SPD: Die Sicherheit wird verkauft. Das Ministerium spricht von langfristigen Plänen. Gutachten kritisiert Laufzeiten-Deal zwischen Biblis und Stade.

München/Berlin/Hannover. Die Bundesregierung trifft nach einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ Vorbereitungen für die Privatisierung der Atommüll-Endlager. Das gehe aus neuen Entwürfen für das Atomgesetz hervor. Demnach soll das Bundesumweltministerium demnächst „die Wahrnehmung seiner Aufgaben mit den dafür erforderlichen hoheitlichen Befugnissen ganz oder teilweise auf Dritte übertragen“ können. Dadurch könnte der Bund private Unternehmen künftig mit den Hoheitsrechten beleihen.

Laut Bericht liegen die geplanten Endlager Gorleben und Schacht Konrad bislang in alleiniger Verantwortung des Bundesamtes für Strahlenschutz, das dem Umweltministerium untersteht. Es würde faktisch entmachtet. Das Umweltressort sagte dem Blatt, es handele sich bei der Novelle nur um „langfristige Pläne“. Der Bund wolle in dem Gesetz lediglich die Möglichkeit für eine andere Struktur verankern.

„Es gibt noch keine konkreten Pläne für eine Beleihung“, sagte eine Sprecherin der Zeitung. Dem Bundesamt für Strahlenschutz ist der Passus im Gesetz nach eigenem Erkunden dagegen neu. „Wir kennen diese Überlegungen nicht“, sagte ein Sprecher.

Die Opposition kritisierte das Vorgehen scharf. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verkaufe „Schritt für Schritt die Sicherheit der Bevölkerung an die Atomwirtschaft“, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel der Zeitung. Die atompolitische Sprecherin der Grünen, Sylvia Kotting-Uhl, sprach vom „ersten Schritt in die Vollprivatisierung der Atommüll-Endlagerung“. Staatliche Verantwortung werde „abgewickelt“.

Nach der Entscheidung zur Wiedererkundung des Salzstocks Gorleben als mögliches Atomendlager hat SPD-Chef Sigmar Gabriel Niedersachsen Versagen vorgeworfen. „Dass Niedersachsen hier einknickt und sich nicht durchsetzt, dass in Bayern und Baden-Württemberg ebenfalls Standorte untersucht werden, das ist eine Schande für das Land“, sagte Gabriel. Die niedersächsische Landesregierung gab am Dienstag grünes Licht für die Wiederaufnahme der Untersuchung des Salzstocks in Gorleben ab 1. Oktober.

Derweil wurde bekannt, dass nach einem Rechtsgutachten der Weiterbetrieb des ältesten deutschen Kernkraftwerks Biblis A in Hessen womöglich unrechtmäßig ist. Hintergrund ist die Übertragung von Reststrommengen vom E.on-Kraftwerk Stade auf den RWE-Meiler Biblis A im Frühjahr dieses Jahres, um dem 1974 ans Netz gegangenen AKW den Weiterbetrieb bis zur Laufzeitentscheidung der Bundesregierung zu ermöglichen. RWE wies die Vorwürfe zurück.

Die Vereinbarung verstoße gegen das Atomgesetz, das Wettbewerbsrecht und den zwischen der Regierung und den Konzernen vereinbarten Atomkonsens, heißt es in dem bisher unveröffentlichten Gutachten der Berliner Kanzlei Raue im Auftrag des Ökostrom-Anbieters Lichtblick. Es liegt der Deutschen Presse-Agentur vor. Gemäß dem geltenden Atomgesetz hätte Biblis A ohne die Übertragung eventuell nicht mehr in den Genuss einer acht Jahre längeren Laufzeit kommen können, wie es die Regierung nun plant . Unmittelbar nach der Übertragung stieg die produzierte Strommenge im zuvor gedrosselt laufenden AKW von Juni bis Juli 2010 um mehr als das Doppelte an.

Eine RWE-Sprecherin sagte der dpa, der Vorwurf der Wettbewerbs-Behinderung sei unbegründet. „Das Atomgesetz erlaubt auch die Übertragung von Reststrommengen zwischen verschiedenen Kernkraftwerksbetreibern.“ Anhaltspunkte für Kartellverstöße gebe es daher nicht. „Im Übrigen stand RWE zur Übertragung der Reststrommenge im Kontakt mit dem Bundeskartellamt.“