüblichen Preis nicht. Nur ein mögliches Problem für die Zukunft: Das Kasernen- und Truppenübungsplatzgelände liegt auf den Kreisgebieten von Nordfriesland und Schleswig-Flensburg. Die Bundeswehr hat die Gegend seit Aufbau der Kaserne 1965 geprägt. In den 80er Jahren waren dort mehr als 1.000 Dienstposten zu finden, heute sind es 720. 1995 sollte unter dem damaligen Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) schon einmal der Standort aufgegeben werden. Damals demonstrierten etwa 1.500 Menschen in Seeth, und das Militär blieb.
Furcht vor Umsatzeinbußen
Auch im knapp drei Kilometer entfernten Süderstapel haben die Pläne des jetzigen Ministers Thomas de Maiziere (CDU) Wirbel verursacht. Seeth hat außer einer Bäckereifiliale keinen Kaufmann, den es im Nachbarort noch gibt. Inhaberin Simona Temme ist wütend: „Scheiße“, rutscht es aus ihr heraus. Sie befürchtet einen zurückgehenden Umsatz, was bedeuten würde, dass sie womöglich einen ihrer Angestellten entlassen muss.
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Sie sitzt an der Kasse und an ihr ziehen gerade die Waren übers Laufband vorbei, die Ramonhard Kallweit bei ihr gekauft hat. 25 Jahre war die Stapelholmer Kaserne sein Dienstort. Vor neun Jahren hat er die Uniform ausgezogen. Für ihn kommt das jetzt verkündete Aus nicht überraschend. „Mit der Abschaffung der Wehrpflicht wurde auch das Ende des Standorts eingeläutet“, sagt Kallweit. Das Ehepaar von Heck betreibt seit 18 Jahren die Kantine auf dem Kasernengelände und hat schon fünf Umstrukturierungen miterlebt. Doch jetzt sind sie sich sicher, dass ihre „letzte Stunde“ geschlagen hat. Sie sehen sich schweren Herzens nach einer gastronomischen Alternative um. „An uns hat niemand der Verantwortlichen gedacht. Wir sind selbstständige Unternehmer“, sagt der 59 Jahre alte Gerhard von Heck.
Auch sorgt er sich um die vier Angestellten, die bei ihm beschäftigt sind. „Wir haben hier fast ein Einfamilienhaus investiert“, sagt seine fünf Jahre jüngere Frau Andrea. Sie wisse nicht, „wie das hier später mal weitergehen soll“. Wann für die Stapelholmer Kaserne der letzte Zapfenstreich erklingt, wird man vor Ort wohl bis Jahresende erfahren. Der nordfriesische CDU-Bundestagsabgeordnete Ingbert Liebing warnt trotz Anerkennung der Bedeutung der Bundeswehr für die Region vor zu großer Schwarzmalerei. Er verweist auf das frühere Munitionsdepot in Enge-Sande (Nordfriesland). Dort ist es gelungen, ein Windenergie-Test- und -Ausbildungszentrum für den Bereich Offshore anzusiedeln.
Andere Ideen hat Isolde Demant vom Seether Bioladen. Sie kann sich einen Natur-Erlebnispark vorstellen. Allerdings weiß sie nicht, was sie von Gerüchten halten soll, wonach sich unter dem Kasernenboden große Schwermetall-Altlasten befänden. Ihre schlimmste Befürchtung: „Hoffentlich wird das nicht zu einer Geisterstadt!“ Sie zählt nicht zu den Bundeswehr-Befürwortern, und doch steht für sie fest: „Das wird eine große Herausforderung!“ Wie in Seeth hoffen auch andernorts in Schleswig-Holstein die Betroffenen. Am Dienstag (8. November) hat Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) alle Verwaltungschefs der durch die Bundeswehrreform tangierten Kommunen nach Kiel eingeladen. Aus Seeth reist Pramschüfer in die Landeshauptstadt: „Meine Erwartungen sind nicht sehr hoch.“