“Andrea“ wirbelt noch heftiger als “Kyrill“. Bäume stürzen auf Straßenbahn und Taxi. Mehr als 100 Feuerwehreinsätze in Hamburg.
Hamburg. Zertrümmerte Autos, ein entgleister Regionalzug und ein Taxifahrer, der sich nur durch einen Sprung auf den Beifahrersitz retten konnte: Sturmtief "Andrea" hat auch Norddeutschland mit heftigen Böen bis Windstärke 12 aufgewühlt. In Hamburg war es der stärkste Orkan seit "Anna" im Februar 2002. Zudem nahm "Andrea" mit Windgeschwindigkeiten um 107 km/h gestern deutlich mehr Fahrt auf als "Kyrill" 2007 (101 km/h). Das sagte Frank Böttcher (Institut für Wetter- und Klimakommunikation) dem Abendblatt. Über die Zugspitze fegten die Böen mit bis zu 176 km/h hinweg.
Von den katholischen Gemeinden in Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg, Bremen und Niedersachsen seien keine größeren Schäden gemeldet worden, sagten die Sprecher der Bistümer Hildesheim und Osnabrück sowie des Erzbistums Hamburg am Freitag auf Anfrage. Die evangelische Sankt-Georgs-Kirche in Hamburg steht hingegen vorläufig ohne Turmkreuz da. Das rund zwei mal 2,50 Meter große Kreuz aus vergoldetem Kupfer war am Donnerstagabend von dem 66 Meter hohen Turm gestürzt, sagte der Gebäudebeauftragte der Kirchengemeinde, Harald Riege, auf Anfrage. Personen kamen nicht zu Schaden. Die Polizei sperrte den Straßenabschnitt ab, bis Spezial-Dachdecker eine zur Turmzier gehörende Stange gesichert hatten. Nun prangt nur noch die goldene Wetterfahne mit dem Ritter Sankt Georg auf der Kirchturmspitze. Das Kreuz befand sich seit genau 50 Jahren auf dem 1957 wiedererbauten Glockenturm von 1747.
Dennoch blieb die Lage Donnerstagnacht entspannt. „Wir haben hier zwar schon relativ viel Wasser, aber noch lange keine schwere Sturmflut“, sagte ein Sprecher des Lagezentrums der Polizei Hamburg. Das Wasser stand bei 2,24 Metern über dem mittleren Hochwasser. Auf dem Hamburger Fischmarkt bekam man dennoch nasse Füße. Das Wasser stand hier nach Polizeiangaben bei etwa 1,25 Meter. Autos mussten nicht aus den Fluten gezogen werden. Die Flut sei am frühen Freitagmorgen bereits am Scheitelpunkt angekommen und das Wasser laufe langsam wieder ab. Grund zur Sorge gab es im Umland: In den Vier- und Marschlanden mussten die Anwohner nach Angaben der Hamburger Feuerwehr vor Hochwasser gewarnt werden. Die Deichkronen an Dove und Gose Elbe seien fast erreicht worden. Ein Einsatz von Sandsäcken sei jedoch nicht nötig gewesen.
Ein Oberleitungsschaden hat den Zugverkehr zwischen Hamburg und Westerland auf Sylt lahmgelegt. "Ein Baum ist auf die Oberleitung gefallen. Wir wissen noch nicht, ob die Oberleitung selbst beschädigt ist", sagte ein Sprecher der Deutschen Bahn. Der Unfall ereignete sich nahe Krempe (Kreis Steinburg). Aus Richtung Hamburg endeten die Züge in Elmshorn, in der Gegenrichtung in Glückstadt. Die Bahn versuchte, am Nachmittag einen Ersatzverkehr mit Bussen zu organisieren. Die Autozüge nach Sylt standen schon seit dem Vormittag still (Bahn-Information: 01805/93 45 67).
Durch "Andrea" ist zudem ein 20 Meter hoher Baum am Nachmittag auf die Straßenbahnlinie 6 in Bremen gestürzt. Die Feuerwehr musste zehn Menschen aus der Bahn befreien. Die Oberleitung des Schienennetzes wurde beschädigt. Die Linie war für mehrere Stunden unterbrochen. Ebenfalls in Bremen stürzte ein Baum auf ein Taxi - der Fahrer hechtete im letzten Moment auf die andere Seite des Großraumtaxis. Die Feuerwehr musste den eingeklemmten Mann befreien. Er kam mit einer Schulterverletzung davon.
+++ Sturmtief "Andrea" pustet weiter mit Rekordstärke +++
In Schleswig-Holstein verunglückte ein mit Flüssigklebstoff beladener Gefahrgut-Transporter auf der Bundesstraße 5 (Itzehoe-Brunsbüttel). Der Lkw sei in Höhe Bekmünde bei Wilster (Kreis Steinburg) von einer Windböe erfasst worden und umgekippt, sagte ein Polizeisprecher. Bei dem Unfall sei "eine kleine Menge" der gefährlichen Ladung ausgelaufen. "Die Dämpfe können Augen und Atemwege sehr stark reizen." Die Bundesstraße wurde zwischen Dammfleth und Bekdorf in beide Richtungen voll gesperrt. Anwohner wurden aufgefordert, Fenster und Türen geschlossen zu halten.
Besonders an der Nordseeküste, in Friesland, im Nordwesten Niedersachsens und im Raum Hannover waren Feuerwehr und Polizei seit mittags im Dauereinsatz. "Die Einsatzkräfte kamen kaum noch hinterher", sagte ein Sprecher in Verden. Dort beseitigten die Rettungskräfte unzählige umgekippte Bäume, auch ein Telefonmast wurde vom Sturm gefällt, darüber hinaus flogen mehrere Solaranlagen von Dächern. In Hannover sicherte die Feuerwehr mit Höhenrettern unter anderem das Flachdach eines Mehrfamilienhauses, das sich komplett gelöst hatte und aus 20 Meter Höhe abzustürzen drohte. Auch eine Weihnachtsbeleuchtung, die an einer Hauptstraße auf die Oberleitung der Straßenbahn zu fallen drohte, wurde gesichert. Im Oberharz gab es Schneeverwehungen, auf dem Brocken erreichten die Böen eine Geschwindigkeit von bis zu 162 km/h.
+++ Bildergalerie: Sturmtief Andrea +++
Großeinsatz auch im Münsterland. Ein Regionalzug ist bei Reken (Nordrhein-Westfalen) gegen einen vom Sturm entwurzelten Baum gefahren und entgleist. Schaden: 100 000 Euro. Ein weiteres Problem: Nach dem Dauerregen können die Böden kein Wasser mehr aufnehmen, berichtet der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN). Die Flüsse Lune, Oste, Wümme, Ise, Nette, Aller, Leine, Oker und Hase seien angeschwollen und sollten stark zulegen.
Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie warnte vor einer Sturmflut. "Wir rechnen damit, dass die Flut am Abend deutlich kräftiger wird als mittags", sagte ein Sprecher der Hamburger Polizei. Das Mittagshochwasser war am St.-Pauli-Fischmarkt bereits über die Ufer getreten, ohne Schäden zu verursachen. Die Hamburger Feuerwehr wurde gestern zu fast 100 wetterbedingten Einsätzen gerufen. Zumeist waren Äste auf Straßen und Autos gefallen, Bäume umgeknickt, oder die Siele konnten das Regenwasser nicht aufnehmen, Straßen wurden überflutet. An der Holsteiner Chaussee in Schnelsen stürzte ein Baum auf zwei geparkte Autos.
Besonders schlimm traf es auch Bayern. Im oberfränkischen Weißenstadt starb eine 43 Jahre alte Autofahrerin bei einem Frontalzusammenstoß, nachdem der andere Wagen von einer Böe in den Gegenverkehr gedrückt worden war. Im Ort Wald im Allgäu stand nach einem Gewitter eine Kirche in Brand - der 60 Meter hohe Turm stürzte ein.