Unzählige Touristen besuchen alljährlich Rügens Wahrzeichen an der Kreideküste. Mehrere längere Risse ziehen sich durch die Kreideformation.

Güstrow/Insel Rügen. Es kann noch Jahrzehnte dauern – doch das Wahrzeichen an der Kreideküste der Insel Rügen, der 117 Meter hohe Königsstuhl, ist von Abbrüchen bedroht. Geologen des Landesamtes für Umwelt, Natur und Geologie (LUNG) verzeichnen für den von jährlich mehr als einer Million Touristen besuchten Kreidefelsen ein erhöhtes Abbruchrisiko. Ursache seien mehrere bis zu 80 Meter lange Risse, die sich längs durch den Kliffhang ziehen sowie die besonderen geologischen Lagerungsverhältnisse und die Wassersättigung im Sediment, sagte der Geologe Karsten Schütze vom LUNG in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Nur 30 Kilometer vom Königsstuhl entfernt war am zweiten Weihnachtsfeiertag bei einem Küstenabbruch an der Steilküste von Kap Arkona ein zehnjähriges Mädchen verschüttet worden.

„Eigentlich haben wir es am Königsstuhl mit einer kompakten Kreideformation zu tun, die das Wasser nicht eindringen lässt.“ Doch an den Rissen dringe Wasser in das Sediment ein und spüle auch Kreide ab, so dass sich die Risse erweitern könnten. Auch das Zusammenspiel von Frost und Tauwetter führe zu Absprengungen von kleineren Mengen Kreide.

Mit einem erhöhten Abbruchrisiko steht der Königsstuhl auf der zweiten der vierstufigen Abbruchskala (niedrig, erhöht, hoch, sehr hoch) an der 13 Kilometer langen Kreideküste. Als besonders bedroht gelten die Bereiche südlich des Königsstuhls an den Wissower Klinken, dem Kollicker und dem Kieler Ufer. Dort war es in den vergangenen zehn Jahren gegenüber anderen Bereichen der Küste Jasmunds zu gehäuften Kreideabbrüchen und dem Abrutschen von Gesteinsschichten aus der Eiszeit gekommen. Die Ergebnisse der geologischen Messungen und Berechnungen hat das LUNG in einem Geogefahrenkataster zusammengestellt, das Ende 2011 veröffentlicht wurde.

Wann es zu einem größeren Abbruch am Königsstuhl kommen wird, können die Geologen nicht vorhersagen. „Es kann 50, 100 oder 200 Jahre dauern“, sagte Schütze und verwies auf die Wissower Klinken, die sich unter dem Einfluss von Wasser und Witterung über zwei Jahrhunderte stark veränderten und deren bizarr geformte Klippen im Jahr 2005 ins Meer stürzten. Entscheidend seien auch die Wetterlagen in den kommenden Jahrzehnten. Oststürme und das damit verbundene Hochwasser spülten den Hangfuß aus, so dass gefährliche Überhänge entstehen können, erklärte der Fachmann. Abbrüche seien normale küstendynamische Vorgänge, auf deren Gefahren sich der Mensch einstellen müsse. Der Königsstuhl gehört zum Nationalpark Jasmund, in der die Natur sich weitgehend selbst überlassen wird.

„Wenn wir den gegenwärtigen Zustand am Königsstuhl konservieren wollten, müsste das Wahrzeichen nicht nur vor Witterungseinflüssen geschützt, sondern auch für jegliche touristische Nutzung gesperrt werden.“ Denn jeder der Besucher trage mit seinen Schuhen Kreide vom Königsstuhl, sagte Schütze. Besucher müssten so sensibilisiert werden, dass sie sich bei Wanderungen entlang der Steilküsten den Gefahren bewusst sind. Immer wieder würden Touristen aber gekennzeichnete Wege verlassen, Holzbarrieren und Warnhinweise ignorieren und auf Überhänge treten oder am Hangfuß spazieren gehen. (abendblatt.de/dpa)