Russlands Präsident Medwedew streitet mit Kanzlerin Merkel beim Petersburger Dialog. Und nannte den Quadriga-Rückzieher als “feige“.
Hannover. Zum Abschluss des 11. Petersburger Dialogs haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Russlands Präsident Dimitiri Medwedew öffentlich über die Reisefreiheit und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) geredet. Kanzlerin Merkel stellte in Hannover russischen Staatsbürgern im Abschlussplenum des deutsch-russischen Dialoges Reiseerleichterungen in Aussicht.
Merkel sagte, dass bei der Visafreiheit beide Länder zu einem Stufenplan kommen müssten. Dazu solle es "im nächsten Jahr einen konkreten Plan" geben, der aufzeigen soll, wie man vorgehen werde, sagte sie. Merkel sprach sich für einen Austausch von Auszubildenden zwischen Deutschland und Russland aus. Sie betonte, dass Deutschland und nicht die EU für Hemmnisse im Reiseverkehr verantwortlich sei.
Auch Medwedew setzte sich für visafreie Reisen zwischen beiden Ländern ein. "Wir werden diesen Weg so schnell beschreiten, wie unsere Partner dazu fähig sind“, sagte er laut Simultanübersetzung.
Aber Medwedew nutzte die Petersburger Tage auch, um auf die zurückgezogene Quadriga-Preisverleihung an den Ministerpräsidenten Wladimir Putin einzugehen. Die Welt wartet noch gespannt darauf, wer von den beiden als Kandidat in die russische Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr ziehen wird. Und nun steht Putins fragwürdiger Umgang mit den Menschenrechten durch Deutschland am Pranger und rückt Medwedew in ein günstigeres Licht. Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte ihn am Dienstag in Hannover in einem ganz anderen Zusammenhang "Kandidat“. Aber sie sagte das so süffisant, dass Zuhörer dies als Unterstützung für ihren Duzfreund Dmitri werteten.
Zwar reagierte Medwedew bei den deutsch-russischen Konsultationen überraschend scharf auf die Absage der angekündigten Auszeichnung der Werkstatt Deutschland für Putin zum Tag der Deutschen Einheit. Doch die heftige Debatte, ob Putin einen solchen Preis für seine Bemühungen um "Verlässlichkeit und Stabilität der deutsch-russischen Beziehungen“ verdient, dürften dem Konkurrenten Medwedew in die Hände spielen. So konnte er Putin souverän zu Hilfe eilen, indem er die Jury als "feige“ geißelte, das Ende des Quadriga-Preises voraussagte und von "deutschen Kopfschmerzen“ sprach. Putin persönlich dürfte jetzt eine offene Rechnung mit Deutschland haben.
Der nicht so impulsive 45-jährige Medwedew hebt sich bei öffentlichen Auftritten vom 14 Jahre älteren Putin ab, indem er sich kritischen Fragen offen stellt, Probleme mit den Menschenrechten in seinem Land schon eingeräumt und sich einem Modernisierungskurs verschrieben hat. So auch wieder beim parallel zu den Konsultationen in Hannover veranstalteten Diskussionsforum "Petersburger Dialog“. Dort kam es auch zu Merkels spezieller Kandidaten-Kür.
In Russland werden Akademiker wie der Jurist Medwedew als Kandidat der Wissenschaften bezeichnet. Merkel, Doktor der Physik, erfuhr dies von Medwedew während einer Diskussion beim Petersburger Dialog und bemerkte vielsagend: "Ich finde, Kandidat hört sich auch schön an.“ Direkt gefragt, was für sie ein Wechsel im Kreml im nächsten Jahr bedeuten würden, erklärte sie später aber, sie beteilige sich nicht an Spekulationen.
Klar war die Kanzlerin hingegen beim hochsensiblen Thema Euro und Griechenland-Hilfe. Sie verstehe die "große Sehnsucht“, dass nach über einem Jahr des Ringens um die Rettung des hoch verschuldeten Griechenlands mit "einem einzigen großen Schritt – am besten spektakulär“ das Problem gelöst werde. Doch Merkel dämpfte kurz vor dem für diesen Donnerstag angesetzten EU-Sondergipfel derart die Erwartungen, dass Zweifel aufkommen, ob das Treffen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel jetzt überhaupt einen großen Sinn macht.
So sagte die CDU-Vorsitzende offensichtlich auch mit einem Hieb gegen die SPD, die Merkel am Vortag viele Ratschläge gegeben hatte: "Wer die Sehnsucht von politischer Seite jetzt nährt, hat die Dimension nicht verstanden und handelt fahrlässig oder verliert die Geduld oder beides auf einmal. Das ist jedenfalls nicht gut.“ Wer politisch verantwortlich handele, wisse, dass es einen solchen spektakulären einzigen Schritt nicht gebe – "auch nicht am Donnerstag“. Merkel betonte: "Ich werde dem so nicht nachgeben.“ Es gehe um einen kontrollierten beherrschten Prozess, um zur Wurzel des Problems vorzustoßen: Wettbewerbsfähigkeit und Schulden. Die Wettbewerbsfähigkeit müsse erhöht, die Schulden reduziert werden.
Beide Regierungschefs forderten aber indess, dass die offenen und kontroversen deutsch-russischen Dialoge fortgesetzt würden. Der Petersburger Dialog müsse aber aufpassen, "dass er lebendig bleibt“, sagte Merkel. Dazu müsse man alle Altersgruppen beteiligen und der Jugend eine Chance geben. "Lieber einmal richtig gestritten, als irgendetwas unter den Tisch gekehrt“, forderte sie zudem Mut zum Streit. In dem dreitägigen Dialog mit 300 Teilnehmern habe es in diesem Jahr interessante Diskussionen über Presse- und Meinungsfreiheit, Rechtsstaat und Rolle des Individuums gegeben.
Auch Medwedew forderte einen offenen und ehrlichen Dialog. "Besser ist es zu streiten als zu schweigen“, sagte er. Der Petersburger Dialog dürfe nicht in eine langweiligen Geschichte ausarten, sondern müsse ein Zukunftslabor bleiben. Die Modernisierungspartnerschaft zwischen Deutschland und Russland müsse auch eine Partnerschaft zwischen Bürgen und NGOS sein und müsse sich auf den Rechtsbereich ausbreiten.
Merkel sprach die zahlreichen Berichte an, die NGOs in Russland an offizielle Stellen zu liefern hätten. Medwedew sprach daraufhin von einem historisch gewachsen Misstrauen gegenüber NGO, das in Russland noch aus der Sowjetzeit stamme und das man ausmerzen müsse. Er bemängelte seinerseits, dass russische akademische Abschlüsse in Deutschland nicht anerkannt werden. Die Kanzlerin antwortete: "Das ist kein Zustand.“ Das müsse dringend verbessert werden.
Bei den deutsch-russischen Regierungskonsultationen sei kein wichtiges Thema ausgespart worden, hieß es – vom Ringen um eine Resolution des Weltsicherheitsrats zu Syrien, über Menschenrechte in Russland und Weißrussland bis zu den Wirtschaftsbeziehungen. Merkel und Medwedew versprachen sich einen offenen Umgang. Die Kanzlerin appellierte, Themen müssten angesprochen werden können, ohne dass sich jemand persönlich angegriffen fühlt. Und der Präsident sagte: "Besser streiten als schweigen.“ Beide sprachen von "zwei guten Tagen“ in Hannover.
(abendblatt.de/dapd/dpa)