Behörden blockieren sich und verhindern so die Bergung radioaktiven Mülls im einsturzgefährdeten Atomlager Asse - Bürger fürchten Katastrophe.

Remlingen. Was wohl aus der heiligen Barbara wird? Versinkt sie eines Tages in einer Atomsuppe? Oder wird sie in rund zehn Jahren nach einer milliardenschweren Bergung von 126 000 Atommüllfässern als letzte aus dem Bergwerk geholt? Milde beleuchtet steht die Patronin der Bergleute in der vom Salz weißlich schimmernden Wand auf der 490-Meter-Sohle in der Asse. Sie begrüßt die Arbeiter des Bundesamts für Strahlenschutz, die aus dem Aufzugskorb klettern, um an der Rückholung der unten lagernden radioaktiven Fracht zu arbeiten.

Eine gelbe Schleuse öffnet sich mit einem lauten Tuten und der kleine Lastwagen braust die Kurven im Stollen herunter, bis der nukleare Bereich erreicht ist. Weiterhin strömen täglich 12 000 Liter Laugenwasser in die Asse, wo bis 1978 schwach- und mittelradioaktiver Atommüll auf leichtfertige Weise entsorgt worden ist. Die Zeit wird immer knapper, noch für rund zehn Jahre glaubt das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) die Schachtanlage Asse II sichern zu können. Doch Kompetenzgerangel, Auflagen und ein handfester Streit, ob eine Bergung überhaupt machbar ist, lassen die Arbeiten kaum vorankommen.

+++Atomkraftgegner werfen Röttgen Untätigkeit vor+++

In der ersten Woche des neuen Jahres fahren daher der katholische Bischof von Hildesheim, Norbert Trelle, und wenig später auch der SPD-Chef und frühere Bundesumweltminister Sigmar Gabriel in die Asse ein. „Wir alle müssen für die gegenwärtig und zukünftig Lebenden Verantwortung übernehmen“, ermahnt Bischof Trelle die Politik zum raschen Handeln. Das Schicksal der Bürger in der Region rund um das frühere Salzbergwerk bei Wolfenbüttel liegt in den Händen von gut einem Dutzend Behörden und Gruppen – die vielen Mitspieler und entsprechende Bürokratie verzögern die Sicherung des Atommülls.

Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) plädiert offen für eine Verfüllung des Lagers. Er steht im Fokus der Kritik - Gabriel knöpft sich aber auch Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) vor. „Ich glaube, dass der Bundesumweltminister das Problem unterschätzt.“ Beide Minister wollten die Bergung nicht.

„Wir brauchen eine Task Force“, fordert Gabriel, der hier seinen Wahlkreis hat – er hatte als Umweltminister das Bergungskonzept auf den Weg gebracht. „Das Verfahren braucht den Willen der politisch Verantwortlichen, um das größte Strahlenschutzproblem Europas in den Griff zu bekommen“, so Gabriel. Er spricht von einem „miesen Spiel“, gerade Atomlobbyisten in den Behörden wollten die Asse am liebsten einfach verfüllen.

Röttgen betont, die Sicherheit bei der Asse-Schließung habe für ihn höchste Priorität. Er will nach über zwei Jahren im Amt bis März erstmals in die Asse einfahren. Der Minister meint anders als die Experten des BfS, dass die Erkenntnisse noch nicht ausreichten, um über die Bergung zu entscheiden: „Erst wenn konkrete Kenntnisse über den Zustand der Abfälle und über den Inhalt der Kammern vorliegen, kann über die Option der Rückholung entschieden werden.“

Vor Kammer sieben in der Asse in mehr als 700 Meter Tiefe steht seit Monaten ein startbereiter riesiger roter Bohrer, um die Kammer anzubohren und so zu sehen, wie es hinter der meterdicken Wand aussieht. Keiner weiß, wie sich der radioaktive Müll dahinter verhält - und ob er überhaupt noch in den Fässern ist. 32 Auflagen und 1400 Arbeitsschritte müssen erfüllt werden. Derzeit scheitert der Beginn der Anbohrung daran, dass kein Unternehmen gefunden werden kann, dass für den Brandfall schnell riesige Stickstoffmengen liefern kann.

„Wir sehen eine Verzögerungstaktik“, sagt Udo Dettmann vom Asse-II-Koordinierungskreis, einem Bürger-Netzwerk. Sowohl in Röttgens Haus, als auch beim niedersächsischen Umweltministerium und beim BfS gebe es sowohl Befürworter einer Rückholung als auch einer Flutung der Asse. Die Atommüll-Bergung dulde kein Abwarten.

Doch warum sollte man den Müll überhaupt bergen, wenn alles so ungewiss und teuer ist? Da auch Gestein rund herum kontaminiert sein könnte, wird von insgesamt 100 000 Tonnen ausgegangen, die zunächst in einem noch zu errichtenden, riesigen Zwischenlager gelagert werden müssten. Unklar ist auch, in welches Endlager der Asse-Müll kommen könnte, da das künftige Lager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle, Schacht Konrad, diese Mengen nicht aufnehmen könnte.

Zudem müsste ein neuer Schacht gebaut werden und es stünden viele Atommülltransporte auf dem Programm. Ohnehin weiß keiner, ob die Zeit noch reicht. „Wir können nicht ausschließen, dass es schon morgen zu einem unkontrollierten Wassereinbruch kommt“, räumt BfS-Präsident Wolfram König ein. Dennoch ist für Deutschlands obersten Strahlenschützer die Rückholung die einzige sichere Option.

Denn es besteht die Gefahr, dass der Atommüll bei einer Verfüllung vom eindringenden Wasser aufgelöst und nach oben gedrückt wird, etwa in das Grundwasser. Denn der Berg arbeitet und versucht Hohlräume, wo der Müll lagert, zu schließen. Verbogene Stahlträger zeugen von der Aktivität des Berges. So könnte wie bei einem Luftballon die Atomsuppe nach oben gedrückt werden.

Uwe Hiksch, Vorstandsmitglied bei den Naturfreunden Deutschlands, sieht bereits schwarz. „In den kommenden Jahren droht eine der größten Umweltkatastrophen in der Geschichte Deutschlands“, sagt er. (dpa)